Podcast LISZTEN

Im 150. Jubiläumsjahr der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar wurde der neue Podcast LISZTEN gestartet.

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Wir blicken nicht etwa auf unsere Geschichte zurück, sondern sprechen mit den Menschen , die die HfM heute prägen. Wer lehrt, studiert und arbeitet hier? Wie haben sie ihren Weg zur Musik und zur HfM gefunden? Und was treibt sie abseits der Musik um? Jeden Monat kommen verschiedene Personen aus Studium, Lehre und Verwaltung zu Wort – ungefiltert und ehrlich.

Moderation und Schnitt: Christofer Hameister

Redaktion: Franziska Epp

Reinhören in die aktuelle Folge

Die Folgen

12. Folge: Akkordeonduo con:trust – Das Spiel der Möglichkeiten

Wie findet man als Musiker*in seinen Platz, wenn das eigene Instrument nicht in Orchestern vertreten ist? An einer Antwort auf diese Frage arbeiten die Akkordeonisten Marius Staible und Daniel Roth seit Jahren und biegen dabei immer wieder neu ab, zuletzt zur Fernsehshow „das Supertalent“. Ein Schritt aus der Komfortzone und ein Versuch der Weimar Studenten, auf den Wandel der Zeit zu reagieren. Als Freelancer setzen sie immer neue Ideen um, nicht nur auf der klassischen Konzertbühne, sondern auch auf Tiktok … 

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Transkript 12. Folge

Christofer Hameister
Herzlich willkommen zu unserem Podcast der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Wir haben uns heute zwei sehr umtriebige Akkordeonisten eingeladen, die zuletzt deutschlandweit viel Aufmerksamkeit bekommen haben aufgrund ihrer Teilnahme bei der Castingshow „Das Supertalent“. Und deswegen begrüßen wir heute Marius Staible...

Marius Staible
Hallo 

Christofer Hameister
…und Daniel Roth

Daniel Roth
Hallo, Hi, hi!

Christofer Hameister
Hallo ihr beiden! Ihr habt studiert bzw. studiert noch an der Musikhochschule. Marius kommt jetzt ins zweite Konzertexamen-Semester und Daniel hat sein Masterkonzert schon gespielt im Akkordeon. Und ihr habt ein Duo gegründet, das heißt „con:trust“. So und mit diesem Duo seid ihr, also wir haben uns aufs Du geeinigt, seid ihr zum Supertalent gegangen. Also einer Casting-Show im Fernsehen. Wie kam die überhaupt auf die Idee?

Marius Staible
Na ja, dann erzähle ich mal kurz wahrscheinlich. Das ist so, bei mir ist die Idee geboren. Aus der Notwendigkeit, sage ich dazu immer. Als Akkordeonist ist man in der Hochschule, aber auch danach, darauf angewiesen, kreativ zu sein. Es liegt natürlich auch irgendwo am Berufsfeld. Man hat kein Orchester, auf das man sich bewerben kann und im klassischen Betrieb ist das Akkordeon tatsächlich eher eine Nische, kann man sagen.

Und dadurch aber ist man dazu gezwungen, würde ich sagen, sich was einfallen zu lassen, sich Formate zu suchen, die neu sind, die irgendwie das Instrument präsentieren, die Musik auch präsentieren. Deshalb halten wir immer Augen und Ohren offen, für Möglichkeiten, die sich uns bieten. Und so sind wir dann eben auch auf eine Fernsehshow gekommen.

Christofer Hameister
Manchmal ist es ja auch so, dass Agenturen ganz gezielt Künstlerinnen und Künstler anschreiben und sagen: „Macht mal, damit kommt man zur Castingshow“. Bei euch war das nicht so, ja, Marius?

Marius Stabile
Nee, da haben wir eine Mailadresse rausgesucht und dann haben wir ein Video zusammengeschnitten und dann haben wir das geschickt. Hat nur dann zwei, drei Jahre gedauert, bis sie sich zurückgemeldet haben, aber bestimmt besser spät als nie.

Es war noch so in den Corona-Zeiten und irgendwann melden die sich auf einmal und dann laden zum Casting in Leipzig ein. Dann sind wir da mal hingefahren.

Christofer Hameister
Okay, also ihr hattet das gar nicht mehr auf dem Schirm ja?

Marius Staible
Genau. 

Christofer Hameister
Wie läuft denn dann so ein Produktionstag bei RTL ab? Also ihr fahrt da nach Leipzig – und dann?

Marius Staible
Ja also wir dürfen ja jetzt natürlich nicht über produktionsinterne Details sprechen. Das haben wir denen auch hoch und heilig versprechen müssen. Wenn du das so genau erfahren möchtest, dann solltest du dich mal bewerben, als Supertalent selber, dann siehst es na ja… ne, aber man kann schon so viel sagen: Also es gab eine Vorauswahl und da haben wir eben vorgespielt, das war schon spannend, weil es gab dann eben alle möglichen Charaktere, die dort sich versammelt haben und jeder hat eben sein ganz besonderes Talent mitgebracht.

Letzten Endes gab es dann noch mal irgendwie einen Bescheid, dass wir da genommen wurden und ja, dann ging es weiter mit der Fernsehproduktion.

Christofer Hameister
Ich habe mal gerade eben geschaut, also eure Casting-Situation, die wurde ja auch hochprofessionell aufgezeichnet und dann auch bei YouTube veröffentlicht. Über 200.000 Videoaufrufe. Millionen Menschen haben das auch noch vorm Fernseher geguckt, also merkt man das, also werdet ihr auch auf der Straße angesprochen. Marius?

Marius Staible
Also ich bin gestern, ich habe... Ich habe hier in Weimar meinen Lieblingsfriseursalon, da gehe ich jetzt auch schon seit sieben Jahren hin und da bin ich gestern reingelaufen. Und normalerweise bin ich nicht so jemand, der so groß im Friseursalon viel redet und und ich setze mich da eigentlich hin und genieße die Zeit. Aber ich kam da rein und die haben angefangen zu klatschen und sind auf mich zugelaufen. „Hallo, unser Fernsehstar ist da.“ Also dann haben die über dieses Supertalent geredet, dass sie das auch rein zufällig geguckt haben tatsächlich. Ohne dass sie wussten, dass wir daran teilnehmen. Und das war dann schon spannend. Das hatte ich vorher so noch nicht. Also rein zufällig sind die nicht in die Konzerte von uns gegangen.

Christofer Hameister
Jetzt haben ja solche TV Casting-Shows natürlich auch einen gewissen Stempel drauf. Es ist einiges gescriptet, inszeniertet, auch nicht immer das niveauvollste was an Kultur geboten werden könnte, gab es neben Applaus auch Kritik? Daniel?

Daniel Roth
Nee, nee, tatsächlich alle Zuschriften, die bekommen haben, waren sehr positiv. Ich glaube, die kritischste Meinung war dann wirklich die von Bruce Darnell, während des Aufzeichnen. Aber sonst alles, was wir so in den Kommentaren gesehen haben, ist eigentlich positiv.

Marius Staible
Also wir hatten, wir hatten schon das erwartet, was du jetzt angedeutet hast Christopher so in die Richtung, dass so was kommen würde, aber tatsächlich positiver als wir dachten. So.. viel Verständnis auch für den Wandel der Zeit und dass man eben auf diesen Wandel mit aufspringt und auch tatsächlich auch Wertschätzung irgendwie. So haben wir es auch empfunden. Es war für uns wirklich auch nicht leicht, das zu machen alles, und das war schon ein großer Schritt, auch aus der Komfortzone heraus. Wir haben uns da schon so ein bisschen wie Pioniere gefühlt. 

Daniel Roth
…und uns Sorgen gemacht. 

Marius Staible
Es hätte schlimmer laufen können. Sagen wir mal so. Also wir hatten schon auch was zu verlieren und dementsprechend ist es gut, dass man das, also diese diese Tat irgendwie wertschätzt. Und wir kriegen viel, viel Reaktionen, da auch viele Kommentare und viele private Nachrichten auch Leute rufen uns an, also ist schon sehr sehr lieb, was da passiert.

Christofer Hameister
Ihr seid ja dort als Akkordeon-Duo aufgetreten. „con:trust“ nennt ihr euch. Oft ist es ja so, dass man sich im Studium irgendwie kennenlernt und dann eine Band gründet oder eben auch ein Duo. Ihr kennt euch aber schon länger, oder?

Daniel Roth
Ja, wir kennen uns tatsächlich schon länger, also nicht so lange, wie wir Akkordeon spielen, aber die Hälfte der Zeit ungefähr. Wir haben damals mit 12, 13 Jahren, waren immer so Ferienkurse bei mir in der Heimatstadt, im Saarland, und da ist dann auch Marius hingekommen, um eben die Schulferien zu verbringen. Da haben wir dann immer in den Pfingstferien und in den Herbstferien so eine Woche verbracht und da hat man dann Akkordeonunterricht und macht seine Projekte. Ist halt so eine Ferienfreizeit für kleine Akkordeonisten. Da haben wir uns kennengelernt. Dann hat man sich wiedergesehen, bei Jugend musiziert und all solchen Veranstaltungen. So, das war er dann ein Jahr später, als ich in Weimar angefangen habe, dann auch nachgekommen ist.

Christofer Hameister
Noch mal zur Castingshow. Da hat ja Dieter Bohlen gesagt, das Akkordeon ist ein 
„ätzendes Instrument“, weil es so quakig ist, kommentiere ich mal an dieser Stelle nicht, möchte aber dennoch wissen, wie ihr zum Akkordeon gekommen seid.

Marius Staible
Also bei mir war das so, ich habe eine Klavierlehrerin als Mutter und die wollte sowieso, dass ich ein Instrument spiele. Allerdings alles, nur nicht Akkordeon. Und ich habe dann auf der Straße so Straßenmusik gesehen, als ich drei Jahre alt war, da hatte einer wirklich eine Quetsche dabei. Also das war eine richtige schöne Quetsche und das wollte ich unbedingt. Also da ging es dann, da kam kein Weg vorbei und ab der ersten Stunde, die ich dann hatte bei Stefan Bar, war meine Mutter dann aber auch so restlos überzeugt, dass sie mich den Rest des Lebens unterstützt hat.

Christofer Hameister
Und bei dir, Daniel?

Daniel Roth
Bei mir war es ein bisschen andersherum, weil meine Familie war ein bisschen vorbelastet, sagen wir mal so. Meine Mutter hat früher mal Akkordeon gespielt, irgendwann. Aber der ausschlaggebende Mensch war da, glaube ich, mein Opa. Der hat so wie viele Opas auch Akkordeon gespielt. Aber der hat es auch so überzeugend gemacht und mit seiner Leidenschaft und dazu gesungen. Und auf Familienfeiern hatte er es immer dabei, so dass mich seine Leidenschaft wirklich angesteckt hat.

Christofer Hameister
Dann kommt man ja irgendwann Richtung Abitur und entscheidet sich, Akkordeon zu studieren. Warum das?

Marius Staible
Also ich weiß nicht, wie es bei dir ist, Daniel, aber ein ganz großes Erlebnis war der Meisterkurs in Ottweiler dann. 

Daniel Roth
Ja, ja...

Marius Staible
Ich weiß nicht, was es war, aber da waren wir die einzigen nicht Studierenden unter lauter Studierenden. Und es war schon eine große Ehre für uns. Hatten da noch Unterricht von diesen ganzen Professoren da und mussten uns da so zu zweit durchkämpfen. Das war schon, glaube ich, so ein Impulssetzer. Für mich war es auch das Zusammenspiel mit eben Daniel, aber auch mit anderen Musiker*innen. Ich habe irgendwie gemerkt, ich bin nicht alleine, die wollten auch alle studieren. Und so war das für mich dann erledigt.

Daniel Roth
Ja, es waren schon echt diese Erlebnisse. Wir haben dann damals auch schon Projekte gemacht. Ich habe auch so, wo man auch europäische Zusammenarbeiten und Kammermusik und Akkordeon-Freizeiten und all so ein Zeug. Und wenn man da den Älteren zugeschaut hat, was sie da alles machen und was holt der aus dem Instrument raus und wie geht man damit um? Dann war man einfach restlos begeistert und wollte sich einfach nur noch da reinvertiefen und sich da reinstürzen. Und das war die Motivation.

Marius Staible
Ja, stimmt. Und dann warst du ja ein Jahr früher als ich in Weimar, habe dich ab und zu besucht. Da hatte ich noch gar keine Ahnung, wie studieren in Weimar eigentlich ist. Das war für mich tatsächlich auch so ein Ding. Ich habe gesehen, wie du's machst, bin dann halt eben ein Jahr später gekommen.

Christofer Hameister
Warum ist es überhaupt Weimar geworden? Es gibt ja auch noch Trossingen, Würzburg, München...

Marius Staible
Das war so eine von den Hochschulen, die mir damals mein Lehrer aus Saarbrücken noch mitgegeben hat. Da hieß es auch schon damals, dass die Weimarer-Schule ja, einen besonderen Wert legt auf Klang. Deshalb dachte ich okay, cool, kannte ich jetzt bisher noch nicht, aber ich bewerbe mich da mal und fahre mal hin. Und als man das dann mal getan hat, dann überzeugt natürlich die Stadt mit ihrem Charme und man fühlt sich irgendwie gleich so wohl und man kommt so schnell an, dass ich auch dann direkt hier hinwollte.

Christofer Hameister
Während ihr dann studiert habt, habt ihr auch dieses Duo „con:trust“ gegründet. Wie kam es denn dazu?

Marius Staible
Das war der Wettbewerb, oder?

Daniel Roth
Ja, es war der Wettbewerb.

Also es ist schon ein bisschen auch daraus geboren, aus dieser Akkordeon-Geschichte. Also eigentlich wollten wir auch auch zusammenspielen. Dann haben wir gedacht, okay, dann suchen wir uns auch Projekte, wo wir das machen. Und das erste war dann gleich erst mal ein Wettbewerb.

Marius Staible
Ja, da mussten wir auch einen Namen finden dann.

Daniel Roth
Wir dachten, was beschreibt uns mit einem Wort prägnant? Dann war es tatsächlich der Gegensatz. Das würde man jetzt nicht denken. Das war früher noch viel augenfälliger vielleicht, weil wir uns sehr ähnlich sahen, jetzt ein bisschen weniger. Aber wenn wir dann erst mal in Schwarz gekleidet sind und die Akkordeons vor uns auf dem Schoss haben, dann denken viele einfach wir sind Brüder, mindestens.

Tatsächlich war unsere Herangehensweise ans Instrument, unserer Ausbildung, sehr gegensätzlich. Und dann dachten wir, das ist jetzt der Kontrast. Und dann kam das kleine Wortspiel mit rein, um eben diese Freundschaft, die uns schon über lange Jahre verbindet, zum Ausdruck zu bringen, haben wir dann einen Trust, ein Vertrauen dareingesetzt.

Christofer Hameister
Okay, ihr vertraut euch ja. Seid ihr euch auch immer einig? Also was ihr so macht? Also zum Beispiel jetzt Supertalent. Ihr schaut euch in die Augen und sagt gleichzeitig: Ja, wir machen das!

Marius Staible
Es ist tatsächlich das Gegenteil. Also wir sind uns fast nie einig, außer in dem Moment, wo wir spielen, da, da funktioniert es ganz gut. Musikalisch sind wir uns immer einig, aber sonst haben wir tatsächlich immer andere Meinungen, was aber nicht zu Streitigkeiten führt. Zumindest selten, so wie ich das jetzt einschätze, sondern es führt dazu, dass man eben einfach eine breitere Perspektive hat und mehrere Möglichkeiten.

Daniel Roth 
Genau. Wir haben dann immer eine These und eine Antithese aus der wir dann synthetisch zum Besten Ergebnis kommen, kann man sagen.

Christofer Hameister
Und am Ende seid ihr euch ja dann doch einig und vor allem sehr kreativ unterwegs mit dem Akkordeon. Woher kommt das, also diese Kreativität? ? An einer Musikschule seid ja auch und unterrichtet, ja? 

Marius Staible
Also wir sind an der Musikschule -  jetzt auch schon seit längerem. Daniel in Erfurt und ich in Jena und wir waren auch schon sonst woanders noch. Und wir, wir mögen das auch sehr gerne, aber wir haben tatsächlich das große Glück, dass wir zu zweit einfach funktionieren, dass wir merken, dass wir etwas erschaffen können mit dem Instrument und das im besten Falle zu zweit. Und diesen Weg gehen wir jetzt mal weiter.

Daniel Roth
Man ist Freelancer, das ist irgendwie Fluch und Segen, mit dem man sich abfinden muss. Aber es steckt auch voller Möglichkeiten. Man ist halt free, also frei, in dem was man macht. In den Projekten, die man versucht, in der Musik, die man machen will. Und wir haben uns früh darum Gedanken gemacht, quasi, wo wir uns dann auch sehen, wo können wir hin mit unserem Instrument, wenn nicht ins Orchester, wenn nicht an die Musikschule oder in die Musikschule oder eben doch?

Wie schaffen wir es mit Projekten, uns über Wasser zu halten? Es gibt ja schließlich auch einen Musikbetrieb da draußen, eine ganze Industrie, die sich um Künstler und Musik dreht und was ist da vielleicht auch der Bedarf, den es gibt. Und wie können wir uns da einfach reinfinden?

Christofer Hameister
Naja nichtsdestotrotz, was ich ja immer sehr spannend finde, ihr habt jetzt einen Beruf gewählt, wo erst mal ein weißes Blatt Papier vorhanden ist. Also wenn es jetzt um die Kreativität geht und dieses Blatt Papier muss ja auch irgendwie beschrieben werden und man will vielleicht nicht zum 40. Mal Piazzolla einspielen. Wie geht ihr da in eure Kreativarbeit?

Daniel Roth
Na ja, wir haben dann auch irgendwann angefangen mit zumindest mit den Möglichkeiten, die uns unsere Zeit gerade bietet zu arbeiten, das ist dann Social Media auch gewesen. Da sind wir eingestiegen, haben uns da geschaut, was sind die Formate, weil wir denken, das bringt einem natürlich auch viel. Das ist auch das Medium unserer Zeit. Irgendwie ist es wie eine so eine Art Bühne, die wir auch vor allem genutzt haben, als man zu Corona nicht spielen konnte und da auch Inspiration rauszusuchen und dafür hinzuarbeiten.

