Karl Dietrich: Sinfonie Nr. 4 "Contra Bellum" (UA 1981)
„Nicht für den Tischkasten der Zukunft, für den Hörer von heute sollte seine Musik bestimmt sein.“1
Die oben genannte, ursprünglich vom Komponisten Karl Dietrich stammende Überzeugung greift die Thüringische Landeszeitung in einem Artikel anlässlich seines 70. Geburtstages auf. Dietrichs Musik soll also nicht in Vergessenheit geraten, sondern stets interessierten Menschen zur Verfügung stehen. Jene Musik umfasst alle Genres der zeitgenössischen ernsten Musik, darunter zwei Opern, acht Sinfonien, verschiedene Konzerte, Divertimenti für Sinfonieorchester, Chormusik, Instrumental- und Kirchen- und Kammermusik.2
Karl Dietrich wurde am 9. Juli 1927 im thüringischen Wachstedt geboren. Sein Vater war u. a. als Organist tätig. Dadurch kam Karl Dietrich schon früh mit dem Klavierspiel in Berührung. Im Alter von sechs Jahren wurde Dietrich von seinem Vater im Musikunterricht ausgebildet. Die Kindheit, die vergleichsweise idyllisch und unbeschwert war, endete spätestens in der nationalsozialistischen Zeit, als Dietrich 1944 aus der Oberschule als Luftwaffenhelfer entzogen wurde. Gleichwohl bot sich trotz der grausamen Kriegssituation für Dietrich die besondere, aber vor allem großzügige Möglichkeit, im Merseburger Dom zeitweise Orgel spielen zu dürfen. Im anschließenden amerikanischen Kriegsgefangenenlager bei Bad Kreuznach musste gegen Unterernährung, extremer Witterung und Infektion gekämpft werden.
Auch hier bekam Dietrich die Gelegenheit, Musik auszuüben. Gelegentlich war er für die musikalische Unterhaltung der Vorgesetzten verantwortlich.3 Nach dreimonatiger Gefangenschaft konnte er in seine Heimat fliehen und absolvierte im Juli 1947 letztendlich sein Abitur. Anschließend studierte er in Jena Philosophie und Musikwissenschaft und beendete darauffolgend in Weimar ein Studium in Musikpädagogik, Chor- und Orchesterdirigieren, Komposition und Tonsatz. Noch aufgrund seiner Leistungen als Assistent tätig, wurde ihm 1984 eine Professur für Komposition und Tonsatz verliehen.4
Dr. Marcus Lange, der Betreiber der Webseite Karl Dietrichs, beschreibt Dietrichs Lehre wie folgt:
„In den Jahrzehnten seines Wirkens prägte und bildete er mit pädagogischer Begabung, stilistischer Vielseitigkeit und unbeeindruckt von den Einschränkungen der damaligen Zeit unzählige Musiker, Musiklehrer und Komponisten aus. […]. Sein Arbeitsstil ist von Fleiß, Ausdauer und Beharrlichkeit geprägt.“5
Dietrichs kompositorisches Schaffen umfasst zum einen heiteren Werke, z. B. das heitere Orchestermusikstück Heiteres Divertissement und die heitere Oper Die Wette des Serapion. Beide Stücke wurden 1984 in Gotha uraufgeführt. Zum anderen stehen Werke mit Themen entgegen dem Krieg im Zentrum Dietrichs Arbeit.
Geprägt von traumatischen Erlebnissen im Wehreinsatz im Zweiten Weltkrieg entstand „sein persönlichstes Werk, einem Bekenntnis gleich“6: die Sinfonie Nr. 4 „contra bellum“, uraufgeführt 1981 in Gotha. Der Titel des Stücks stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Gegen den Krieg“.7 Es ist in vier Sätzen für drei Flöteninstrumente und ein großes Orchester geschrieben. Dem Werk unterliegt ein durchgehender originaler und variierter Cantus Firmus nach Balthasar Resinarius‘ Verleih uns Frieden gnädiglich.
