Johann Cilenšek: Fünf Liebeslieder

Johann Cilenšek war ein deutscher Musiker, welcher vor allem durch seine lehrenden und leitenden Tätigkeiten als Dozent für Musiktheorie in Erfurt, Professor für Komposition in Weimar und als dortiger Rektor im Zeitraum von 1966 bis 1972 wirkte. Sein kompositorisches Schaffen ist überschaubar, seine Veröffentlichungen rar.
Der Musikwissenschaftler Dr. Eberhard Kneipel bezeichnet seine Musik wie folgt: „Cilenšeks Musik schöpft aus der großen polyphonen Tradition der deutschen Musik und dem alten Volkslied, auch aus dem Neoklassizismus und der Schönberg-Schule. […] Klangliche Vielfalt und differenzierte Ausdruckswelten, Leuchtkraft und Sensibilität treten damit immer stärker in seiner Tonsprache zutage.“1

Das folgende Werk „Fünf Liebeslieder für Alt oder Bariton“ sind als ein geschlossener Zyklus entstanden, welcher in vorgegebener Reihenfolge gesungen werden soll.

„Liebeslied“

Bei dem ersten der fünf Werke handelt es sich um ein zweistrophiges Lied, dessen unkonkreter Titel „Liebeslied“ noch keine genaue Richtung aufweist. Der Text, geschrieben von Richard Billinger – einem österreichischen Schriftsteller –, wird da genauer. Es geht um von Liebe getriebene Sehnsucht.
Diese wird von Passagen wie „Willst du dein Hemde zart abtun und still ein Weilchen bei mir ruhn?“2 beschrieben. Ob es sich um eine Person, und wenn ja um welche, handelt und in welcher Beziehung sie zu dem Protagonisten steht, bleibt im gesamten Zyklus verschleiert.
Den Strophen liegt ein fugenartiger Aufbau zugrunde, wobei die Melodik am Ende jeweils gespiegelt wird. Auch wenn keine Vorzeichen geschrieben wurden, so kann man diesen Teilen dennoch D-Dur zuschreiben. Der Zwischenteil hingegen hebt sich deutlich von den Strophen ab. Es gibt statt des fugenartigen Aufbaus nun homophon gesetzte Akkorde, die aus der D-Dur Harmonik entgleiten. So werden Dreiklänge gerne chromatisch verschoben; somit wird deren harmonische Beziehung aufgelöst.

„Die Birke“

Das zweite Lied „Die Birke“, auf den Text von Stepan Stschipatschow, stellt sowohl in der Erzählung als auch in der Musikalität einen Kontrast zum ersten Lied dar. Die Ich-Perspektive wird verlassen und eine neue, eher neutrale Beobachtung eingenommen. Aus dieser wird erzählt, wie eine Birke schweren Umwelteinflüssen – starken Winden und Regen oder Winter – trotzt („Des Rohlings [=der Winter] Drohungen wirken auf sie nicht im geringsten ein.“3). Das Stück schließt nach diesem Winter-Abschnitt mit der Aussage „Sie [=die Birke] […] scheint einem andern treu zu sein“4 , was darauf schließen lässt, dass die Birke eine Metapher für Liebe im generellen Sinne darstellt, welche durch äußere, oberflächige Einwirkungen nicht aufgehalten werden kann.
Auch die musikalische Seite steht zum ersten Lied im Gegensatz. Das Tempo wird rasch angezogen und der Charakter wirkt recht aufbrausend. Hinzukommen schnelle Achtel und fließende Verlagerungen der Tonhöhen, was zu einem wellenartigen Muster führt. Zu Beginn der Phrasen wird immer wieder das allererste Motiv aufgegriffen und auf unterschiedliche Weise zu Ende geführt.