Marius Staible
Ja, jetzt nicht nur auf Social Media, sondern eben im Studium lernt man ja schon viele Schnittpunkte kennen, mit allen möglichen Arten von Musik. Man spielt nahezu alles mal irgendwie. Also man wird hier eingeladen, muss da Volksmusik spielen, dann darf man da improvisieren, dann spielt man ein neues Werk, dann was Klassisches, dann spielt man Bach. Also man merkt schon ein bisschen, wo, wo könnte es hingehen. Was gefällt mir gut, was gefällt mir weniger? Wie breit will ich aufgestellt sein? Und man findet so ein bisschen seine eigene Sprache der Musik, sowohl im Improvisieren als auch im Arrangieren und im Komponieren und ich glaube, wir haben unsere Klangsprache schon relativ gut gefunden, auch wenn wir damit werben, dass wir sehr adaptiv sind. Das heißt, dass wir auch gerne eben mal was ganz Neues machen, wie zum Beispiel das Supertalent.

Christofer Hameister
Was bei euch sehr schön ist: Ihr haltet das Akkordeon sehr weit hoch, damit es möglichst viele Leute sehen und auch hören können. Ihr seid auf Instagram sehr aktiv. Wie geht ihr da vor? Also habt ihr ein kleines Team um euch herum? Sucht ihr euch die Leute an der Bauhaus-Uni? So nach dem Motto Ich kenn den du den… Marius?

Marius Staible
Also liebe Leute, ich habe gemerkt, dass man für diese Arbeit mittlerweile im heutigen Zeitalter ganz, ganz viele Menschen braucht, die ganz viele verschiedene Fähigkeiten haben. Und so zieht sich so ein simpler TikTok-Clip manchmal in der Projektlänge über Monate, wenn nicht sogar Jahre und vieles verebbt einfach auch im Sand. Man kriegt keine Rückmeldung, dann muss man da dafür sorgen, dass man mit jedem noch cool ist und und vielleicht muss man auch bezahlen und das wird dann teuer.

Dass das ist jetzt nicht nur auf TikTok bezogen, sondern auch auf Tonaufnahmen und auf Video-Projekte. Und was wir eben gemacht haben, ist uns das einfach alles selber anzueignen. Ja, also wir haben gelernt, wie man Videos schneidet, wie man sie aufnimmt. Wir haben ein eigenes Tonstudio jetzt bei uns eingerichtet, wo wir auch selber aufnehmen können. Und das ist natürlich sehr zeit…. Also das hat jetzt schon lang gedauert, bis wir so weit sind. Vier fünf Jahre arbeiten wir jetzt schon an diesem Projekt und sind gefühlt immer noch nicht fertig. Auch natürlich teuer über die Jahre. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt, weil jetzt haben wir die Freiheit frei zu entscheiden, wann und wie wollen wir aufnehmen, was für Projekte wollen wir realisieren und können uns auch alle Zeit der Welt dafür nehmen, das Projekt auf bestmögliche Weise auch abzuschließen?

Daniel Roth
Ja, genau. Also du hast es schon gesagt. Theoretisch bräuchte man eben, wenn man so was produzieren will, ein ganzes Team. Das muss man theoretisch bezahlen und das kann sich keiner leisten. Gleichzeitig wird es so wie als selbstverständlich wahrgenommen, dass jeder Künstler oder jeder Musiker irgendwo Aufnahmen hat. Entweder sei es Spotify oder YouTube oder Instagram. Wie auch immer. Diesen Aufwand, dass das sehr viel einfach bedeutet, den kennen viele Leute, glaube ich, gar nicht.

Es ist aber sehr wahnsinnig lehrreich, auch fürs eigene Spiel, für das Selbstverständnis, für auch, wie präsentiert man sich? Und wie gesagt, sogar über Musik hilft es einem nachzudenken, wenn man sich mal aus der Perspektive Gedanken macht: Wie nehme ich was auf, wann ist es gut, wie spiele ich was ein und wie muss ich spielen, damit es so rüberkommt? Durch Kamera, durch Handy? Das kann ich auf jeden Fall jedem empfehlen.

Marius Staible
Vor allen Dingen, wenn man dann das Endprodukt bearbeiten muss. Auch das. Man hört sich dann halt selber 50.000 mal und ja, normalerweise sollte es nicht so laufen. Normalerweise bearbeiten andere Menschen, das das Produkt, was man selber produziert hat. Das ist auch genau gut, weil frische Ohren hören dann anders. Ja, aber wenn man das selber macht, dann muss man da halt auch durch. Und am Ende hat man schon da auch einiges an Erfahrung gewonnen.

Christofer Hameister
Also wir halten mal wirklich fest, ihr seid sehr umtriebig. Was steht denn als nächstes an bei euch?

Marius Staible
Also jetzt steht erst mal glaube ich das größte Projekt, was wir jemals gemacht haben an. So neu… noch vor Supertalent.

Daniel Roth 
Ja schon, schon gewaltig.

Marius Staible
Vom Aufwand auf jeden Fall. Genau. Also es entstehen in diesem Zeitraum elf Uraufführungen für Akkordeon Duo. Das sagen wir glaube ich auch öffentlich das erste Mal jetzt hier in diesem Podcast. Es entstehen neue Uraufführungen, und zwar nicht nur von europäischen Komponisten und Komponistinnen, sondern auch von amerikanischen. Und die werden dann eben auch in Amerika geprobt und aufgeführt. Und das Spannende ist eben genau, genauer gesagt in New York. Und das Spannende ist, dass dort eben das Akkordeon in diesem europäischen Sinne, in diesem modernen Sinne nicht so gibt's auch nicht an der Hochschule als Ausbildungsplatz oder so wie hier. Und deswegen genau gibt es einen kleinen Austausch und da geht es über den großen Teich.

Daniel Roth
Es gibt zwar, in der Neuen Musik gibt es den Bedarf und irgendwie wird es auch gern verwendet, aber es mangelt an der Spielkultur einfach ein bisschen. Es gibt die Leute nicht dafür und deswegen werden sogar wir dafür eingeflogen.

Marius Staible
Es ist schon wirklich unfassbar schön für uns natürlich auch, dass das machen zu dürfen und mit so vielen tollen Menschen zusammenzuarbeiten, dass es unfassbar. Und vor allen Dingen ist es unser eigenes Projekt und noch mal dann wichtiger auch für uns. Und am meisten treiben mich wahrscheinlich abgeschlossene Projekte an! Ich finde das richtig klasse, wenn man ein Projekt gemacht hat, monatelang und am Ende sagt: Jetzt ist es fertig. Ich kann es weglegen und es ist sogar gut fetig. Ist gut geworden. Das treibt mich an, das gibt mir ganz viel Energie. Weiß nicht, ob du da irgendwie so was hast.

Daniel Roth
Ja ne, bei mir ist andersherum  - natürlich ist es andersrum. Ich will nicht sagen…

Marius Staible
…ist egal obs fertig ist oder nicht, Hauptsache man hat angefangen.

Daniel Roth
Ich habe so eine ganz vorne… Also ich denke, ein Projekt von vorne und denke mir habe vom Anfang die größte Motivation, wo ich denke "geil, das will ich machen", wenn ich unbedingt so was hören will, was ich noch nicht gehört habe oder schon mal so was gehört habe und das auch machen will, dann denke ich mir da schlag ich jetzt rein.

Marius Staible
Es ist auch wirklich sinnbildlich. Gerade so bei mir liegt auf dem Schreibtisch so viel Zeug, was ich fertig machen muss Christopher, ich muss es fertigmachen, weil der Mann da links zu meiner Seite es einfach nicht tut, es einfach begonnen hat. Und es ist geil. Es ist super cool, dass es da ist. Aber jetzt muss ich es fertig machen. Danke.

Daniel Roth
Perfektes Team, oder?

Christofer Hameister
So, bevor ihr die Dinge erledigen könnt, müssen wir aber über eine große Sache noch mal reden. Das Akkordeon stand deutschlandweit in den Schlagzeilen in den letzten Wochen. Und zwar mit der Überschrift „Internationaler Akkordeon-Wettbewerb in Klingenthal fällt dieses Jahr aus“. Jetzt muss man noch mal betonen, ist es ja weltweit der renommierte Wettbewerb im Akkordeon Bereich. Auch mit den kleinen Tagen der Harmonika. Also der Nachwuchs-Wettbewerb. Warum wird da abgesagt? Also die Veranstalter sagen es gibt personelle Umstrukturierungen und die Zuschüsse, die wurden wohl gekürzt. Wenn ihr das so hört, was macht das mit euch?

Marius Staible
Das ist natürlich schon krass, weil für unser Instrument ist das ja, wie du schon gesagt hast, der wichtigste Wettbewerb, eine der größten Bühnen, eine der größten Plattformen. Die Leute arbeiten jahrelang darauf hin, und sie kommen aus aller Welt. Und es ist total unverständlich, wie so eine wichtige Bühne einfach so verschwinden kann.

Daniel Roth
Das Besondere ist ja daran, dass es halt so ein traditionsreicher Standort ist das, ist das nicht nur den Wettbewerb, sondern auch die, die Weltmeisterfabrik ja schon so lange gibt. Und das ist schon seit diesen Tagen, ich glaube jetzt, jetzt wäre der 65. gewesen oder so, ne

Christofer Hameister
61.

Daniel Roth
61. Das muss man erst mal schaffen. In diesem beschaulichen Örtchen im tiefsten Vogtland. Da das aber trotzdem so internationales Renommee genießt und dass so viele Leute von überall anreisen und was da immer auch auf der Bühne geboten wurde sucht auf jeden Fall seinesgleichen.

Marius Staible
Ja, wir sollten uns auf jeden Fall da bemerkbar machen, dass das wäre schon wichtig, weil es ist für mich so, wenn wir immer ich weiß nicht, wie du's aufgenommen hast, aber die ganze Stadt hat gelebt von diesem Akkordeon-Wettbewerb. Alle waren interessiert, dass es da ist. Die Leute sind gekommen, auch in die Wettbewerbsrunden.

Daniel Roth
Sogar die Skispringer.

Marius Staible 
Sogar die Skispringer sind… also das war ja schon ein riesengroßes Event, was da von Jörg Künzel auf die Beine gestellt wurde und seiner Frau. Und dass das einfach so verschwindet, muss entweder heißen, dass es den Leuten einfach total egal ist, was wir machen, oder dass wir einfach nicht deutlich genug zeigen, wie wichtig uns das eigentlich ist. Deswegen an dieser Stelle hoffen wir, dass es weitergeht im nächsten Jahr.

Christofer Hameister
Das hoffe ich auch - auch persönlich. Gut, dass wir dieses Statement noch mal setzen können. Daniel Marius ich hoffe auch, dass ihr gut dann Europareise bestreitet - in New York maximale Erfolge dort. Bleibt bitte weiterhin so umtriebig. Vielen, vielen Dank für das tolle Gespräch.

Daniel Roth 
Herzlichen Dank, Christopher. 

Marius Staible
Danke. Das bedeutet uns viel, ehrlich. 
 

11. Folge: Musiktheorieprofessor Jörn Arnecke

Jörn Arnecke, Professor für Musiktheorie und Komponist, setzt sich damit auseinander, wie künstliche Intelligenz die Musikwelt verändern wird. Für ihn steht fest, dass es die unaufhaltsame Entwicklung mit zu gestalten gilt. Vielleicht kann KI in Zukunft ja Routinearbeiten übernehmen, so dass wir mehr Raum für Kreativität haben? Steigt die musikalische Qualität durch KI vielleicht sogar an? Welche Risiken dürfen wir dabei nicht aus dem Blick verlieren?

Außerdem spricht der Musiktheoretiker im Podcast darüber, wie er zu seinem Fach gekommen ist und warum es auch für Instrumentalist*innen eine wichtige Rolle spielt.

Diese Folge bei Spotify hören 

Transkript 11. Folge

Christofer Hameister
Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcastfolge der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Damit Sie uns besser kennenlernen, sprechen wir ja Monat für Monat mit Angehörigen der Musikhochschule und freuen uns heute auf den Komponisten und Professor Jörn Anneke.

Jörn Arnecke
Hallo, ich freue mich sehr, Herr Hameister, dass wir das Gespräch führen können und bin sehr dankbar, mich hier im Podcast zeigen zu dürfen.

Christofer Hameister
Bevor wir anfangen, ist es schon eine Tradition bei unserem Podcast, dass sich jeder hier einmal vorstellen darf. Und zwar mit einem Musikbegriff seiner Wahl. Das kann ein Instrument sein, das kann eine Gattung sein, eine Epoche. Was beschreibt Jörn Anneke am besten?

Jörn Arnecke
Vielleicht „lirico“ – lyrisch. Ich glaube, wenn ich jetzt meine Hochschultätigkeit reflektiere, das ist eine ganz wichtige Aufgabe, weil ich ja auch Dekan bin, schon auch ist, Verständigung herzustellen zwischen verschiedenen Interessen und auch zwischen verschiedenen Personen. Und ich glaube, dass da eine ausgleichende Art ganz hilfreich ist. Ich glaube, dass sich dieses lyrische Empfinden dann vielleicht auch in der Unterrichtspraxis widerspiegelt. Das müssen Studierende beantworten. Und weil sie auch mich als Komponist genannt haben. Das ist, denke ich, schon auch eine Idee meines Komponierens, dass zum Beispiel auch gesanglich eine große Rolle spielt. Bei aller zeitgenössischen Technik. Aber ich bin ja sehr viele Musiktheater aktiv und da spielt natürlich Umgang mit Stimme und damit auch mit lyrischer Qualität eine große Rolle.

Christofer Hameister
Ich weiß, dass Sie in Weimar auch für die Kinderuniversität Vorlesungen gehalten haben. Wenn ein Kind Sie fragen würde, was Sie beruflich machen, wie erklären Sie einem Kind, was Sie beruflich machen?

Jörn Arnecke
Ja, ich unterrichte das, was die Musik zusammenhält und was sie ausmacht. Und ich glaube, mit dem Bereich der Bildung ist es auch viel einfacher und anschaulicher zu erklären, dass natürlich jede Musikerin und jeder Musiker ein sehr gut trainiertes Gehör benötigt, um den Beruf dann auch später ausüben zu können. Das betrifft Instrumentalstudierende ganz genauso wie Instrumentierende, die vielleicht Komposition machen wollen und ihr inneres Ohr schulen wollen. Das betrifft Schulmusikstudierende, das betrifft die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und nicht zuletzt auch mein eigenes Fach die Musiktheorie. Also das Gehör, ist ein ganz wichtiger Vermittler für uns, Musik kennenzulernen, Musik auch zu deuten. Und der Bereich Musiktheorie, der versucht zu beschreiben, wie man Musik darstellen, erklären und auch nachbauen kann. Denn das machen wir im Master Musiktheorie ja auch sehr viel, dass wir versuchen, in historischen Stilen auch selbst Tonsetzer zu schreiben.

Christofer Hameister
Wenn man ein wenig so durch ihre Biografie schaut, fällt dann doch auf, dass Sie mit 21 angefangen haben Komposition und Musiktheorie zu studieren in Hamburg, also mit 21. Dieses Jahr haben Sie Ihren 50 Geburtstag gefeiert. Herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle. Und es spricht ja schon Bände, wenn man sagen kann auch nach fast 30 Jahren Studienbeginn bin ich immer noch der Musik treu geblieben. Und das Komponieren spielt bei mir eine Rolle. Wie sind Sie eigentlich zur Musik gekommen in Kindertagen?

Jörn Arnecke
Ja, vielen Dank erst mal für die Glückwünsche. Ich glaube, dass bei mir in den Kindertagen das Komponieren ein Bereich war, in dem ich mich vollkommen frei ausleben konnte. Ich komme aus keinem musikalisch professionellen Elternhaus. Das heißt, insbesondere meine Mutter hat sehr gerne Musik gemacht, aber auch Instrumentalspiel war bei meinen Eltern nicht so fundiert und das bedeutet, dass sie uns Kindern (ich habe eine ältere Schwester) das zugutekommen lassen wollten, was ihnen selbst ein Stück weit nicht möglich gewesen war in ihrer Jugend.

Das bezog sich aber vor allem darauf, ein oder mehrere Instrumente zu lernen. Komponieren war meine total eigene Angelegenheit und da hat mir insofern keiner reingeredet. Und es war wie so eine kleine Insel des Traumes für mich, da sich was auszudenken. Erst auch ganz naiv und dann zunehmend bewusster und auch geschulter. Das war dann die Hinwendung zum Komponieren. Die Idee, damit beruflich etwas anfangen zu können, die kam tatsächlich erst viel später und auch erst nach und nach. Da gab es keinen „Umschalt-Moment“, sondern eine allmähliche Überzeugung, dass es vielleicht was werden könnte.

Christofer Hameister
Sie haben gerade gesagt, Sie haben als Kind schon komponiert.

Jörn Arnecke
Ja, Ich habe zum Beispiel angefangen auf einem ganz kleinen Keyboard, das ich geschenkt bekommen hatte, das nur wenige Oktaven Umfang hatte, Melodien zu spielen und dann mir auch zu notieren, weil ich gemerkt hatte, ich kann mir die nicht so gut merken. Ich muss das besser aufschreiben, damit ich das behalte. Und das war tatsächlich gar nicht Musiktheorie geschult. Aber im Rückblick kann man sagen, dass da natürlich Prinzipien von Wiederholung und von Themenbau schon einfach aus der Imitation von bekannten Stücken bei mir da waren.

Aber so was wie C-Dur und Moll zu unterscheiden war mir zum Beispiel noch nicht möglich. Für mich war das dann eine Tonart ohne Vorzeichen, also C-Dur, selbst wenn die Melodie in a-Moll spielte. Und das hat sich dann langsam ausgedehnt, auch auf etwas größere Zusammenhänge. Irgendwann haben meine Eltern gemerkt, dass ist schon irgendwie ein bisschen merkwürdig, was der Junge da macht und sollte man das nicht auch mal durch Unterricht unterstützen lassen? Und dann habe ich bei einem ehemaligen Kirchenchor-Kantor aus meiner Heimatstadt Hameln, Siegfried Steche meinen ersten Unterricht gehabt und das war tatsächlich sehr viel Musiktheorie, aber auch Komposition schon in einer sehr traditionellen technischen Weise, was mir ein sehr gutes Rüstzeug gegeben hat, von dem ich eigentlich immer noch profitiere.