„[Der] Ganztonschnitt f-g (‚Frieden‘) und, in der Quinttranspositon des Zitats, die Tonfolge c-b als Klangsigel für ‚Contra bellum‘ [bildet die] tonsymbolische Bedeutung.“.8
Die Wichtigkeit dieses Motivs für das gesamte Werk „contra bellum“ betont auch Dietrich selbst. Es sei sein größtes und dringlichstes Anliegen, den Frieden zu erhalten. Jenes Vorhaben sollte sich im Titel seines Werkes widerspiegeln. Die Sinfonie sei für ihn auch eine persönliche und moralische Auseinandersetzung mit seiner Kriegsvergangenheit. Dietrich betont seine Kenntnis über die Schwierigkeit, heutzutage Sinfonien zu schreiben. Seiner Meinung nach sei es aufgrund eines enormen Wandels von Form und Inhalt essenziell, den Bezug zur Wirklichkeit im Blick zu behalten. Darin spiegele sich sein eigenes kompositorisches Vorgehen.9
Dietrichs Eindruck von zeitaktuellen Begebenheiten würde er durch sein Handeln gegenüber der Umwelt musikalisch darstellen. Dies sei auch in „contra bellum“ zu hören. Der einzig musikalisch traditionelle Rückgriff sei das Zitat des Cantus Firmus‘. Der Rest des Werks würde keiner expliziten „Kompositionsrichtung“10 folgen. Dietrich Musik versucht eine Verbindung zwischen Tradition und Gegenwart herzustellen, indem er den traditionellen Cantus Firmus durch gegenwärtige musikalische Mittel aufgreift und variiert.11
Im ersten Satz Dietrichs vierter Sinfonie erklingt der Cantus Firmus und würde den Anschein machen, auf Frieden zu hoffen. Es gebe bereits kompositorische Abschnitte, die der Aleatorik folgen und Chaos ankündigen. Diese würden jedoch noch unterdrückt.
Der zweite Satz stünde nun dem Friedensgedanken entgegen. Die Streicher und das Ostinato des Orchesters würden erregt, bedrohlich und unheilvoll wirken.
Im dritten Satz würde weiterhin der Frieden im Hintergrund stehen. Im Vergleich zum vorhergehenden Satz dominierten tiefsinnige Gedanken.
Die bedrohende Stimmung aus dem zweiten Satz wird nun im vierten und letzten Satz durch die Bläser aufgehoben. Das Ende der Sinfonie geschehe „auf dem Ton ,C‘ (contra bellum)“12. Das Solo der Pauken würde den Schluss bilden.13
Am Ende wendet sich Dietrich gegen die allgemeine Meinung, dass Neue Musik nur durch das vernunftmäßige Handeln entstehe. Seiner Ansicht nach liege es allein am Komponisten, Gefühle und Emotionen in Kompositionen zu verarbeiten, so wie er es täte.14
Thea Zumbusch
Karl Dietrich: 4. Sinfonie, 1. Satz
Karl Dietrich: 4. Sinfonie, 2. Satz
Karl Dietrich: 4. Sinfonie, 3. Satz
Karl Dietrich: 4. Sinfonie, 4. Satz
1 Hans-Jürgen Thiers: „Codex des Schaffens von Tönen. Karl Dietrich zum 70. Geburtstag“, in: Thüringische Landeszeitung (1997), S. 3.
2 Vgl. Marcus Lange: „Prof. Karl Dietrich 1927–2014. Komponist und Hochschul-Lehrer“, https://www.karldietrich.de/portraet/ aufgerufen am 10.12.2022.
3 Vgl. ebd., aufgerufen am 10.12.2022.
4 Vgl. ebd., aufgerufen am 10.12.2022.
5 Marcus Lange: „Prof. Karl Dietrich 1927–2014. Komponist und Hochschul-Lehrer“, a.a.O., aufgerufen am 10.12.2022.
6 Hans-Jürgen Thiers: „Codex des Schaffens von Tönen. Karl Dietrich zum 70. Geburtstag“, a.a.O., S. 3.
7 Vgl. Marcus Lange: „Sinfonie Nr. 4 ‚Contra bellum‘“, a.a.O., aufgerufen am 10.12.2022.
8 Marcus Lange: „Prof. Karl Dietrich 1927–2014. Komponist und Hochschul-Lehrer“, a.a.O., aufgerufen am 10.12.2022.
9 Karl Dietrich: „Sinfonie Nr. 4 ‚Contra bellum‘“, https://www.karldietrich.de/sinfonische-musik/4-sinfonie/, aufgerufen am 20.3.2023.
10 Ebd., aufgerufen am 20.3.2023.
11 Vgl. ebd., aufgerufen am 20.3.2023.
12 Marcus Lange: „Sinfonie Nr. 4 ‚Contra bellum‘“, a.a.O., aufgerufen am 20.3.2023.
13 Vgl. ebd., aufgerufen am 20.3.2023.
14 Vgl. Karl Dietrich: „Sinfonie Nr. 4 ‚Contra bellum‘“, a.a.O., aufgerufen am 20.3.2023.