„Liebeslied“

Die Mitte des Zyklus‘ nimmt das Lied „Liebeslied“ ein. Der aufmerksame Leser wird merken, dass dieser Titel bereits dem ersten Stück gegeben wurde. Möglicher Grund könnte die Orientierung am ursprünglichen Titel des zugrundeliegenden Gedichts von Stepan Stschipanowitsch sein. Wieder wird die Liebe als solche betrachtet und ihr verschiedene Eigenschaften zugeschrieben. So wird erzählt, wie Liebe zum einen wandelbar, gleichzeitig aber auch für-immer-während sei. „Mitunter kann Liebe verblassen, vergessen ist, was dich gebannt, vergessen, dass weit übers Leben sie [=die Liebe] wirkt über den Tod hinaus.“5 Die Liebe kann verblassen, kann vergessen werden – also in den Hintergrund rücken – und gleichzeitig wirkt sie fortbestehend, selbst über den Tod hinaus.
Dieses antagonistische Prinzip lässt sich auch in der Musik wiederfinden. Ein abwechselndes Muster zwischen meist dodekaphonischen Vierteln und homophonen Halteakkorden – manchmal über mehrere Takte – verkörpert den Text. Auf der zweiten Seite sticht die Vermischung dieser Gegensätzlichkeit hervor. Hier werden in der rechten Hand der Klavierbegleitung Akkorde gehalten und gleichzeitig in der linken Hand die Viertel geführt. Insgesamt kann man das Stück als eher statisch bezeichnen.

„Begegnung“

Das vierte Lied „Begegnung“, welchem ein Text von Johanna Schiffers zugrunde liegt, behandelt tiefes Nahekommen und Verschmelzen, wie es in einer fortgeschritteneren Liebe von vielen Menschen empfunden wird. Hier geht es weniger um die Liebe selbst, sondern es wird wieder die Ich-Perspektive eingenommen und somit der Blick in die Sicht des Erzählers verschoben. „[...] da gingen meine Schritte langsam mit mir in dich hinein […] wie in eines Brunnens Ruh, bin ich in dir ertrunken, du.“6
Diese Ähnlichkeit zum ersten Lied wird auch aus musikalischer Sicht erkennbar. Denn auch hier beginnt das Klavier mit einer Fuge, welche im Verlauf des Stückes aufgegriffen und verändert wird. Wieder hebt sich der Mittelteil durch Akkordaneinanderreihung vom Beginn ab. Diese Akkorde verschmelzen dann jedoch im letzten Teil mit der Fuge des ersten Teiles und das Stück schließt mit wieder genau einer Variation dieser.

„Rhythmus“

Den Abschluss des Zyklus‘ bildet das Lied „Rhythmus“. Der Text von Harry Frommelt handelt von beglückter Zweisamkeit mit Betonung auf Sorglosigkeit und weist einen heiteren, geschwungenen Charakter auf. Dafür werden zum einen gehäuft positiv konnotierte Wörter und Phrasen – „und erfüllt von Süße.“; „jegliches Entzükken“; „Lächelnd sahest du mich an“ – und zum anderen wohlklingende Wörter wie „wolkenfrei“ oder „glühend“7 benutzt.
Dieser Charakter wird auf kompositorischer Ebene mit einem schnellen Dreiviertel-Takt, welcher einem Walzer nachempfindet, untermalt. Weiterhin fällt die Sequenzierung kurzer Motive auf, welche über das gesamte Stück immer wieder aufgegriffen werden. Der Mittelteil hebt sich durch längere Akkorde, viel Legato und ein plötzliches Pianissimo von den anderen Teilen ab. Der Zyklus endet mit dem, einer Exklamatio ähnelnden, Ausruf „singend in der Frühe“8, welcher durch kräftige Akkorde im Forte vom Klavier unterstützt wird.


Abschließender Gedanke

Cilenšek hat die vielen, teilweise sehr unterschiedliche Texte auf seine eigene Weise vertont und es dabei geschafft, die verschiedenen Charaktere musikalisch darzustellen und zu verstärken. Dabei setzt er vielfältige Kompositionsmittel ein und vermischt neue mit alten Traditionen.


Ferdinand Stöhr


1 Eberhard Garbe, Über den Komponisten Professor Johann Cilenšek, Oberlausitzer Heimatblatt 2005, S. 49–56.
2 Johann Cilenšek, Fünf Liebeslieder für Alt oder Bariton, C.F.Peters/Henry Litolff´s Verlag, Leipzig 1951, S. 3–5.
3 Ebd.
4 Ebd.
5 Ebd., S. 6–14.
6 Ebd.
7 Ebd.
8 Ebd., S. 15.