Christofer Hameister
Von welchem Instrument kommen Sie ursprünglich? Ich glaube, Sie haben mit der Blockflöte angefangen, oder?

Jörn Arnecke
Das ist richtig. Ich bring die auch immer noch in die Instrumentenkunde|Akustik mit. Aber das Spielen überlasse ich dann doch besser den Spezialistinnen und Spezialisten. Ja, aber mit Blockflöte ging es los. Dann kam das Cello und dann kam das Klavier. Meine ältere Schwester spielte Klavier, insofern war ein Instrument im Haus, und ich habe dann nicht nur in diesem Punkt versucht, sie ein bisschen nachzumachen und habe dann also noch bevor ich Unterricht hatte, mich selbst sehr gerne ans Klavier gesetzt. Und auch das wurde dann eher unterstützender Weise mit Unterricht noch begleitet. Und tatsächlich zum Glück, denn im Studium Komposition Musiktheorie in Hamburg war natürlich Klavier ein ganz wichtiges Instrument. Das Cello rutschte dann in den Hintergrund, obwohl das natürlich nach wie vor sehr wichtig ist, die Streichinstrumente gut zu kennen, nicht nur für die Instrumentenkunde, sondern auch für alle anderen praktischen Angelegenheiten des Tonsatzes oder der Komposition.

Christofer Hameister
Gab es denn auch eine Alternative zur Musik bei Ihnen?

Jörn Arnecke
Ja, das gab es. Ich habe über Jura nachgedacht. Ich habe mich mit Geschichte sehr stark befasst, auch mit einem Praktikum. Das war eine allmähliche Entscheidung. Damals gab es ja noch den Zivildienst, der obligatorisch war. Da habe ich zur Hälfte auch Musik gemacht. Wir haben Altenheime in München mit Liedernachmittagen versorgt, in einer Zivildienst-Musikgruppe. Und das war dann eigentlich der Moment zu sagen, weil ich dann auch eine Eignungsprüfung schon bestanden hatte: Ja, ich wage das mit der Musik und habe dann, also nach dem Zivildienst, mit dem Musikstudium begonnen.

Christofer Hameister
Wenn man etwas studiert oder sich einem Thema widmet, Herr Anneke, dann ist es ja meist so, dass man sich dem komplett hingibt. Das kommt ja aus einer Motivation heraus. Und mich würde mal interessieren: Welche Motivation war es bei Ihnen, dass Sie nach Tönen forschen oder was hat Sie angetrieben?

Jörn Arnecke
Ja, das ist eine sehr spannende Frage, weil ich ja auch sehr viele studierende Generation erlebe und man sich manchmal ja auch fragt: Wie war das zu meiner Zeit? Wie war das in meinen Studienjahren mit meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen damals? Vielleicht auch: Wie war ich da selbst? Ja, wissbegierig, das hoffe ich und glaube ich schon. Ich denke auch, dass wir schon damals eine gewisse Horizonterweiterung im Sinn hatten. Ich habe mich zum Beispiel in Hamburg auch in ein Seminar reingesetzt, das war eigentlich für Musiktheater-Regisseurinnen und -Regisseure bestimmt, die das als Beruf dann machen wollten. Und das gehörte gar nicht zu meinem Fach. Ich habe mich auch in Kulturmanagement mal reingesetzt. Also ich glaube, das trage ich auch immer noch in mir, dass man zumindest in den Fächern Musiktheorie und auch bei Komposition nicht sich auf seine engste Fahrspur begrenzen sollte, sondern man braucht den Blick nach außen und kriegt dann plötzlich Erfahrungen, die man auch gar nicht geahnt hat.

Ich bin fest davon überzeugt, auch für einen langjährigen Berufsweg und das haben Sie ja am Anfang angedeutet ist das so unglaublich wichtig, dass man noch weitere Interessen auch ausbildet und auch fundiert, also sich eine gute Grundlage gibt. Und das würde ich tatsächlich gerne weiter mitgeben. Da ist auch die Musiktheorie ein wunderbares Fach dafür, denn wir gucken rechts und links, wir müssen das tun. Wir sind ja auch eine ganz kleine Disziplin hier an der Hochschule, und wir brauchen die Anregungen aus anderen Fächern. So wie wir, glaube ich, auch für ganz viele Fächer was beitragen können.

Christofer Hameister
Hinter diesen Fächern stecken ja auch immer kluge Köpfe, die einen fördern, die auch einen inspirieren. Hatten Sie solche Menschen?

Jörn Arnecke 
Auf jeden Fall. Wenn ich jetzt an meine Hamburger-Jahre denke, da ist da auch ganz wichtig, dass ich zwei verschiedene Hauptfachlehrer hatte, nämlich zunächst Volkhard Preuss, der eher seinen Schwerpunkt im Bereich der Musiktheorie hatte. Und dann bin ich nach Paris gegangen, zu Gérard Grisey. Das ist ein Komponist, den ich nach wie vor für einen der wichtigsten Köpfe des 20. Jahrhunderts halte. Ich habe das Glück gehabt, da ein Jahr in der Klasse zu sein. Es war also die Chance, von diesem, wie ich finde, wirklich Meister der spektralen Komposition, noch etwas zu lernen und direkt zu erfahren, weit über das spektrale Komponieren hinaus wirklich etwas über Musik zu erfahren, auch etwas über Strenge im Umgang mit sich selbst, was soll man überhaupt veröffentlichen? Was ist es wert, aufgeführt zu werden? Da wurden sehr hohe Maßstäbe gesetzt, die andererseits aber natürlich auch zu großen Zweifeln geführt haben bei mir. Und dann war es für mich ein wunderbarer Ausgleich, dass ich zurück kam nach Hamburg und bei einem neuen Professor für Komposition dann weiterstudieren konnte. Das war Peter Michael Hamel, der ja auch in Hamburg sehr weitreichende Bezüge gespannt hatte, der in der Freien Akademie lange Jahre Sektionsleiter war für Musik und Peter Michael Hamel hatte eine unglaublich motivierende Art und all das, was an Zweifeln aus der Pariser Zeit gekommen war, das hat er wirklich in bester Weise zusammengefügt zu einer Motivation, zum Eigenen zu finden und da auch ein Zutrauen zu haben, dass das auch was ist, was eine Aussage musikalisch erreichen kann.

Und so sind es die verschiedenen Personen und vielleicht auch Einflüsse, die zu verschiedenen Zeiten im Studienleben gut und wichtig sind, die dann die Ausbildung insgesamt ergeben. Deswegen bin ich auch wirklich sehr frei damit und rate auch Musiktheorie Hauptfachstudierenden: Sie können wirklich verschiedene Lehrende ausprobieren bei uns. Das ist für die Studierenden der absolut wichtige Weg, auch mal jemand anders kennenzulernen. Und da versuche ich eine große Gelassenheit und auch eine Neugier zu erreichen. Diese Idee der offenen Tür, die halte ich für sehr, sehr wichtig für alle Seiten.

Christofer Hameister
Es fiel gerade der Satz „was es wert ist, aufgeführt zu werden oder was man überhaupt veröffentlichen sollte“. Jetzt sind Sie ja Komponist. Was veröffentlichen Sie denn?

Jörn Arnecke
Ich komponiere Musik für Musiktheater und Konzert. Ich komponiere neue Klänge, die trotzdem versuchen, auch die Hörerinnen und den Hörer zu erreichen. Also insofern auch auf Vertrautem aufbauen, aber die Hörenden auch überraschen mit neuen Klangmöglichkeiten, auch mit neuen formalen Ideen. Und das übrigens wäre auch ein ganz wichtiger Punkt für mich, ein gutes Maß zu finden an Überraschung und Erwartung. Denn auch das kann man ja aus der Musiktheorie lernen. Damit haben schon viele Komponistinnen und Komponisten gearbeitet, dass sie etwas lange Aufbauen, was bei den Hörenden auch Erwartungen weckt und die Frage, wie man damit umgeht. Löst man die ein oder macht man ganz was Anderes? Das sind dann die entscheidenden dramaturgischen Wege, auch im Konzert zu berühren und auch zu packen. Oder vielleicht manchmal, auch und das ist im Musiktheater sicherlich auch mal notwendig, zu verstören. Ich würde im Musiktheater noch dazusagen, dass wir Themen behandeln müssen, die gesellschaftlich heute was zu bedeuten haben, die insofern den Besucherinnen und Besuchern auch etwas mitgeben über die Musik hinaus, dass die Musik ergreifen soll, aber auch dazu anregt, über Themen neu nachzudenken.

Christofer Hameister
Zeitgenössische klassische Musik oder Neue Musik gilt ja in der breiten Masse (mit Verlaub), als etwas sehr schwierig vermittelbar. Mir hat mal ein schlauer Mensch gesagt: „Wenn man neue Musik verstehen möchte, das ist ein bisschen wie eine Sprache. Man muss sie erst lernen und begreifen, um sie zu verstehen.“ Wie sehen Sie das und wo besteht Ihre Aufgabe in der Vermittlung der Neuen Musik?

Jörn Arnecke
Ja, das ist eine ganz wichtige Frage. Und die betrifft tatsächlich auch die Musiktheorie, weil sie ja auch als Vermittlung funktioniert und weil wir ja nicht nur mit historischen Stilen uns beschäftigen, sondern auch mit Musik des 20 - 21. Jahrhunderts und da auch als Vermittler von anderen Komponistinnen und Komponisten auftreten. Und ich glaube auch darin eine große Chance zu sehen.

Es gibt ja einerseits manches Befremden über diese Musik, die die Musik unserer Zeit ist, und es gibt aber auch ein großes Interesse. Und ich fand es sehr wichtig, dass man breiteren Schichten auch das faszinierende an solchen neuen Klängen überbringen könnte. Und das Spannende, das darin liegt, dass man sich über die Qualität eines Stückes in dem Moment, in dem es erklingt, noch nicht im Klaren ist.

Wenn wir in ein Konzert gehen und wir hören ein Standardprogramm mit einer Haydn-Symphonie, einem, sagen wir, Beethoven-Klavierkonzert und einer Tschaikowski-Symphonie am Ende, dann sind wir uns doch im Vorhinein darüber einig, dass wir diese Stücke als qualitätvoll begreifen. Aber wenn ein Stück von Peter Eötvös zu Beginn steht, dann ist da schon die Frage: Wie finden wir das eigentlich, so ein neues Stück? Obwohl Peter Eötvös ja auch sehr zugänglich komponiert. Was interessiert uns daran? Und das kann einen ganz anderen Austausch über Musik verursachen, als das bei den Repertoirestücken der Fall ist. Und dann darf gerne auch wie im Orchester heute Abend Tschaikowski dann als Symphonie im zweiten Teil erklingen. Aber wir haben verschiedene Möglichkeiten, uns über Musik zu unterhalten und das Neue zu diskutieren, auch konträre Meinungen zuzulassen.

Der eine mag es, der andere mag es gar nicht. Das finde ich einen total wichtigen Prozess. Und für die Vermittlung kann man natürlich Hörhilfen schaffen. Also man kann gewisse Pfade bahnen, wie man sich durch das Stück hindurchbewegt, oder wie man auch hineingezogen werden kann. Das wäre ein Aspekt, der, glaube ich, auch für die Musiktheorie sehr gut beschreibbar ist. Diese Aufregung zu vermitteln, dass da was Neues kommt, was man nicht kennt und vielleicht auch noch gar nicht auf CDs oder im Stream hören kann, das ist eine Erlebnisqualität, die wir auch wieder neu entdecken müssen.

Christofer Hameister
Die neueste Entdeckung ist ja die künstliche Intelligenz. Auch in der Musik wird sie verwendet. Darüber sprechen wir gleich mit Ihnen. Vorher machen wir eine Schnellfragerunde. 

Jörn Arnecke
Gut

Christofer Hameister
Weimar ist für mich?

Jörn Arnecke
Mein Lebensmittelpunkt und meine Heimat geworden und meine drei Kinder sind hier geboren.

Christofer Hameister
Wenn Sie sich ein Land aussuchen könnten, in dem Sie leben würden, welches wäre es?

Jörn Arnecke
Das wäre vielleicht tatsächlich Frankreich, weil ich da große Erinnerungen mit verbinde und zugleich um die wunderbare Schönheit der Landschaft weiß und es auch noch ein bisschen wärmer ist als hier.

Christofer Hameister
Wenn Sie mit einem Komponisten sprechen würden, wer wäre es und was würden Sie ihn fragen?

Jörn Arnecke
Das wäre Franz Schubert. Und ich müsste für die Frage tatsächlich, wenn es nur eine sein dürfte, lange überlegen, weil es so viel in diesem reichen Werk in wenigen Lebensjahren zu entdecken gibt.

Christofer Hameister
Gibt es eine Musikrichtung, die Sie gar nicht hören?

Jörn Arnecke
Es gibt so viele Musikrichtungen, dass man umgekehrt betrachtet, es vielleicht gar nicht schaffen kann, sie alle zu hören. Ich stelle immer wieder fest, wie fokussiert mein Werdegang auf klassische Musik war und bin froh, davon auch von sehr offenen Studierenden abgelenkt zu werden.

Christofer Hameister
Welchen Job an einer Hochschule würden Sie gerne mal machen?

Jörn Arnecke
Ich bin sehr zufrieden da, wo ich bin.

Christofer Hameister
Na gut, das lassen wir dann so stehen. Herr Arnecke, ich habe ein Zitat mitgebracht, stand mal in der Zeitung. Da heißt es Zitat „Die neue Erfindung ist Gift für Autoren. Eine Bedrohung für den Lebensunterhalt vereinigt euch! Ihr müsst eure Tantiemen retten.“ Was glauben Sie, mit welcher Erfindung hat dieses Zitat zu tun?

Jörn Arnecke
Ja, da geht es sicherlich um künstliche Intelligenz. Das ist genau das große Risiko, auch die ethische Abwägung, die wir treffen wollen. Ich sage es mal überspitzt: Müssen wir da auch noch mitmachen, dass Arbeitsplätze von Kreativschaffenden abgeschafft werden? Das diskutieren wir. Und meine Antwort ist: Wir kämpfen darum KI vernünftig einzusetzen und sogar noch einen kreativen Gewinn daraus zu ziehen und nicht den Verlust zu sehen.

Christofer Hameister
Herr Arnecke ich bin sehr dankbar, dass Sie KI gesagt haben, denn ich habe Sie ein bisschen in die Irre geführt, denn das Zitat stammt aus dem Jahr 1963, und es geht um die Erfindung des Fotokopierers.

Jörn Arnecke
Sehr schön. Ja, da sieht man, dass sich Diskussionen dann doch auch entsprechend wiederholen können. Ja, und man sieht auch „rettet eure Tantiemen“, dass das damals schon Thema war. Übrigens Verlage verdienen auch kaum noch Geld mit Papierverkauf. Da war das Zitat von 1963 dann sicherlich auch zutreffend. Ja, da ist eine Entwicklung im Gange, die auf eine ähnliche Weise natürlich unsere Sinnfrage stellt und auch existentielle Fragen aufwirft. Und ich glaube, wir als Hochschule sind sehr gut beraten, wie es ja die Hochschule auch gerade sehr aktiv macht, diese Diskussion zu führen und trotzdem das Thema nicht auszublenden, sondern aktiv zu betreiben. Also Diskussionen nicht nur mit dem Ziel zu führen, das in eine Selbstständigkeitserklärung münden zu lassen, in der die Studierenden sagen, dass sie keine KI genutzt haben, sondern den Umgang mit KI in Lehrveranstaltungen vernünftig zu trainieren und auch Projekte durchzuführen, auch den Studierenden transparent zu machen, in denen wir KI weiterentwickeln, damit wir als Bildungseinrichtung auch den Weg mit steuern können, die diese Entwicklung, die auf jeden Fall kommt, nimmt.

Christofer Hameister
Sie haben gesagt, man sollte projektbasiert arbeiten, um sich dem Thema KI zu widmen. Ein Projekt ist an der Hochschule der Musikautomat. Schildern Sie uns mal, was da passiert.

Jörn Arnecke
Dabei handelt es sich um ein Projekt, das jetzt im Oktober gestartet ist. Wir wollen da KI dazu nutzen, einen Dialog zu bauen zwischen Studierenden und diesem Automaten, um in historischen Stilen zu komponieren und schlicht gesagt schneller voranzukommen. Studierende schreiben ja schon Tonsätze bei uns in der Musiktheorie in alten Stilen. Aber es ist dann oft eine relativ mühevolle Angelegenheit.

Wir wollen durch die KI Angebote machen, wie es weitergehen könnte zum Beispiel, und die Studierenden dann Entscheidungen treffen lassen und darüber auch Erkenntnisse gewinnen, was denn eigentlich zutreffend oder besser in einem gewissen Stil ist. Wir wollen also nicht das Ganze losgelöst auf Knopfdruck machen, sondern einbinden auch in eine Didaktik und in Entscheidungen, die Menschen treffen. Jetzt im Moment treffen wir die Vorbereitungen, um diesen Automaten lauffähig zu machen. Das wird immer wieder vorgestellt. Ich habe heute im Hauptfach kurz darüber berichtet. Haben wir auch ein Ergebnis gesehen… Da gibt es natürlich jetzt auch ganz verschiedene Möglichkeiten Fugenbau mit Maschinen zu trainieren. Wir haben jetzt mit der KI ja die Möglichkeit, große Datenmengen zu sammeln und der Maschine zur Verfügung zu stellen und über dieses Hintergrundwissen dann auch bestimmte Stile auszugeben.

Gerade am Beispiel der Fuge fand ich das total interessant, was im ersten Ansatz herauskam. Wir haben da Fugen eingespielt, aber das, was die Maschine, was der Automat ausgeworfen hat, das waren eigentlich aneinandergefügte Zwischenspiele. Und wenn man da Stücke hat, die Zwischenspiele sehr ausführlich formulieren, dann ist das für die Maschine sicherlich auch einfacher nachzuahmen als einen komplexen Bau einer Fugenexposition.

Da sehen wir auch, dass wir natürlich didaktisch mit steuern müssen, wenn wir die Sachen zu einem guten Ergebnis bringen wollen. Und ich wünsche mir davon, dass man das als ein Werkzeug begreift, das einiges kann und das uns vielleicht auch aufzeigt, worin unsere spezifisch menschliche, kreative Qualität liegen könnte, sodass wir Routinearbeiten von der KI machen lassen können. Aber uns bewusster werden, was eigentlich jenseits der Routine die Entscheidungen sind, die wir ästhetisch treffen.

Und das, glaube ich, ist damit auch ein Gewinn an Kreativität, vielleicht sogar auch ein Gewinn an Qualität insgesamt. Und deswegen sehe ich diese Entwicklung zwar schon auch mit den Risiken, aber auch mit den Chancen. Vielleicht führt es auch dazu, dass wir vom Ohr her kritischer werden und ein Stück, das nichts Neues bringt, eher noch aussortieren, weil wir denken, das könnte ja auch die KI und auf die Stücke, die wirklich was bringen, auf das man nicht von vornherein gekommen wäre, dass man die noch stärker qualitativ auch heraushebt und sagt, das ist wirklich großartig, was Kreativität da erzeugt hat.

Christofer Hameister
Ja, wo sie die Qualität von KI in der Musik ansprechen: Es gibt Menschen, die sagen Musik von künstlicher Intelligenz ist inhaltsleerer und uninteressanter als Musik von echten Menschen. Was sagen Sie denn?

Jörn Arnecke
Ja, das ist zunächst mal schon statistisch zutreffend, denn die KI findet ja den wahrscheinlichsten Fortsetzungsgang. Und wenn man sich kreativ beschäftigt, dann möchte man ja auch mal Überraschung platzieren. Und das, was Erwartung und was Überraschung ist, das müssen die KIs durch das Aufsaugen ganz verschiedener Stücke lernen. Also das glaube ich, ist momentan der Stand. Und natürlich wird sich da die Entwicklung auch noch stark in andere Höhen bewegen, auch der Ergebnisse. Aber das wollen wir gerade nicht. Wir wollen nicht geschwurbelte Wortphrasen auf die Musik übertragen, sondern wir wollen damit auch mehr Präzision für die musikalische Aussage und deswegen die menschliche Steuerung. Ich glaube, wenn man jetzt gerade Text-Produkte der KI liest, dann bekommt man ja auch schon ein Gefühl dafür, woran es da fehlt. Und das auf die Musik zu übertragen ist unser Metier, weil wir hier Musikhochschule sind.

Meine große Hoffnung ist, dass ein gewisser emotionaler Bereich dann doch von der KI nicht so gut erreicht werden kann und dass der Mensch noch eher in der Lage ist, wirklich Triftiges und vor allem komprimiert Triftiges zu sagen.

Christofer Hameister
Nun ist ja der Vorteil eines Hochschulprofessors auch die Tatsache, dass man mit jungen Menschen in Kontakt kommt und auch im Prinzip die mal fragen kann, wie die zur künstlichen Intelligenz stehen. Sagen die „Ach nee, bitte nicht, Ich lehne das komplett ab“ oder stehen die dem offen entgegen?

Jörn Arnecke
Ich glaube, dass wir da ja auch ein ganz spezielles Publikum hier an der Hochschule haben. Das sind ja viele Menschen, die mit der extremen Virtuosität in ihrem Instrument groß geworden sind. Und ich fand das sehr interessant, ich habe das in der allgemeinen Musiklehre, also einer sehr breit angelegten Lehrveranstaltung, vorgestellt. Da ging es um „KATI“, um die Kantionalsatzmaschine, die wir gebaut haben, auch zusammen mit Alex Vaughan, der auch des Projekt des Musikautomaten jetzt hier mitverfolgt und entscheidend programmiert.

Ich habe also vorgestellt, dass, da wir eine Maschine gebaut haben, die nach einer gegebenen Melodie schon Chor-Sätze aus der Zeit um 1600 schreiben kann. Das funktioniert auch ziemlich gut. Und da kam tatsächlich auch die Reaktion: „Wenn wir so was machen, auch wenn wir uns an der KI-Diskussion aktiv beteiligen und Projekte da durchführen, leisten wir dem nicht Vorschub... dem, was eigentlich unsere eigene Existenz als Musikerin oder Musiker bedroht?“ Ich fand es toll, dass das schon kam auch in einer Lehrveranstaltung, die ja vor allem Studierende im ersten Semester erreicht. Ich fand es auch wichtig, habe das auch natürlich aufgenommen in der Diskussion.

Da gibt es natürlich eine kritische Sicht. Es gibt aber auch die Sicht, dass das faszinierend ist und wichtig und notwendig, sich damit zu beschäftigen. Die Spannweite ist da groß und das ist vielleicht das, was auch unter „Risiken eingehen“ zu verstehen ist. Wir kommen weiter, auch indem wir Widersprüche zulassen.

Christofer Hameister
Wir stehen ja im Prinzip gerade noch am Anfang. Es wird erforscht, es wird ergründet, was KI alles kann. Es ist sicherlich auch sehr früh, jetzt ein Zwischenfazit zu ziehen. Aber Sie beschäftigen sich damit. Was sagen Sie: KI in der Musik - Fluch oder Segen?

Jörn Arnecke
Wir werden selbst daran mitwirken müssen, dass die Nadel in diesem Tacho zwischen Fluch und Segen sich eher Richtung Segen bewegt. Und das ist auch eine schwierige Aufgabe. Ich sehe das wirklich durchaus ernst. Es wird eine gewaltige Veränderung geben. Da werden natürlich sich auch Arbeitsplätze verändern, da werden sich auch Berufswege verändern. Ich glaube nur nicht, dass wir dem beikommen, indem wir sagen, wir beteiligen uns nicht daran, sondern im Gegenteil, wir müssen versuchen, das qualitätvoll zu gestalten.

Ich glaube in allererster Linie ist es gar nicht aufzuhalten. Also Fluch oder Segen wird von uns hoffentlich mit gesteuert. Das sind natürlich auch große Entwicklungen, an denen wir nur begrenzt da Einfluss ausüben können. Aber wir sind ein Ausbildungsinstitut, das das mitnimmt und das Studierende hier in eine Welt entlässt, wenn sie ein Abschlusszeugnis bekommen, die von KI geprägt sein wird. Und ich glaube, dass ein großer Anteil tatsächlich auch förderlich ist für unsere Art, Wissen zu verarbeiten, Wissen zu erlangen. Aber ganz entscheidend ist, dass wir den Umgang damit üben und erlernen und dass wir auch Werkzeuge aufbauen für unseren speziell musikalischen Bereich und Bedarf, die das gut zulassen. Deswegen sehe ich solch ein Projekt an der Hochschule genau richtig angesiedelt.

Deswegen sind wir auch dabei so was scheinbar thematisch weit auseinanderliegendes wie historischer Stil und KI miteinander zu verbinden. Wir wollen auch die Urheberrechtsfragen gut einhalten. Wir wollen eben nicht alles in die KI einspeisen, sondern das, was urheberrechtlich auch frei ist. Und das zeigt schon wir wollen da gewissermaßen auch Leitlinien setzen, die das Ganze für uns nutzbar machen, aber auch eine höhere Qualität an musikalischer Arbeit dann erlauben.

Und dann ist es vielleicht ein bisschen theologisch überhöht, auch ein Segen für unsere Arbeit, wenn wir ein neues Werkzeug haben, das uns viele neue Möglichkeiten eröffnet.

10. Folge: Organistin Julia Raasch

In dieser Podcastfolge ist Organistin Julia Raasch unser Gast. Die Kirchenmusik-Absolventin verrät, wie sie zur Orgel gekommen ist. Mit Moderator Christofer Hameister spricht sie vor allem darüber, wie Auftrittsangst bezwungen werden kann. Hilft die Banane vorm Konzert? Oder doch lieber ein Schläfchen machen und danach dehnen? Die Organistin hat andere Wege gefunden, bei denen unter anderem ein Mikrofon und Rechenaufgaben eine Rolle spielen. Ein inspirierendes Gespräch für alle, die vor Konzerten unter ihrer starken Anspannung leiden! 

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Transkript 10. Folge

Christofer Hameister
Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcastfolge der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Wir sprechen immer wieder mit Angehörigen der Musikhochschule und heute mit einer Absolventin. Wir freuen uns auf die Organistin Julia Rasch, hallo!

Julia Raasch
Herzlichen Dank! Hallo Christopher.

Christofer Hameister
Bevor es so richtig losgeht, darf sich jeder vorstellen mit einem Musikbegriff seiner Wahl. Es kann ein Tempobegriff sein, ein Instrument, ein Dynamiksymbol. Was beschreibt dich am besten?

Julia Raasch
Also eigentlich wegen Name müsste ich ja fast die Tempobezeichnung „rasch“ sagen, aber was vielleicht noch ein bisschen besser passen würde, oder viel besser, wäre vielleicht die Bezeichnung polyphon. Wegen „poly“ mehr und „phon“ stimmig und auch gerade dieses Mehrstimmige. Jede Stimme hat so ihren eigenen Charakter und ihre Eigenart. Das beschreibt vielleicht mich auch ganz gut in meinem Wirken oder auch wie ich lebe in meinem Werdegang. Und deswegen dachte ich polyphon, das könnte man nehmen.

Christofer Hameister
Woran machst du das fest, dass du in deinem Leben polyphon bist?

Julia Raasch
Also einmal natürlich total in meinem Charakter. Ich bin sehr vielseitig, würde ich sagen. Ein sehr vielseitiger Mensch, aber auch gerade in meinem Tun, was ich gemacht habe. Also ich habe ja erst die kirchenmusikalische Ausbildung hier an der HfM genossen und habe mich dann noch mal für ein Zweitstudium an der Uni Jena entschieden, und zwar was ganz anderes: Betriebswirtschaft.

Und ich bin sehr, sehr glücklich mit dieser Vielseitigkeit, die ich in meinem Leben gerade vor allem im Lernen erleben darf.

Christofer Hameister
Du hast von 2015 bis 2020 in Weimar Kirchenmusik studiert. Ganz allgemein: Wie kam es überhaupt zur Musik?

Julia Raasch
Ganz klassisch wurde uns mit drei Jahren oder mit vier Jahren vom Vater die Blockflöte in die Hand gedrückt. Und dann hatten wir so ein schönes Bilderbuch mit Volksliedern und haben versucht, Noten zu lernen. Aber damals noch mit dem Vater als Lehrer. Und ich war dann ganz dankbar, als wir dann endlich umgezogen waren in eine neue Stadt und da stand das Klavier und da haben unsere Eltern gesagt: Ja, schaut doch einfach mal, guckt euch das mal an, macht mal Klavierunterricht.

Das hat mir unglaublich viel Spaß gemacht. Zum einen die Vielseitigkeit, weil mein Vater fand immer Pop-Rock total cool und da habe ich immer sehr, sehr viel Deep Purple gespielt oder auch ABBA. Aber auf der anderen Seite war das… im Musikunterricht hatte ich eine prägende Lehrerin und auch einen prägenden Lehrer. Die haben mich immer wieder aufgefordert zu spielen und ich dachte immer, was wollen die von mir? Aber irgendwann habe ich verstanden, dass das richtig ist, so wie ich es mache. Also ich habe es immer nach meinem eigenen Kopf gemacht. Und dann kamen natürlich dann andere Lehrer und auch dann Wettbewerbe dazu und dann war das einfach das Richtige.

Christofer Hameister
Okay, aber wie kommen wir jetzt von Deep Purple zur Orgel?

Julia Raasch
Das ist eigentlich relativ naheliegend, denn Deep Purple hat ein Lied, das heißt Sweet Child und da hat man am Anfang diese Quinten dumm, dumm, dumm. Und mein Vater hat dieses Lied geliebt und also Deep Purple ist ja auch bekannt dafür, dass sie einen Orgelspieler in ihrer Band haben. Mein Vater hat immer gesagt: Spiel das doch mal, spiel das doch mal… und es war dann auch im Konfirmationsunterricht, wo alle gesagt haben, setz dich da mal an die Orgel, spiel irgendwas für uns und ich wollte immer… nee Orgel ist total uncool.

Das war natürlich so mit 13, 14 in der Pubertät, also so ein Instrument aus der Kirche. Aber dann habe ich mich dann doch irgendwann mal überreden lassen. Und das war dann tatsächlich auch der Grund, wieso ich überhaupt geübt habe, weil ich fand das immer ganz unangenehm, als Kind in die in die Kirche zu gehen und Orgel zu üben.

Also einfach der Weg vom Haus dorthin und dann war es kalt und dunkel und dann habe ich immer meinen Vater gefragt: „Kannst du bitte mitkommen nach der Arbeit oder auch am Wochenende und kannst mir irgendwie Gesellschaft leisten?“ Und mein Vater hat gesagt: „Ja, aber nur, wenn du die die Stücke mir einmal vorspielst.“ Und so hat sich das dann ergeben. Das war irgendwie so ein schönes Geben und Nehmen.

Christofer Hameister
Und wie kam es dazu, dass du Orgelunterricht genommen hast?

Julia Raasch
Also meine erste Begegnung mit der Orgel war, als sich das dann im Konfirmationsunterricht so herauskristallisiert hatte, dass das, also, dass ich die Tasten drücken kann und das ist auch wieder gar nicht so schlecht ist, dass ich dann angefangen habe, Orgelunterricht zu nehmen. Mein alter Klavierlehrer war auch Organist und der hat mir dann praktisch die Wege so bereitet zum Orgel-Lehrer.

Dann habe ich relativ viele Gottesdienste angefangen zu spielen und auch Hochzeiten, Beerdigungen natürlich auch und dann aber auch die ersten Konzerte.

Christofer Hameister
Mit 13 hast du angefangen, Orgel zu spielen. Wie ist das also, wenn man neben Konzerten eben auch auf Beerdigungen spielt? Was hat das mit dir gemacht?

Julia Raasch
Ich habe mich dann komplett darauf eingelassen. Natürlich die Wünsche angenommen, die von der Trauerfamilie kamen und das dann auch gespielt. Das war einfach so ein hochemotionaler Moment, wo man dann aber gerade auch durch die Musik und auch durch das Orgelspiel so ein großes Paket der Hoffnung einfach vermitteln kann. Und dieses Hoffnung geben durch Musik, das gibt einem wirklich viel Kraft, viel Liebe und viel Hoffnung für das, was danach kommt.

Christofer Hameister
Sehr schön gesagt. Jetzt würde mich mal dennoch interessieren, was deine Freunde gesagt haben. Nun ist die Orgel nicht unbedingt unter den Top drei der beliebtesten Instrumente, die man lernen kann. Aber was haben deine Freunde gesagt?

Julia Raasch
Oh, die spielt Orgel. Das ist aber sehr ungewöhnlich. Also erst mal, dass man überhaupt weiß, was das Instrument ist. Es ist ja auch nicht unbedingt klar, dass das dann mit in der Kirche steht, mit dem Pedal und auch noch mit den Füßen gespielt wird. Aber ich denke auch, dass das ein besonderer Punkt ist. Gerade dieses Spiel mit den Füßen ist so was Beeindruckendes für Außenstehende. Und man denkt dann okay, mit all seinen Gliedmaßen bringt man da Töne auf die Welt und auch Musik. Und das war dann schon meistens eher beeindruckend. Vor allem, weil ich dann auch die Möglichkeit bekommen habe, in der Schule mal ein Orgelkonzert mit dem Streichorchester aufzuführen von Händel. Und das kam unglaublich gut an!

Christofer Hameister
Und wie bist du jetzt auf die Idee gekommen zu sagen: „Ja, das würde ich gerne studieren!“ …also Orgel- bzw. Kirchenmusik.

Julia Raasch
Also bei mir war das… ich habe ja mit 17 Abitur gemacht und damals war ich wirklich sehr unentschlossen. Bei mir stand immer im Raum wird‘s die Wirtschaft, wird‘s die Medizin oder wird es das Musikstudium? Ich habe dann überlegt okay, Medizin oder Wirtschaft kann ich später auch noch machen. Ich möchte jetzt Musik machen. Also das war dann. Irgendwie hat sich dieser Gedanke so, es hat sich so richtig angefühlt.

Damals war es noch, dass ich unschlüssig war, ob es jetzt das Klavier wird. Aber mein Orgellehrer hat damals gesagt: „Hey, fang doch mal an mit Kirchenmusik.“ Und ich wusste gar nicht, was Kirchenmusik überhaupt ist, damals. Und natürlich wird man dann auch konfrontiert mit Sachen wie Chorleitung, Gesang. Und das war für mich alles komplettes Neuland. Ich weiß noch, ich war unglaublich aufgeregt, als ich dann diese Aufnahmeprüfung gemacht habe, aber gerade bei Orgel war es so, dass es mir das immer sehr, sehr leicht fiel. Also im Gegensatz zu Klavier, dass ich kaum üben musste, aber schon bei Jugend musiziert Preise gewonnen hatte und das, das war einfach, das floss so aus mir raus und es war wirklich so, das fällt einem leicht. Und dann merkt man manchmal auch im Leben, wahrscheinlich vor allem unterbewusst, dass das irgendwie der richtige Weg ist.

Christofer Hameister
Du hast gerade die Aufnahmeprüfung angesprochen. Wir sprechen ja heute auch über Auftrittsangst oder Angst vor Prüfungssituationen, wie man das bewältigen kann. Gibt es da etwas, was dich vor dieser Aufnahmeprüfung beruhigt hat?

Julia Raasch
Also ich glaube, das Wichtigste ist, dass man mit einer gewissen Gelassenheit an die ganze Sache rangeht, weil es ist nie irgendwas absolut. Also man hat nie eine einmalige, absolute Chance, wenn man sich das wirklich aus einer etwas großflächigeren Perspektive anschaut. Es ist, es gibt immer ein zweites Mal, vielleicht ein bisschen anders, vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt, zum anderen Ort.

Aber wenn man das weiß und mit dieser Weitsicht an so was rangeht, dann hat man automatisch ein etwas beruhigendes Gefühl in sich selbst. Und dann gibt es natürlich so Sachen, die es besser machen, wo man sich dann wohl fühlt. Bei mir war das zum Beispiel in Weimar. Ich wurde ganz herzlich beim Couchsurfing aufgenommen und ich habe mich einfach sofort wohlgefühlt. Das nimmt einem enorm viel Aufregung und dann kommt das andere meist von selbst.

Christofer Hameister
Konntest du denn auswählen? Also hattest du eine Auswahl an Hochschulen?

Julia Raasch
Also ich hatte ja schon angesprochen, dass ich relativ jung war, zu der Zeit 17, ich weiß auch noch, ich musste um die Unterschrift von meinen Eltern bitten, dass ich mich überhaupt für die Aufnahmeprüfung anmelden kann. Ich wusste überhaupt nicht Bescheid. Ich wusste überhaupt nichts über Professoren, über die kommenden Unterrichte. Ich war da wirklich ein bisschen blauäugig, bin ich da an die ganze Sache rangegangen.

Und das war dann einfach. Ich hatte zufällig jemanden getroffen, der hier in Weimar studiert hat und der gesagt hat: „Hey, komm doch nach Weimar“. Und mein Lehrer hat gesagt: „Hey, geh doch nach Stuttgart.“ Und dann war auch naheliegend, dass ich in meiner Heimat, in Frankfurt Main, Aufnahmeprüfung mache. Dann bin ich einfach überall mal hingefahren mit 17 und habe mir das angeguckt.

Dann wusste ich natürlich nicht, welcher Professor ist jetzt am besten und habe mich dann also so wohl in Weimar gefühlt und auch damals die Professoren, und da war irgendwie Weimar die richtige Entscheidung. Ich war am Anfang ein bisschen skeptisch gegenüber dem Kirchenmusikstudium. Es klang für mich so, als ob es so begrenzt sei auf die Kirche. Und da wusste ich natürlich auch noch nicht, ist das überhaupt was für mich dann perspektivisch?

Also man wird ja primär ausgewählt, um in der Kirche zu arbeiten als Kirchenmusiker. Aber ob das auch wirklich was für mich ist? Deswegen war ich da sehr skeptisch. Auch diese anderen Disziplinen, die man erlernen muss: Chorleitung, Orchesterleitung, passt das zu mir? Kann ich überhaupt dem Anspruch gerecht werden, der da in diesem Fach besteht? Daher kam die Skepsis.

Christofer Hameister
Du hast auch mit Ton Koopman zusammengearbeitet. Zwei Jahre an der Hildebrandt-Orgel, an der weltberühmten Hildebrandt-Orgel Naumburg gespielt. Man erhält dann diese Aufträge. Hat man davor Respekt, Angst? Was hat das mit dir gemacht?

Julia Raasch
Bei mir war das so, dass ich eigentlich oft mich selbst auch ins kalte Wasser geschubst habe. Also ich habe gleich im ersten Semester versucht, alles anzunehmen, was es gab. Also ich wollte Konzerte spielen ohne Ende. Ich hatte einfach Lust zu spielen vor Publikum und es war einfach mit großer Aufregung verbunden. Aber dadurch, dass man innerlich so einen Drang hat, das zu machen und den Leuten was mitzuteilen und denen auch einfach eine schöne Stunde zu bescheren.

In einem Orgelkonzert war das irgendwie eine Inspiration auch für mich und ich hatte immer so das Gefühl, weil ich doch mit sehr starker Auftrittsangst auch zu kämpfen hatte als Schülerin und auch im Studium später. Aber ich dachte mir, ich muss machen, machen, machen und immer weiterspielen, damit das irgendwie besser wird. Das ist einfach diese Routine, die sich einstellt und man merkt sofort, was brauche ich für eine Umgebung, wie viel Vorbereitung muss ich mir geben?

Und das spielt sich wirklich über Jahre hinweg immer und immer besser ein. Und dann muss man sich natürlich auch dieser Aufregung stellen und versuchen, am Ende des Konzertes oder am nächsten Tag oder wann auch immer zu reflektieren, was lief jetzt gut, was lief nicht so gut? Wie kann ich es nächstes Mal besser machen, damit ich mich einfach auch besser fühle oder damit es noch besser bei den Leuten ankommt?

Und ich glaube, das ist ein ewiger Lernprozess, mit dem man wahrscheinlich auch nie fertig wird. Aber es ist gut, immer weiter im Leben zu lernen.

Christofer Hameister
Und ein paar Impulse wollen wir ja gleich geben, wie man eben Auftrittsangst überwältigen kann. Vorher machen wir eine Schnellfragerunde, ja?

Julia Raasch
Ja!

Christofer Hameister
Goethe oder Schiller?

Julia Raasch
Goethe

Christofer Hameister
Reger oder Bach?

Julia Raasch
Also vor zwei Jahren habe ich noch Reger gesagt. Aber inzwischen ist es so, wenn ich mir vorstellen müsste, okay, ich müsste das bis zum Lebensende hören, gibt mir Bach einfach eine unglaubliche Ruhe und man entdeckt so viel in Bachs Musik. Unglaublich!

Christofer Hameister
Was hörst du für Musik privat?

Julia Raasch
Alles außer Klassik und Orgelmusik. Sehr gerne Oldies, 70s, 80s, aber auch 90s. Zum Teil auch das, was jetzt gerade so läuft.

Christofer Hameister
Welchen Job würdest du gerne an einer Hochschule mal machen?

Julia Raasch
Professorin werden für Orgel?

Christofer Hameister
Und warum bist du es noch nicht?

Julia Raasch
Ja, ich denke, das wird seine Zeit haben, in der ich das werden werde. Aber ich mache schon alle Unternehmungen, dass es wird und hatte tatsächlich auch schon gute Gelegenheiten mit sehr guten Resultaten. Und also ich gebe dem Ganzen die Zeit, die es braucht.

Christofer Hameister
Wenn du eine berühmte Persönlichkeit, egal ob tot oder lebendig, treffen könntest, wer wäre es?

Julia Raasch
Also weil wir jetzt hier bei einem Musik-Podcast sind, würde ich sagen Franz Schubert. Den würde ich unglaublich gerne mal kennenlernen und mich mit ihm unterhalten.

Christofer Hameister
Weimar ist für mich?

Julia Raasch
Meine Heimatstadt, inzwischen seit acht Jahren.

Christofer Hameister
Und der Lieblingsort an der Hochschule?

Julia Raasch
Das ist ganz klar die Bank vor dem Palais.

Christofer Hameister
Und der Lieblingsort in Weimar?

Julia Raasch
In Weimar… Mein Lieblingsort für späte Stunden ist die Reservebank und für alle anderen Stunden ist es der Park.

Christofer Hameister
Ich meine, vielleicht helfen ja auch genau solche Orte, um Auftrittsangst zu bewältigen, dass man sich beruhigen kann. Was brauchst du dann, um sicher ein Konzert spielen zu können?

Julia Raasch
Bei mir ist es so, ich bin manchmal extrem aufgeregt, auch heute noch und manchmal gar nicht. Um diese Auftrittsangst zu senken, hilfst mir im Vorhinein auf jeden Fall eine sehr gute Vorbereitung. Also ich brauch auf jeden Fall immer Ruhe vor dem Konzert. Manchmal auch ein kleines Schläfchen, aber so, dass man erst mal runterkommt und sich auch mit dem Ort vertraut macht.

Also dadurch, dass ich natürlich auf der Orgel am meisten konzentriere, ist man ja auch immer an ein neues Instrument gebunden und kommt dann meistens schon nen Tag vorher an, mindestens, oder auch zwei und lernt den Ort kennen, lernt die netten Leute kennen. Und auch gerade das finde ich einen entscheidenden Punkt: Die Gastfreundschaft, die bewusst wahrzunehmen von den Leuten, die dort an dem Ort sind. Das hilft mir enorm. Ich habe viel ausprobiert, auch viele Tipps mir eingeholt, immer von meinen Lehrern. Also sei es, die Banane zu essen, oder sei es, eine spezielle Atemübungen zu machen. Oder auch gerade dieses Dehnen, dass der Körper einfach von sich aus nicht verkrampft. Mir hilft es am meisten, wenn ich weiß: „okay, jetzt öffne ich mein Herz und entweder können‘s die Leute annehmen, sind gerade auch bereit, es in ihren Herzen aufzunehmen, oder nicht.“ Und dann ist es vielleicht einfach nicht der richtige Zeitpunkt.

Christofer Hameister
Stelle ich mir aber auch ein bisschen schwierig vor. Also wenn du mitten im Spielen bist und dir kommt so ein Gedanke im Kopf und der geht nicht mehr weg, da hustet jemand, ein Baby schreit im Publikum, sowas lenkt ja auch ab. Oder die Orgel funktioniert nicht. Wie geht man damit dann um?

Julia Raasch
Also bei der Orgel hat man ständig mit solchen Momenten zu kämpfen, sei es, wenn ein Register falsch gezogen wird. Man ist ja häufig, wenn man nicht einen voll computertechnischen Spieltisch hat, ist man ja meistens, bei einer mechanischen Orgel, oder auch bei komplizierteren Stücken wie Reger, von dem Registranten abhängig. Und das ist dann auch ein Mitspieler sozusagen. Und natürlich passiert da mal was, da wird ein Register zu früh gezogen und ich hatte tatsächlich mal in meiner Diplom-Abschlussprüfung dann hier im Erfurter Dom, von Kirchenmusik, das Problem, dass… ich kontrolliere eigentlich immer die Seiten, ob die richtig hintereinander weg stehen. Und ich hatte das Problem, dass ich wirklich im Schlussstück, als meine Kondition… also ich hatte ein sehr anspruchsvolles konventionelles Stück/Programm ausgewählt und dann stand eine Seite falsch. Also da waren einfach, waren zwei Seiten vertauscht und mein Registrant hat immer die Seiten weggezogen und er war noch sehr jung, also sehr früh im Studium. Und er hat den totalen Schock bekommen, als er gemerkt hat: „Oh Gott, die Seitenzahl stimmt überhaupt nicht miteinander überein.“ Und ich war natürlich, das Stück war unglaublich schnell, ich war schon „Ha Ha!“ Ich habe sofort entdeckt, was soll ich machen, was soll ich machen? Und habe dann viel auch vorher schon geübt zu sagen „Seitenwechsel!“ Und dann schaffst du es ja manchmal, nur so Wörter herauszupressen und dann nicht so: „Seiten wechslen!“ Und er war praktisch in so einer Schockstarre. Aber als dann das kam, also dann, dann hat er natürlich die Seiten wieder gewechselt.

Aber da dachtest du auch „Oh Gott, oh Gott, was machst du jetzt?“ Und dann hilft es einfach ganz klar, ganz, ganz… also wirklich kristallklar in seiner Vorstellung zu bleiben, sei es mit Anweisung an den Registranten oder sei es auch mit sich selbst. Okay, das ist jetzt passiert. Weiter geht’s. Also man darf da nicht noch über den Fehler, der gerade passiert ist, oder der Umstand, der gerade war, oder was einen vielleicht stört, Huster, Babygeschrei… darf man gar nicht erst groß drüber nachdenken, das ist einfach, der bleibt da und ich gucke weiter.

Und da hatte ich tatsächlich auch noch mal eine schöne Anekdote von Michael Kapsner, meinem alten Professor. Der hat immer gesagt: „A schauns Julia, wenn ein Fehler zu Tür hineinkommt, dann müssen Sie die Tür aufmachen, den Fehler begrüßen und ihm einen Platz im Saal anbieten. Da sind 50 freie Plätze, und für die ganzen anderen Fehler, die da kommen, sagen sie immer: Hallo, schön Fehler, dass du da bist. Setz dich, hier ist ein schöner Platz.“ Und dann meinte er, wenn sie das nicht tun, dann kommt dieser Fehler mit 100 anderen Kameraden und macht einem das ganze Stück kaputt. Also ist es ist völlig normal, dass Fehler passieren. Man muss dem ganz gelassen entgegensehen und einfach dem Fehler einen Platz anbieten.

Christofer Hameister
Und wie gehst du damit um, wenn was passiert?

Julia Raasch
Ja, ich glaube, das hat auf jeden Fall, jeder finde das überhaupt nicht schlimm. Es sind einfach lustige Sachen, über die man auch schmunzeln kann. Also man darf sich natürlich nie vor Augen führen okay, hier stirbt jetzt einer, wenn ich einen Fehler gemacht habe. Es sind einfach andere Dimensionen. Und das ist es. Es ist stirbt niemand oder es wird niemand ein Bein abgehackt, wenn irgendwas schiefgeht. Und natürlich hatte ich da auch. Also an der Orgel hatten wir schon gesagt, das Instrument ist so vielseitig und es ist jedes Mal eine komplett andere Disposition, die man auch hat. Und ich weiß noch, das war auch ganz am Anfang meines Studiums, da saß ich auf so einer historischen Orgelbank und ich hatte so eine unglaublich schöne Hose, aber sie war rutschig auf der Orgel und dann wollte derjenige, der mich zum Konzert eingeladen hat, der Kantor, der wollte, dass ich das die Toccata und Fuge von Bach, die berühmte, spiele und ich weiß noch, er hat mir auch registriert, geblättert und ich bin beim Konzert, als ich dieses Stück gespielt habe… Ich bin durch diese rutschige Orgel immer weiter zusammengesackt, immer weiter, bis mein Po Richtung Pedal geschoben und ich habe dann da wirklich wie ein Affe gehangen bei diesem Manual. Meine Hände ganz weit oben und ich saß nur noch zuletzt mit dem Steißbein auf der Orgel, also hat nicht mehr viel gefehlt… man muss ja auch mit den Füßen spielen, dass ich komplett runtergerutscht war und ich habe die ganze Zeit den Kantor angeguckt und so Hilfe-Blicke ausgesendet. Und der hat das überhaupt nicht… Der hat das überhaupt nicht gemerkt, was.. in welcher Situation ich da gerade war. Und die Finger haben natürlich weitergespielt, aber mein Kopf hat sich nur um dieses Runterrutschen gedreht. Und dann habe ich praktisch mit so einem riesigen Sprung mich wieder zurückkapituliert auf die Orgel. Das war unglaublich lustig und dann meinte ich auch nach dem Konzert: „Hast du das nicht mitbekommen? Ich hab da gar nicht mehr auf der Orgelbank gesessen.“ „Nö, aber das hätte ich mir gerne angeguckt.“

Christofer Hameister
Du hast gerade gesagt, du warst in so einer unpässlichen Lage und trotzdem haben die Finger weitergespielt. Ich meine, was machst du, wenn die Finger aber nicht mehr weiterspielen?

Julia Raasch
Also zum einen muss man sagen, ich versuche mich bestmöglich darauf vorzubereiten, damit ich mich von diesen Noten loslösen kann. Dadurch, dass man praktisch auf der Orgel mit so vielen kombinatorischen Fähigkeiten zusammenwirken muss, sei es die die Tastatur, sei es die Füße, sei es der ganze Körper. Habe ich tatsächlich so eine kleine Übemethodik, die mich da so versucht, erst mal vorzubeugen für solche Ereignisse. Und dann sitze ich wirklich und übe meine Sachen und versuche dann erst mal mit mir selbst zu sprechen. Und dann frage ich jemanden im Raum: „Hey, kannst du mit mir sprechen? Kannst du mir Fragen stellen? Damit sich das einfach so erst mal motorisch automatisiert, der ganze Ablauf… und dann ist es tatsächlich so, dass ich dann versuche, Gespräche mit jemandem zu führen. Und jeder, der das mal ausprobiert hat, weiß, wie schwierig das ist. Und dann, wenn es wirklich hart auf hart kommt und ich noch Zeit habe, versuche ich zu rechnen. Und dann stellt mir auch jemand Fragen: „Hey, kannst du mal das Minus das rechnen, oder das geteilt durch das oder was ist die Primzahl so und so?“ Das bringt erstmal eine unglaubliche Motorik in das Ganze rein. 

Und wenn man dann trotzdem das hat, dass der Körper überhaupt nicht mehr weiterspielen möchte. Und das hatte ich auch. Also ich weiß noch, mir ging es eine Zeit lang überhaupt nicht gut und ich war, ich hatte viel zu viel zu tun und war an so vielen Hochzeiten gleichzeitig und hatte dann auch noch ein schwieriges Konzert, während ich Migräne hatte. Also ich habe wirklich eine Migräne-Attacke komplett vorher bekommen und das Konzert absagen ist dann für mich auch keine Lösung. Und ich dachte ich stell mich dem Ganzen und mein Körper hat dann wirklich bei einem Stück, was auch modern neu auf dem Programm war, gestreikt und dann auf einmal hat mein Körper einfach die Hände von der Tastatur genommen und es war so eine Lücke da und ich dachte: „Oh Gott, was passiert jetzt hier?“ Ich bin nicht mehr Herr meiner Lage und ich habe das auch wirklich gemerkt, dass mein Körper einfach anders will und sich dessen auch bewusst zu sein: Okay, das ist jetzt wirklich die absolute Grenze für deinen Körper. Natürlich habe ich dann weitergespielt. Das war vielleicht... für mich hat sich‘s wie eine halbe Stunde angefühlt. Das waren dann letztendlich vielleicht zwei Sekunden, wo ich auf einmal unterbrochen habe und dann aber weitergespielt habe und das Konzert auch wirklich schön zu Ende gebracht habe.

Aber das war natürlich für mich dann auch abends in Reflexion zum Konzert. Da habe ich gemerkt, okay, so soll es eigentlich nicht sein und so ist das für dich selbst auch nicht gut und dann wirst du dem Ganzen nicht so gerecht, wie du es eigentlich gerne möchtest. Und dann weiß man auch fürs nächste Mal, okay, ich muss jetzt einen Gang runterschalten und ich schaffe vielleicht nur soundso viele Konzerte pro Woche.

Christofer Hameister
Konzerte oder Vorspiele. Was hilft dir noch?

Julia Raasch
Mir hat es unglaublich geholfen… Ich nehme jedes Konzert auf mit meinem Handy auf, meistens, weil ich das Mikrofon vergesse. Aber dass ich dann die Zugfahrt häufig nutze und mir das ganze Konzert nochmal anhöre. Ich weiß, es ist schwierig und man hat häufig auch im Unterricht an der Hochschule das Gefühl… Ah, was wollen die Lehrer von einem? Ständig sagen sie „nehmen dich dann mal auf und hör es dir an“… und es ist wirklich schwierig am Anfang, weil man hat zum Teil wirklich eine andere Wahrnehmung als das, was man dann hört. Aber aus diesen Situationen, also aus diesem Anhören, Reflektieren im Spiel, kann man unglaublich viel lernen und das hilft mir immer sehr weiter. Auch zum Teil, wenn ich denke: „Hey, das ist aber heute nicht so gut gelaufen, wie ich es mir vorgestellt hätte“ …auf der Aufnahme klingt es dann normal oder wirkt es nochmal komplett anders und das gibt einem manchmal auch wirklich ein positives Gefühl“. Okay, manchmal stimmt meine Wahrnehmung nicht ganz so gut oder hier hat es vielleicht dann doch gestimmt, aber hier kann ich das verbessern. Nächstes Mal. Also das hilft mir auch unglaublich einfach Konzerte oder auch sei es beim Üben, aufzunehmen. Noch brutaler ist mit Video und sich das dann anzugucken. Aber so kann man super schnell und super effektiv einfach sich schnell weiterentwickeln. 

9. Folge: Bibliotheksleiterin Katharina Hofmann

Im Internet gibt es alles? Von wegen, sagt Katharina Hofmann, die Leiterin unserer Hochschulbibliothek. Vor allem wer Noten sucht, ist nach wie vor oft auf Papier angewiesen, weil vieles noch nicht digitalisiert ist. Aber wird das immer so bleiben? Wohin steuern wir?

Katharina Hofmann spricht in dieser Folge von LISZTEN mit Christofer Hameister darüber, wie sich Musikhochschulbibliotheken wandeln. Außerdem erfahrt ihr, auf welchem Weg die Bibliothekarin zu ihrem Beruf gekommen ist, welche Rolle Weimar in ihrem Leben spielt und warum das alles irgendwie auch mit einer Blockflöte und dem Tango-Tanzen zusammenhängt. 

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8. Folge: Gitarrenstudent Philipp Lang

Jeden Tag üben – das war lange nichts für den damaligen Gitarrenschüler Philipp Lang. Über viele Jahre gehörte er eher zu jenen, die kurz vor der Unterrichtsstunde einmal das Instrument in die Hand nahmen, um nicht ganz blank vorm Lehrer zu stehen. Immerhin: So habe er das Blattspielen gelernt.

Heute hat Philipp Lang die Rollen gewechselt: Er sitzt während seines Gitarrenstudiums an der HfM bereits an zwei Musikschulen jungen Schüler*innen gegenüber. Wie Studierende den Einstieg in Musikschulen schaffen, warum immer noch genug Zeit zum Üben bleibt und welche Vorteile das Unterrichten mit sich bringt – darüber spricht der Gitarrist in dieser Folge von Liszten mit dem Moderator Christofer Hameister. 

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Transkript 8. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcastfolge der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Wir sprechen mit Angehörigen der Musikhochschule und freuen uns heute auf den Gitarristen Philipp Lang. 

Philipp Lang:
Hallo! Ich freue mich heute hier sein zu dürfen.

Christofer Hameister:
Bevor's so richtig losgeht. Jeder darf sich hier vorstellen mit einem Begriff aus der Musik, Instrument, Notenwert, Tempi… Was ist es bei Philipp Lang?

Philipp Lang:
Tatsächlich habe ich mir überlegt, dass die Pause ganz passend ist. Am besten so eine große ganze Pause. Ich finde es als Musiker sehr wichtig, den Ausgleich zu finden und Pausen kommen nicht häufig vor, sind aber etwas Besonderes. Und deswegen, finde ich, muss man darauf achten. Pausen sind super wichtig, um Inspiration zu schöpfen und Kraft zu haben, um dann Anlauf zu nehmen und wieder voll rein starten zu können.

Christofer Hameister:
Finde ich gut! Pausen hatten wir tatsächlich noch gar nicht im Podcast. Wo machst du die am liebsten? Na ja.

Philipp Lang:
Naja, also hier in Weimar ergeben sich ja ganz viele Möglichkeiten. Entweder im Ilmpark zum Beispiel oder in einem schicken Cafe, auf einem Spaziergang oder auch mal in Kneipen abends.

Christofer Hameister:
Dann füllen wir mal die Pausen mit Leben. Philip Lang, Gitarrist, du bist schon während des Studiums als Musikschullehrer tätig, hast vorm Bundespräsidenten gespielt, den Liszt-Preis erhalten. Da hat man ja gar nicht so viele Pausen und so viel Langeweile oder?

Philipp Lang:
Die kommt eigentlich gar nicht auf, weil man muss sich ja dann in dieser Zwischenzeit, die man hat vorbereiten oder planen oder tatsächlich einfach Kraft schöpfen für den nächsten Tag.

Christofer Hameister:
Meist kommt das ja mit der Musik aus dem Elternhaus. Wie bist du zur Gitarre gekommen? Durchs Elternhaus?

Philipp Lang:
Ja, tatsächlich, vor allem auch durch meine Mutter. Als ich ganz klein war, hat sie mir oft mit der Gitarre vorgesungen. Und das fand ich eigentlich unheimlich schön. Und als es dann so weit war, nach der musikalischen Früherziehung in der Musikschule zu entscheiden, was ich denn spielen soll, dann war für mich eigentlich ganz klar: Das muss die Gitarre sein.

Christofer Hameister:
Du hast in Erfurt an einer Musikschule, die ich zitiere mal, „Studienvorbereitende Ausbildung“ gemacht im Fach Gitarre.

Philipp Lang:
Ich war, glaube ich, 15, 16, als ich da eingestiegen bin. Und da hatte ich halt bei Professor Jürgen Rost an der Hochschule schon Gitarrenunterricht. Und dann habe ich da unterbrochen mein Abi gemacht, dann muss ich Zivildienst machen und habe währenddessen das zweite Jahr von dieser Studienvorbereitung absolviert. Und das war auch super. Dann habe ich die Aufnahmeprüfung auch hier gemacht und hatte auch bestanden und den Studienplatz sicher. Aber ich war mir damals sehr, sehr unsicher mit dem Musikstudium und was die Zukunft so bringen soll. Ich hatte ziemlich viele Zweifel, ob das denn das Richtige für mich ist und dann habe ich es am Ende nicht gemacht und mich für ganz viele andere Alternativen interessiert. Und dann am Ende war das Wirtschaftsfranzösisch in Zwickau. Hab also was ganz anderes studiert. Und das habe ich viele Jahre gemacht, unter anderem dann auch in Frankreich gelebt. Dann habe ich Politikwissenschaft im Master in Jena studiert, aber immer halt schon mit dem Auge immer nach Weimar geschielt und mir gedacht Ach, das wäre so schön und viele Freunde von mir haben es halt auch gemacht und hatten halt so ein unheimlich tolles Studium. Aber sicher war ich mir da noch nicht. Und dann habe ich zwei Jahre in der freien Wirtschaft gearbeitet und im Management. Und da spätestens habe ich dann gemerkt, dass ich meine Energie und meine Lebenskraft doch lieber in meine Leidenschaft stecken möchte und habe dann spät, aber sehr entschieden, mich noch mal für die Aufnahmeprüfung angemeldet und war überglücklich, dass ich mein Leben dann 2017 auf einen Schlag komplett veränderte wieder.

Christofer Hameister:
Was waren das für Zweifel? Ich meine, auch in der freien Wirtschaft kann ja ein Unternehmen den Bach runtergehen. 

Philipp Lang:
Ja. Spannend, dass du es sagst. Ich habe jetzt hier in Weimar an der Musikhochschule viele Musiker*innen kennengelernt, die aus einem Musiker-Elternhaus kommen. Und es macht eben auch noch mal einen Unterschied. Meine Eltern hatten eben auch viel Skepsis und die hatten ihre Zweifel bzw. konnten mich da nicht so bestärken, weil sie auch nicht so vom Fach sind. Und das war keine Selbstverständlichkeit. Und bei anderen habe ich gemerkt, ist es halt einfach, mach einfach das, was dich glücklich macht und das wird schon laufen. Aber das ist vielleicht so ein Background, den andere haben und ich halt nicht. Und deswegen habe ich mich da eher in dieser typischen Rolle gefühlt: Na ja, ich muss halt was machen mit Zukunft und da ist halt Wirtschaft zumindest damals das Naheliegende gewesen. Heute würde ich das überhaupt nicht mehr so entscheiden. Aber und ich bin auch der Meinung, dass jeder einfach seine Nische finden wird und auch sein sein Auskommen. Aber das war damals anders. Da habe ich sehr wirtschaftlich gedacht. Bei meiner Studienfindung und meiner Joborientierung.

Christofer Hameister:
Wenn's nicht zu persönlich ist, was hat denn die Familie gesagt?

Philipp Lang:
Na ja, also meine Eltern oder meine Familie, die waren schon oft so von wegen brotlose Kunst. Aber am Ende haben sie natürlich gesagt, sie unterstützen mich in allem und ich soll machen, was mich glücklich macht. Aber ich habe eben auch viele Freunde gehabt, die halt dann tatsächlich hierher gegangen sind, nach Weimar und hier studiert haben und mit denen ich theoretisch zusammen hätte studieren können, die das gemacht haben. Die haben auch zu mir gesagt: Na ja, aber wenn du jetzt schon solche Zweifel hast, dann mach es lieber nicht.

Christofer Hameister:
Dann kam aber Tag X dann doch zu sagen Musik, Gitarre wird studiert. Was ist passiert?

Philipp Lang:
Zum einen bin ich über all die Jahre der Musik natürlich treu geblieben und habe in vielen Musikprojekten mitgewirkt, sei es im Landesjugendzupforchester, als Dozent sogar oder in Gitarren-Ensembles oder in Kammermusikformationen habe ich trotzdem Musik gemacht und habe gemerkt, dass das einfach zu meinem Leben auf jeden Fall gehören muss und dass das ohne auch für mich gar nicht geht. Auf der anderen Seite bin ich halt über meinen beruflichen Werdegang bin ich dann über viele Stationen in Leipzig gelandet, einer meiner Lieblingsstädte und ich weiß noch sehr beseelt hat mich damals, ich glaube es war 2016, das Weihnachtsoratorium mit den Thomanern und dem Gewandhausorchester. Und das fand ich einen ganz, ganz besonderen Moment, das zu erleben. Und da habe ich schon gefühlt, dass ich irgendwie vielleicht doch in diese Richtung gehen muss. Und dann waren es tatsächlich wieder diese Freunde, die Gitarre studiert haben, in Weimar und die das quasi durchgezogen hatten. Und dann habe ich gesehen, wie sie im Berufsleben sind und alle sehr glücklich und genug Zeit, um auch noch Musiker zu sein und nicht nur Pädagoge, weil als Gitarrist ist man nun mal zwangsläufig an der Musikschule, aber ich finde das auch wunderbar. Jedenfalls habe ich da mal gesehen, wie erfolgreich man sein kann und wie fest im Sattel man finanziell auch sitzt. Einfach Musikschulen sind nicht mehr so in der schlechten wirtschaftlichen Lage wie sie mal waren. Ich erinnere mich 2008, also zu meiner Zeit, als ich mich so entscheiden musste, da gab es halt irgendwie viele Kürzungswellen und aktuell ist der Zeitgeist wieder ein bisschen anders, dass die Tendenz mehr zu Festanstellungen geht und es gibt heute dieses Musikschulgesetz in Thüringen und das hat natürlich auch ganz viele positive Effekte auf die Musikschulen im Hinblick auf Festanstellungen. Und deswegen ist die Situation jetzt natürlich auch eine ganz andere. Aber auch so hätte ich trotzdem diesen Weg eingeschlagen.

Christofer Hameister:
Gehen wir noch mal ein Stück zurück. Brotlose Kunst, dieses Wort fiel gerade. Wie wichtig ist die wirtschaftliche Situation für die Wahl des richtigen Studiums?

Philipp Lang:
Auf der einen Seite bin ich mittlerweile schon der Einstellung, dass man niemals einen Studiengang nicht wählen sollte, nur weil er vielleicht nicht wirtschaftlich das rentabelste am Ende für einen selber ist, weil man da halt nicht so viel verdient oder so. Ich denke halt, jeder wird irgendwie seine Nische finden, denn man muss natürlich auch das Studium nutzen, nicht nur um fleißig zu studieren und zu üben, sondern auch um zu netzwerken. Und das habe ich halt sehr, sehr viel gemacht. Aber auf der anderen Seite möchte ich jetzt mal die These im Raum stellen, dass vor allem Gitarristen, aber alle Musiker nebenher sehr leicht sich was dazuverdienen können und ihren Lebensunterhalt bestreiten können an Musikschulen und wie ich sehe, machen das ja auch alle und man verdient relativ gut. Es gibt mittlerweile Honorare, die sind naja, ich möchte nicht die Honorare jetzt loben, die sind nicht besonders hoch, vor allem im Osten nicht. Da könnte schon noch auf jeden Fall was gehen und davon zu leben komplett, also auch später nach dem Studium ist sicherlich dann, da wird es dann schon prekär. Aber als Student kann man sich sehr gut nebenher ein Honorar verdienen und das gehört ja irgendwie auch zum Studieninhalt dazu. Man bildet sich dabei ja auch fort für das Studium. Also man macht hat schon sehr viel aktiv, man arbeitet nicht einfach in irgendeiner Pommesbude, sondern in der Musikschule und das hat halt immer mit dem Fach zu tun. Und ich finde, man lernt für sich selbst und für seine künstlerischen Aktivitäten so viel dazu beim Unterrichten mit Schülern und Schülerinnen, dass ich denke, dass das eigentlich eine hervorragende Möglichkeit ist, sich schon ein finanzielles Standbein zu schaffen und ja, pädagogisch zu wirken.

Christofer Hameister:
Bevor wir gleich zum Thema Musikschule explizit noch mal kommen, hast du gerade das Wort Netzwerken verwendet. Wie und wo mache ich das denn?

Philipp Lang:
Eine spannende Frage natürlich, wenn jemand gerade im ersten Semester ist, den wird das wahrscheinlich sogar abschrecken. Das Wort, weil er dann denkt: Oh mein Gott, ich muss jetzt rumrennen und muss irgendwie Leute ansprechen. Aber so ist es ja nicht. Man wird ja angestoßen. Wichtig ist glaube ich einfach mit offenen Augen und offenen Ohren durch die Hochschule zu gehen und nicht nur mit Scheuklappen und irgendwie zu denken: Ich muss jetzt hier irgendwie nur studieren, sondern es ist auch wichtig, sich umzuhören. Und es gibt tolle Projekte nebenher, zum Beispiel der Yiddish Summer. Das ist auch eine hervorragende Möglichkeit, um Leute aus aller Welt kennenzulernen, aber eben auch viele aus Weimar und deren Lebensläufe kennenzulernen und daraus vielleicht selber einen Nutzen ziehen klingt jetzt so, klingt jetzt so wirtschaftlich gedacht, aber einfach davon profitieren, dass man so einen Erfahrungsschatz dann zusammen hatte. Ich finde es auch ganz wichtig, dass man sich irgendwo engagiert in den Gremien. Diese Hochschulselbstverwaltung ist ja auch eine große Chance, mitgestalten zu können, aber auf jeden Fall auch wieder mit Professorinnen und Professoren in Kontakt zu treten, aber auch mit anderen Studierenden, um zu sehen, wie die ticken und sich selber eine Meinung dazu zu bilden und mehr Durchblick zu haben über die Dinge, die an der Hochschule passieren. Ich habe das halt viel gemacht und ich werde es die nächsten Jahre auf jeden Fall davon zehren können. In dem ich halt Kontakte habe, sei es für Konzerte, sei es für Fragen aller Art und Ansprechpartner zu haben, für jede Situation, die sich einem Musiker ergeben.

Christofer Hameister:
Netzwerken ist das eine Wort, Selbstvermarktung das andere. Wie wichtig ist das?

Philipp Lang:
Ja, Selbstvermarktung klingt halt irgendwie etwas technisch oder etwas sperrig, aber für viele in der Lebensrealität. Ich meine, viele haben einen Instagram-Account, auch auf YouTube zum Beispiel. Und viele bauen sich da schon vielleicht unbewusst eine kleine Plattform auf. Und indem sie Videos hochladen, machen sie sich sichtbar. Und das ist heutzutage hat einen großen Stellenwert. Selbstvermarktung kann auch heißen Mal seinen Lebenslauf zu checken, ob der halt konform ist, wenn man sich denn mal irgendwo bewerben will. Für Musiker ist es halt wichtig, vor allem sich sichtbar zu machen. Man macht ja viel und schafft ganz viel und kreiert neue Dinge. Und das ist, glaube ich auch wichtig, dass dass man darauf aufmerksam macht.

Christofer Hameister:
Bevor wir gleich über die Tätigkeit an der Musikschule noch mal ganz en detail sprechen, machen wir mal eine schnell Fragerunde.

Philipp Lang:
Oh, okay, ich bin gespannt.

Christofer Hameister:
Weimar ist für mich…

Philipp Lang:
Entspannung. 

Christofer Hameister:
Wenn du dir ein Land aussuchen könntest, in welchem du leben würdest, es wäre…

Philipp Lang:
Frankreich

Christofer Hameister:
 Privat höre ich Musik von…

Philipp Lang:
Ach. Gott, dass mich so eine Frage jetzt aus dem Konzept bringt. Also ich kann das nicht so spezifizieren. Ich habe einen ganz breiten Musikgeschmack und ich höre mal gerne Rockmusik und ich höre aber auch mal gerne einfach Chill out Musik. Aber oft höre ich Musik zum Entspannen. Also es muss meistens irgendwie für mich einen spirituellen Faktor befriedigen.

Christofer Hameister:
Und was geht gar nicht?

Philipp Lang:
Deutschrap

Christofer Hameister:
 Welchen Job würdest du an der Hochschule gerne mal machen?

Philipp Lang:
Öffentlichkeitsarbeit?

Christofer Hameister:
Und warum?

Philipp Lang:
Da sind wir wieder bei der Selbstvermarktung. Ich finde das Thema wichtig, wie sich die Hochschule nach außen präsentiert und was ihnen wichtig ist. Das darzustellen, also wie man sich darstellt und wie man sich präsentiert und was da in den Fokus gerückt wird.

Christofer Hameister:
Dein Lieblingsort an der Musikhochschule wäre.

Philipp Lang:
Natürlich das Schloss Belvedere, das ganze Areal.

Christofer Hameister:
Und eine Begegnung in deinem Leben, die dich sehr inspiriert hat.

Philipp Lang:
Ich muss sagen, aktuell ist mein mein Professor Ricardo Gallen für mich große Inspirationsquelle, weil er nicht einfach immer da abholt, wo ich bin. Also nicht nur, nicht nur Gitarrist ist, nicht nur musikalisch, sondern auch mental. Also oftmals ist so ein Hauptfachunterricht ja auch, grenzt schon ans Philosophische und man führt natürlich auch Gespräche über die ganze Musikwelt und den Werdegang. Und er hat mich in diesen letzten Jahren sehr bestärkt, dass auf jeden Fall ein Mensch, der mich sehr positiv beeinflusst hat in den letzten Jahren.

Christofer Hameister:
Nimmt man da auch was mit in die eigene Lehrtätigkeit. Ich meine, du bist ja aktiver Musikschule.

Philipp Lang:
Na ja, im gleichen Maße funktioniert es natürlich nicht, aber man nimmt ganz viel auf sehr hohem Niveau mit, was man dann unterschwellig in den Unterricht einbinden kann, den man selbst durchführt.

Christofer Hameister:
Was zum Beispiel? Also was funktioniert bei den kleinen Kindern immer?

Philipp Lang:
Also mein Professor hat in seinem Raum immer so einen Gymnastikball auf dem er selber gerne sitzt und auch irgendwelche Übung macht. Aber ich weiß noch, in meiner ersten Stunde glaube ich hatten wir beide so einen Ball und da haben wir uns halt hingestellt und uns mit diesen Bällen durch den Raum geschubst. Und damit wollte er mir quasi demonstrieren, wie er spricht immer vom Gravitationsfeld, der des Handgelenks in der linken Hand und wie beweglich das ist und wie wichtig ist, dass das flexibel ist, aber doch so einen festen Standpunkt hat. Also. Und das habe ich natürlich mit Schülern auch schon gemacht. Und das ist natürlich für die eine große Spielerei. Aber am Ende kommt, da bleibt ja was hängen und es ist immer eine Erinnerung da und ich glaube, irgendwann werden sie auch darauf zurückblicken und sich erinnern, was es damit auf sich hatte.

Christofer Hameister:
Nun ist es ja so nach dem Studium würden viele gerne ins Orchester und dann stellt man fest: Ups, also so viele Möglichkeiten / Orchester gibt es ja gar nicht, um alle aufnehmen zu können. Dann die Musikschule, die Pädagogik, das ist ja nun auch nichts für jeden, oder?

Philipp Lang:
Nein, nicht jeder ist gleich und ich finde es auch total okay, wenn Leute halt für sich entscheiden, dass irgendwie die Pädagogik das ist vielleicht ein nettes Zubrot, aber das ist auf jeden Fall nicht ihre Hauptaktivität und das kann ich voll nachvollziehen. Aber wir als Gitarristen, du als Akkordeonist, wirst das vielleicht auch verstehen. Wir sind halt keine Orchesterinstrumente und deswegen ist für uns ... also unser Berufsfeld schließt auf jeden Fall die Pädagogik mit ein und für mich war das halt von Anfang an klar, ich werde mal in der Musikschule arbeiten. Das ist aber auch etwas für mich, was kein Kompromiss ist, sondern das tue ich total gerne. Und das gibt mir selber viel Kraft für mein Leben und ich finde es total bereichernd, mit Kindern und Jugendlichen zu arbeiten. Und wenn man vor allem was schaffen kann, ein Wohlfühlort in der Musikschule, wo man schafft, dass die Musikschule für sie ein Ort ist, wo sie gerne hinkommen und sich gerne treffen und Freunde kennenlernen, dann habe ich irgendwie alles geschafft. Als Pädagoge weiß ich, was ich wollte, dass sie halt gerne Musik machen und gerne an diesen Ort kommen. Aber natürlich haben wir oft Gespräche geführt im Studium oder führen sie auch noch. Und ja, ich kann die Leute verstehen und also ich selber, ich glaube, ich maße mir an, jetzt zu wissen, wie der Weg ablaufen würde. Man müsste halt wirklich sehr, sehr viel investieren in Übezeit, in Wettbewerbe, dann nur von von Konzerten leben zu können. Es ist heute sehr, sehr schwer, aber es ist bestimmt möglich. Also ich kenne einige, die die schaffen das und da zücke ich wirklich den Hut, aber ich glaube, für mich wäre das, wäre das nicht mehr so die Perspektive.

Christofer Hameister:
Dann bleiben wir mal beim Weg der Musikschule, vielleicht mal als Service, wenn Studierende gerade zuhören und sagen: Ja, das wäre auch was für mich, kann man da was falsch machen?

Philipp Lang:
Also falsch machen kann man eigentlich gar nicht so viel. Man bewirbt sich einfach an Musikschulen und meistens in diesen Kreisen, in denen man so ist. Also wir haben zum Beispiel so eine WhatsApp-Gitarristengruppe und dort wird ständig, also fast jede Woche kommt irgendwo ein Stellenangebot oder ein Gesuch nach Honorarkräften an der Musikschule, wie ich es aus den Musikschulen kenne. Ich selber bin ja in Sömmerda festangestellt und an einem Tag noch in Erfurt und in beiden Musikschulen breitet man die Arme offen aus für neue Unterstützung seitens der Studierenden.

Christofer Hameister:
Es klingt ja nach einer Menge Arbeit, also im wahrsten Sinne, zum Studieren bleibt da genug Zeit?

Philipp Lang:
Am Vormittag hat man ja trotzdem noch frei und kann man auch super Hauptfachunterricht nehmen und hat auch genug Zeit zu üben. Also es war sehr, sehr stressig und es war sehr voll der Plan. Aber ich habe es auch geschafft letztes Jahr meinen Abschluss zu spielen und dafür ausreichend zu üben. Es ist ja weiß Gott nicht so, dass man als Pädagoge an der Musikschule irgendwie den ganzen Tag verplant hat. Da kann ich jedem die Angst nehmen, der denkt, dass er da nicht genug Zeit hat zum Üben. Und die meisten, die ich kenne, arbeiten 1 bis 2 Tage und haben dann immer noch genug Zeit.

Christofer Hameister:
Für alle, die jetzt Lust bekommen haben, an die Musikschule zu gehen. Stichwort Finanzen: Zählt man da jetzt als festangestellt? Du hast grade erwähnt Festanstellung und Honorar, das beißt sich doch so ein bisschen. Kannst du nochmal erklären?
 
Philipp Lang:

Sehr gerne. Also man zählt tatsächlich als Freiberufler, wenn man Honorarlehrer ist. Also das ist eben der Anfang als Gitarrist oder als Musiker. Wenn man unterrichten möchte, dann kriegt man einen Honorarvertrag mit der Musikschule und ist aber frei in der Unterrichtsplanung. Also wann man den Unterricht macht. Mir wurde sogar gesagt, dass man theoretisch sogar frei ist, wo man das dann macht. Aber die Musikschulen wollen natürlich, dass man das in ihren Räumlichkeiten macht. Das ist einfach auch eine Bindung zu dem Haus gibt, sonst könnte man es ja komplett schon privat machen, dann kriegt man ein Honorar. Das etwas blöde daran ist, dass man dann eben auch nur für das bezahlt wird, was man tatsächlich gearbeitet hat. Das heißt, wenn man krank ist, hat man keine Lohnfortzahlung und Ferien sind nicht bezahlt, Feiertage und wenn der Schüler länger ausfällt, doch da kriegt man es bezahlt sogar. Aber wenn man selber krank ist, jedenfalls nicht. Und das ist halt im Grunde auch das große Manko. Und dass keine Sozialversicherung gezahlt werden, dafür gibt es dann die Künstlersozialkasse, auch KSK genannt, in der man sich anmelden kann, wenn man den Großteil seiner Arbeitszeit oder den Großteil seines Einkommens mit freiberuflicher Tätigkeit ausfüllt. Also für Honorarkräfte ist es auf jeden Fall eine gute Option, weil dann zählt quasi die KSK als der Arbeitgeber und übernimmt dann diese Hälfte des Krankenkassenbeitrags. Und das nimmt einem natürlich ganz viel ab und dadurch kriegt man dadurch teilt man auch schon ein und muss sich keine Sorgen machen über eine private Krankenversicherung oder diese Beitragszahlung, die ja dann doch recht hoch sind.

Christofer Hameister:
Kommen wir mal zur eigentlichen Tätigkeit einer Musikschule, also zum Unterrichten. Wie motivierst du eigentlich kleine Kinder? Also es gibt doch sicherlich auch diejenigen, die von Woche zu Woche einfach nicht üben oder auch mal wochenlang oder? Oder gibt es die nicht mehr?

Philipp Lang:
Witzig. Der war gut. Nein, man muss schon sagen, also ein Großteil der Schüler ist jetzt nicht der Musterschüler, der irgendwie jeden Tag sich hinsetzt und eine halbe Stunde Gitarre übt, sondern die meisten Schüler sind eigentlich wie ich selber früher, die ersten fünf Jahre, glaube ich, habe ich mich auch mehr hingeschleppt. Meistens. Oh Mist, ich habe ja wieder Gitarrenunterricht in zwei Stunden. Dann setze ich mich mal hin und mache halt das, was ich eigentlich die ganze Woche machen sollte. Aber ich glaube, dadurch habe ich halt gut Blattspielen gelernt zum Beispiel. Und irgendwann hat es dann eben Klick gemacht und deswegen bin ich auch ein großer Freund dessen, dass man mit viel Enthusiasmus und Spaß einfach den Schülern vermittelt, dass sie einfach dranbleiben sollen und dass das dann schon irgendwann eben, dass es irgendwann Klick macht und sie vielleicht selber checken, dass das auch ganz entspannt sein kann oder dass das auch ein ganz toller Zeitvertreib ist. Für mich ist auf jeden Fall auch ganz wichtig, dass man einen persönlichen Bezug herstellt, dass das gibt mir viel mehr Möglichkeit, den Schüler zu motivieren, weil ich dann halt sehe, wie ist denn der Zeitplan oder wie ist denn die mentale Verfassung dann schafft man eben diese Atmosphäre, dass der Schüler halt auch gerne in den Unterricht kommt und sich wohlfühlt und sich dann auch vielleicht traut, das eine oder andere Stück zu spielen, was er noch nicht so super beherrscht. Und das aber trotzdem dann erarbeiten möchte.

Christofer Hameister:
Gab es am Anfang auch so Überraschungsmomente? Also du bist das erste Mal in die Musikschule gekommen und sollst unterrichten?

Philipp Lang:
Ja, tatsächlich. Ich kam ja. Also das ist ja auch ein Punkt, warum ich am Ende doch Musik studiert habe. Weil ich gemerkt habe im Managementberuf, dass ich ganz viel Spaß daran habe, Leute anzulernen oder Leuten Dinge zu erklären und sie dabei zu begleiten. Und ich habe dann gemeint, na ja, dann wird das doch mit Schülern auch gut klappen. Das war natürlich eine Überraschung. Wenn du mit Erwachsenen irgendwie in Managementbereich arbeite, die natürlich ganz beflissen und bei Schülern ist es alles ein bisschen anders. Die haben halt eben ihren Kindskopf und irgendwie ganz andere Flausen im Kopf und erzählen. Also es gibt Schüler, natürlich, die sind still und es gibt andere Schüler, die kommen im Unterricht und klappern dich voll und erzählen dir, was heute auf dem Pausenbrot war und was in der Schule los war, ohne dass du danach gefragt hast. Und ich finde, das ist aber auch was ganz Erfüllendes, wenn nicht so ein Menschlein manchmal einfach so voll plappert und du eigentlich den Unterricht irgendwie geplant hast und merkst, das hat schon wieder hinten und vorne nicht gepasst, weil irgendwie hat der Schüler nicht aufgehört zu quasseln. Und wenn du so einen 6-Jährigen dasitzen hast, der dir gerne was erzählt, dann, dann bist du eben auch mal der nette Onkel, der, der sich das erzählen lässt.

Ich erinnere mich an meinen ersten Tag an der Musikschule, als ich halt mit großen Plänen angefangen habe und dann aber gemerkt habe, dass sich alles relativiert, sobald der Schüler den Raum betritt. Weil in dem Moment zählt halt nur der Schüler. Und wenn der Schüler dir irgendwas erzählen will, dann muss man halt eben erzählen lassen erst mal! Und Schüler haben einen ganz anderen Kopf.

Christofer Hameister:
Und jetzt noch mal einen allerletzten Tipp für alle, die jetzt Blut geleckt haben, in die Musikschule zu gehen?

Philipp Lang:
Mach doch einfach mal drauf los und stelle fest, wie du dich selber dabei findest. Aber bei all dem sollte man nicht vergessen, den Spaß an der Sache zu behalten und dass man seine eigene Leidenschaft, weil die haben wir ja alle für die Musik und für das Instrument, dass man die auch zeigt, dass man sich auch traut, es dem Schüler zu zeigen, wie sehr man selber dafür brennt, auch von sich selber zu erzählen. Auch von Herausforderungen, vor denen man heutzutage noch steht, aber auch schon immer stand. Und das holt ja die Schüler auch ab. Und dann merken sie: Aha, der der Lehrer ist ja irgendwie auch nur ein Mensch und hat ja auch mal die Probleme gehabt, die ich hatte. Und das ist dann für den Schüler viel mehr die Möglichkeit, davon zu lernen und zu merken okay, ich könnte es auch mal so weit schaffen, ich muss nur dranbleiben.

7. Folge: Musikpädagoge Gero Schmidt-Oberländer

Welche Rolle spielt Musik in der Bildung? Warum sollten Schüler*innen zuerst lernen, Musik zu machen, bevor sie lernen, Noten zu schreiben? Gero Schmidt-Oberländer, Professor für Schulpraktisches Klavierspiel und Direktor des Instituts für Musikpädagogik und Kirchenmusik, erzählt, wie sich Musikunterricht in den letzten Jahrzehnten verändert hat – und welche Veränderungen noch kommen sollten.

Auch über seine eigene Studienzeit plaudert der heutige Professor mit Moderator Christofer Hameister. Wie kam er überhaupt zum Musikstudium und dann nach Weimar? Hört rein!

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Transkript 7. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich willkommen zu einer weiteren Podcastfolge der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Damit Sie uns besser kennenlernen, sprechen wir ja Monat für Monat mit Angehörigen der Musikhochschule. Und heute freuen wir uns auf Professor Gero Schmidt-Oberländer. 

Gero Schmidt-Oberländer:
Hallo! 

Christofer Hameister:
Jetzt muss ich ausholen: Professor für Schulpraktisches Klavierspielen, zudem Direktor vom Institut für Musikpädagogik und Kirchenmusik, Musiker, Lehrbuchautor, Bigbandleiter, viel im Ehrenamt tätig… Also ich fasse mal kurz zusammen: Eine ziemlich lange Liste von Hobbys, oder?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, ja. Also Kochen, Wandern, Lesen und Sport treiben.

Christofer Hameister:
Sport wann?

Gero Schmidt-Oberländer:
Wann Sport treiben? Morgens früh. Ich bin oft so um halb sechs, sechs unterwegs und renne meine Bahnen.

Christofer Hameister:
Bevor wir so richtig anfangen, müssen wir noch eine kleine Sache klären. Prinzipiell wird ja hier jeder und jede gesiezt, aber a) kennen wir uns schon seit dem Studium. Und b) meine ich mich zu erinnern, dass es niemanden an der Musikhochschule gibt, der dich siezt, oder?

Gero Schmidt-Oberländer: 
Wenige… wenige, ja.  

Christofer Hameister:
Ist das Duzen denn für den Lehrerberuf gut? Also ist es gut, wenn die Schüler einen duzen.

Gero Schmidt-Oberländer:
Na ja, es ist natürlich schon so, ich bin, als ich Lehrer war, an der Schule habe ich eigentlich niemanden geduzt außer ein Nachbarskind. Was mich eben aus anderen Kontext kannte.

Christofer Hameister:
Und wie stehst du dem heute gegenüber? 

Gero Schmidt-Oberländer:
Ich glaube das ist schon noch mal was anderes zwischen erwachsenen Lehrern und Kindern oder eben zwischen erwachsenen Menschen. Es hat sicher bei mir auch damit zu tun, dass ich relativ jung war. Ich war, glaube ich, 32, als ich hier anfing und hatte zum Beispiel zwei Studierende, die älter waren als ich. Da war ich noch sehr nah dran, vom Alter her. Jetzt merke ich zunehmend, dass Studierende im ersten Semester noch ein bisschen Probleme haben mit dem Du und dem Gero. Aber das legt sich sehr schnell.

Christofer Hameister: 
Im Klassenzimmer wird dann gesiezt, im Podcast jetzt geduzt. Du darfst dich einmal vorstellen mit einem Musikbegriff der Wahl. Das machen wir immer am Anfang des Podcasts. Was beschreibt Gero Schmidt-Oberländer am besten? Das kann ein Instrument sein, das kann ein Tempobegriff sein. Was ist es bei dir?

Gero Schmidt-Oberländer:
Oh... Allegro, weil das das italienische Wort für laufen ist und ich lauf gerne. Und ich, äh, ich bin eher ein ungeduldiger Mensch, der sich immer freut, wenn Gremiensitzungen stringent geführt wird und es läuft. Also bei mir soll es immer laufen.

Christofer Hameister:
Und morgens beim Joggen auch. Also erste Laufrunde - Allegro?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja und dann mal ins Presto gehen oder so

Christofer Hameister:
Erinnerst du dich eigentlich, wann du das erste Mal so mit Musik in Berührung kamst?

Gero Schmidt-Oberländer: 
Die allererste Erinnerung, die ich mit Musik habe, ist eine familiäre natürlich. Es stand ein riesiges altes schwarzes Steingräberklavier bei meiner Oma im Haus und wir wohnten damals noch bei ihr. Und da habe ich meine ersten Versuche gemacht und war ganz stolz, dass ich alle meine Entchen mit einem Finger spielen konnte.

Christofer Hameister:
Und wann hast du angefangen, Musikschulunterricht zu nehmen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ich war sieben Jahre alt, da haben meine Eltern dann gesagt: „Der Junge muss Klavierunterricht bekommen, der sitzt ja nur am Klavier.“ Ich habe wirklich viel gespielt, aber halt immer dieselben Lieder und dann bekam ich, hatte ich großes Glück und bekam in Bayreuth bei einer sehr jungen Klavierlehrerin, ich war ihr zweiter Schüler, sie kam gerade vom Konservatorium, bekam ich Klavierunterricht und bin dann auch die 13 Jahre, die gesamte Schulzeit bei ihr geblieben. Das war wirklich eine gute Schule.

Christofer Hameister: 
Gibt es etwas, was dich besonders begeistert hat am Unterricht damals?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, also diese Klavierlehrerin, Helene Schmidt hieß die, die hat mir viel Freiraum gelassen. Die hat gemerkt, dass ich gerne improvisiere und hat mich dann auch eben nicht nur aus der Klavierschule diese Stückchen spielen lassen, sondern auch gesagt: „erfinde selber welche“ und hat das immer, immer gefördert und das hat mich dann auch quasi über die Pubertät rüber gerettet, wo ich dann anfing mich so für Jazz und Boogie-Woogie und so was zu interessieren. Dass sie mich das hat machen lassen und nicht wie ich es von anderen Mit-Klavierschülern, die bei anderen Lehrerinnen waren, gehört habe: „Das verdirbt den Anschlag und das macht das Klavier kaputt“ und so und das war überhaupt bei ihr nicht so und das hat mich glaube ich, darüber gerettet.

Christofer Hameister: 
Klaviersolo das eine, du leitest aber heute auch eine Bigband, die SchuMu-Bigband. Hast du vorher schon in Combos gespielt?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, dann später, in der Schulzeit hatten wir so eine kleine Band mit. Es waren zwei Gitarristen und Klavier. Eigentlich eine blöde Besetzung, lauter Akkordinstrumente, aber wir haben mit großem Vergnügen stundenlang Blues gespielt. Aber ich bin auch in einer ganz anderen Richtung unterwegs gewesen: Ich habe, seit ich 13 war, Orgelunterricht auch gehabt und hab dann die Idee und die D- und die C-Prüfung, also diese Prüfung für Kirchenmusiker im Nebenamt gemacht dann noch zur Schulzeit und das war für mich auch eine große Bereicherung, weil auch da ging es ja viel um Improvisation.

Christofer Hameister:
Okay, also die Musik spielte eine große Rolle. Gab es da noch eine Alternative oder kam gar nichts anderes in Frage?

Gero Schmidt-Oberländer:
Doch, doch, doch. Es kam eigentlich dadurch, dass ich direkt nach dem Abitur musste man, oder kurz vor dem Abitur sogar musste man zu unserer Zeit noch zur Musterung, ob man bundeswehrtauglich ist. Und ich wurde zurückgestellt, weil ich viel Allergien habe. Und das war für mich aber überraschend. Und ich dachte dann nach dem Abitur, was mache ich denn jetzt? Und hab die Bereiche, wo ich mich gerade dafür interessiert habe, angewählt und habe dann in Freiburg angefangen, Musikwissenschaft, Ethnologie und Griechisch zu studieren. Altgriechisch, weil ich das als Leistungskurs hatte. Und im Laufe dieses 1-jährigen Musikwissenschaftsstudiums lernte ich einen Schulmusiker kennen, mit dem ich dann viel vierhändig gespielt habe und der mich überredet hat, doch mal die Aufnahmeprüfung zu probieren. Und diese Begegnung, dem bin ich heute noch dankbar, dass er mich sozusagen in die Musikhochschule gelockt hat. Und nach kurzer Zeit wusste ich: Ja, das ist es.

Christofer Hameister:
Du bildest ja angehende Musiklehrerinnen und -lehrer aus. Erinnerst du dich noch an deinen Musikunterricht an der Schule?

Gero Schmidt-Oberländer:
Der weiterführenden Schule? Das war ja in Bayreuth, also in Bayern. Da waren alle Musiklehrer sehr gute Klavierspieler und sehr gute Geigenspieler und waren total klassisch ausgerichtet. Und wir haben in Klasse fünf und sechs zwei Sachen gemacht, wir haben Lieder gesungen und wir mussten alle Tonleitern und Kadenzen aufschreiben. Das Lied, das Singen, hat Spaß gemacht und alles andere war sehr langweilig. Und dann ab Klasse sieben ging's eigentlich nur noch um Musikgeschichte. Also der Freischütz, die Moldau, die Sinfonie, die Sonatensatzform und so, und das wurde halt auswendig gelernt und dann wiedergekäut. Und gerade die, die mit, mit Musik gar nichts am Hut hatten, für die war das einfach gefühlt Zeitverschwendung, dieser Unterricht.

Christofer Hameister:
Ich meine, jetzt arbeitest du ja schon seit über 20 Jahren mit Kolleginnen und Kollegen an der Verbesserung des Musikunterrichts. Kannst du irgendwas aus deinem Musikunterricht von früher mitnehmen, wo du sagst: „Ja, das war gut, das wünsche ich mir heute auch wieder.“

Gero Schmidt-Oberländer:
Oh, das, das fällt mir schwer, weil ich ja seit 25 Jahren mit vielen Kollegen an der Verbesserung des Musikunterrichts arbeite. Und ich glaube, der Musikunterricht, den ich genossen habe, der Bestand wirklich nur außer vielleicht in den ersten Jahren aus den Aspekten Noten schreiben, was aber nichts mit wirklich einer echten Musik-Lesekompetenz zu tun hatte, sondern das bestand also aus Abzählen von Linien und dann eben das Wiederkäuen von Wissen über Musik. Das Lernen von Musik selber, das fand überhaupt nicht statt. Und das ist was, was heute eben in den Schulen sich massiv geändert hat, dass eben erst das Lernen von Musik kommt und dann auch auf dieser Basis das Lernen über Musik. Und insofern fällt es mir schwer, etwas zu finden, außer dass mein Musiklehrer ein sehr netter Mensch war, ein humorvoller, ja.

Christofer Hameister:
Ja, na immerhin.

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, genau.

Christofer Hameister:
Du hast dich dann dazu entschieden, Musik zu studieren in Freiburg, Trossingen. Und es ging dann auch nach Schweden.

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, Stockholm war war für mich vielleicht das schönste Jahr meines Studiums, weil ich da ganz viele Freiheiten hatte. Und ich hatte im Laufe des Studiums, oder eigentlich schon kurz kurz vor dem Musikstudium schon, in den ersten Jahren Musikwissenschaft, bin ich zufällig in einen sehr guten Chor geraten, und da hat man eine Leidenschaft fürs Singen und dann auch Chordirigieren entdeckt. Und dann habe ich überlegt, wo in der Welt kann man denn beim Dirigieren noch mehr lernen und weitere Perspektive bekommen? Und da haben alle gesagt Schweden. Und dann habe ich mich da beworben, ins Blaue hinein und hatte das Glück, eben ein Jahr noch, dass war sein letztes Unterrichtsjahr, bei dem großen Erik Eriksson studieren zu können. Das war so der Leonard Bernstein des Chordirigierens. Also alle großen Chordirigenten damals und zum Teil auch noch heute, haben zumindest Meisterkurse bei ihm gemacht oder bei ihm studiert. Also er war ein wahnsinniger Katalysator, insbesondere für neue Chormusik. Und da habe ich ein ganz tolles Jahr verbracht, habe in fünf verschiedenen Chören gesungen und Schwedisch gelernt, aber vor allem eben die Chormusik, vor allem des 20 Jahrhunderts kennengelernt, die mir noch nicht so vertraut war. Das war also sehr, sehr bereichernd dieses Jahr.

Christofer Hameister:
Wenn es um die Standards an deutschen Schulen geht, dann schielt man ja immer wieder nach Schweden oder die skandinavischen Länder. Ist es besser dort?

Gero Schmidt-Oberländer:
Na gut, also da habe ich eher spätere Eindrücke, als ich schon hier Professor war. Im Studium habe ich wenig mit der Schule in Schweden zu tun gehabt. Ich war Student und ich war vor allem in der Chorszene da unterwegs und an der Hochschule. Aber als ich hier dann in Weimar ankam, war ich zum Beispiel mal als Gastdozent in Helsinki und habe auch Schulen besucht und das ist natürlich ein sehr, nicht völlig anderer Unterricht als bei uns, aber doch in Musik war damals schon so, wie wir es jetzt in Deutschland flächendeckend haben. Nämlich, dass das gemeinsame Musizieren im Zentrum des Musikunterrichts steht. Und da, da habe ich in den ersten Jahren dann in Helsinki oder auch Stockholm sehr, sehr viel gelernt. Als ich hier schon unterrichtete.

Christofer Hameister:
Wenn wir in der Biographie von dir ein bisschen weiter schreiten: Wir sind am Ende des Studiums, du hast Musik studiert, also Schulmusik, Chordirigieren und Jazz. Und nun? Was nun? Lieber Gero.

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, das war relativ einfach, denn kurz nachdem ich mein Staatsexamen fertig hatte, eröffnete mir meine damalige Freundin, dass wir ein halbes Jahr später unser erstes Kind bekommen werden und als Jazzmusiker oder auch als Chorleiter eine Familie zu ernähren, wenn man kein Weltstar ist, ist nicht so einfach. Und deswegen war von vornherein klar: Ich werde in die Schule gehen und ich hatte auch wirklich Lust drauf und das hat sich dann auch bewahrheitet. Also drei Wochen nachdem mein Kind auf die Welt kam, stand ich das erste Mal dann im Referendariat vor der Klasse. Viele sagen Referendariat, „Oh Gott, das Grauen hat einen Namen“, Aber für mich war das eher entspannt, weil meine Prioritäten ganz woanders lagen, nämlich in der Familie. Und so konnte ich relativ entspannt da mein Referendariat abhandeln.

Christofer Hameister:
Jetzt bereitet man in Weimar ja sehr praxisorientiert die Schulmusikerinnen und Schulmusiker auf den Schuldienst vor, fühltest du dich nach dem Studium bereit, 30 Kinder zu unterrichten.

Gero Schmidt-Oberländer:
Teils, teils. Was wir nicht hatten, war ein Praxissemester wie hier in Weimar. Und wir hatten nur eine Veranstaltung, die hieß Micro Teaching, wo wir kleine Unterrichtseinheiten mal in der Klasse ausprobieren konnten. Aber immerhin, das war nicht in allen Hochschulen üblich. Und ja, etwas was die praktischen Skills betrifft, muss ich sagen Nein, wir hatten kein praktisches Klavierspiel, wir hatten Partiturspiel und Generalbass und wir hatten alles das, was in den Bereich populäre Musik geht auch überhaupt nicht. Aber wir hatten den damals wegweisenden Didaktik-Professor Wilfried Gruhn, der für mich wirklich immer noch ein großes Vorbild ist und ein visionärer Mensch war, der hat den Edwin Gordon, der sozusagen den Grundstein gelegt hat mit seiner Musik Learning Theory, für den aufbauenden Musikunterricht, für den ich auch stehe. Der hat den Gordon nach Deutschland geholt und hat sozusagen den Musikunterricht vom Kopf auf die Füße gestellt. Und ich habe von Anfang an schon im Referendariat und dann als junger Lehrer nach Gruhns und Gordons Ideen meinen Unterricht gestaltet, nämlich vom Musikmachen ausgehend zu einem Können und dann zu einem Wissen zu kommen. Und das war für mich insofern ja vom Überbau her exzellent, von den praktischen Skills so mittel.

Christofer Hameister:
Und haben dich die Kinder sofort akzeptiert als jungen Lehrer?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, ich meine, zum einen liegt es natürlich daran, dass ich ein Mann bin. Das soll jetzt nicht abwertend gegenüber Frauen und Lehrerinnen gemeint sein, aber ich bin groß, hab eine tiefe Stimme und wenn ich „Ruhe“ sage, dann drang das natürlich durch. Und ich hatte aber auch Spaß. Und ich habe, glaube ich, vielleicht ist eine meiner Stärken das, dass mir die Kinder mehr am Herzen liegen als das Fach, so wie ich es bei den Studierenden auch so versuche zu handhaben.

Christofer Hameister:
Also das scheint ja so ein bisschen, als ob der Lehrerberuf genau der richtige Job gewesen ist. Dennoch kam ja dann irgendwann Weimar. Wie, wie kam es dazu?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ich habe direkt nach einer eigentlich schon immer im Referendariat hatte ich einen Lehrauftrag für Popularmusik an der katholischen Fachhochschule. Und dann eben direkt nach dem Referendariat, fragte mich jener Professor Gruhn, ob ich nicht einen Lehrauftrag für Schulpraktisches Klavierspiel übernehmen wollte. Das habe ich drei Jahre gemacht, während ich schon an der Schule war. Das ist wieder so ein Moment wie das, was ich vorhin gesagt hatte mit dem Studenten, der mich überredet hat, die Schulmusik-Aufnahmeprüfung zu machen. Da bin ich meinem damaligen Prof Helmut Lörscher sehr, sehr dankbar, dass er mich auf diesen Aushang aufmerksam gemacht hat. Am Schwarzen Brett in Weimar ist eine Professur SchuPra zu vergeben und er sagt: „Da war ich mal, bei so nem Wettbewerb, das ist eine schöne Stadt, Probier's doch mal!“ Und ich habe dann ein bisschen gezögert und dann habe ich eine mini-kurze Bewerbung geschrieben noch mit unserem ganz schlechten Drucker, das war alles gestreift, da hingeschickt und habe gedacht, die melden sich sowieso nie. Und dann haben die mich eingeladen. Und ich sah die Anforderungen, die da gestellt waren und mit ach, alles vom Blatt und also fast wie im Wettbewerb die Anforderungen. Und dann habe ich kurz gezögert, habe gedacht, nee, ich ich sag ab, das kann ich nicht. Und dann habe ich mir doch einen Ruck gegeben, habe gedacht Na gut, also jetzt übe ich noch mal zwei Monate, bis diese Vorstellung ist. Und dann bin ich mit dem Ziel hingefahren, mich nicht zu blamieren und mal so in eine andere Hochschule reinzuschnuppern. Und dass das dann was geworden ist, da war ich selbst der Überraschteste. Also die Intention war nicht „ich muss unbedingt diese diese Stelle bekommen“, sondern ich war wirklich sehr gerne an der Schule in Nordbaden. Es war so ein Kreis-Gymnasium, war ich Musiklehrer und ich bin auch mit einem lachenden und einem weinenden Auge da weggegangen, weil mir die Schüler da und das Kollegium und der Standort, das lag mir alles schon sehr am Herzen. Und also ich bin nicht weg, weil mich was gestört hat. Aber wenn man so ein Angebot bekommt, dann schlägt man das natürlich nicht aus.

Christofer Hameister: 
Das ist richtig. Seit '96 bist du jetzt Professor in Weimar. Wie war damals dein erster Eindruck von Weimar?

Gero Schmidt-Oberländer:
Der allererste Eindruck war ja, dass Vorspielen und Vor-unterrichten im Hochschulgebäude am Palais und das wurde gerade renoviert. Also ich hatte den Eindruck einer Baustelle. Ich war in dem Vorbereitungsraum, der überall mit Malerfolien verhängt war und durfte da in einem Flügel mich warmspielen. Und dann kam ich ins Dachgeschoss. Das ist der heutige Ensembleraum. Das sah wirklich noch richtig oll aus und da war dann meine, meine Vorstellung und da hat sich natürlich einiges getan. Aber es gibt, also meinen Unterrichtsraum, das war tatsächlich der Vorbereitungsraum damals, der ist seither nicht wirklich renoviert worden. Also die Farbe ist immer noch dieselbe, nur dass alles etwas angeranzt ist.

Christofer Hameister:
Und Weimar grundsätzlich, also schon mal früher dagewesen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ich war tatsächlich schon mal vorher in Weimar, 1986 haben wir von Freiburg aus mit der Orgelklasse eine Exkursion gemacht nach Leipzig. Das war sehr abenteuerlich, aus dem Westen kommend, also dass wir da überhaupt alle hin durften. Und da haben wir dann einen Tag oder einen halben Tag auch in Weimar verbracht, und das Ganze fand im Anfang März statt und Leipzig war grau, braun, dreckig und Weimar war der einzige Farbfleck auf der ganzen Reise durch die für uns aus dem Westen kommenden sehr, sehr graubraune DDR. Und da hatte ich eben auch die Erinnerung, die positive Erinnerung daran. Ich glaube, wenn die wenn die Professur in Leipzig ausgeschrieben gewesen wäre, hätte ich mich möglicherweise gar nicht beworben. Aber Weimar hatte ich ein bisschen positiver in Erinnerung und das bewahrheitete sich auch, als ich dann hier anfing. Es ist natürlich ganz anders als heute. Es war maximal 1/3 aller Häuser irgendwie saniert, aber wenige Jahre später kam ja dann das Kulturstadt-Jahr 99 und da war dann plötzlich, also vorher ein Jahr nur Baustelle überall. Und dann war die ganze Stadt Schmuck und sah ein bisschen aus wie Disneyland dann, weil alle Häuser richtig schick waren.

Christofer Hameister:
Dann versetzen wir uns mal in die Lage, da wird man mit 33 Jahren Professor für Schulpraktisches Klavierspiel in Weimar. Das macht doch was mit einem, oder?

Gero Schmidt-Oberländer:
Klar, klar, natürlich. Also ich würde lügen, wenn ich sagen würde, das hat nichts mit mir gemacht. Aber zunächst mal war es eine große Ehrfurcht vor der mit dem Titel verbundenen Aufgabe, also auch diese diese Bedenken. Kann ich die Erwartungen erfüllen, die an mich im Zusammenhang mit dieser Stelle geknüpft werden? Es ist ja schon was. Ich war vorher Studienrat an einem Kreis-Gymnasium, dann plötzlich Professor an der Hochschule, wo dann eben große Namen schon unterrichteten und und dann, ja, der damalige Rektor sagte ja, „wir erwarten, dass Sie ein Leuchtturm des Faches werden in Deutschland“ und so, und das war natürlich sehr un-nett von ihm, das so zu sagen, weil das mich wahnsinnig unter Druck gesetzt hat. Und es hat schon mehr als drei Semester gedauert, bis ich so das Gefühl hatte: „Ja, ich bin richtig hier, ich kann das gut unterrichten und ich muss mich auch nicht schämen, weil ich nur Klavierspieler und kein Pianist bin“, sondern wurde zunehmend stolz darauf, dass ich eben Klavierspieler bin und dass ich den großen Unterschied zu Pianisten auch sehe und bis heute betone.

Christofer Hameister:
Bist du dann direkt nach Weimar gezogen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Also ich bekam '95 schon eine Vertretungsprofessur und habe die dann, es war eine halbe Vertretungsprofessur, weil ich gesagt habe, ich möchte in meiner alten Schule noch den Leistungskurs, den ich angefangen hatte, zum Abitur führen und bin dann ein Jahr gependelt zwischen… das war immer fünf Stunden Zugfahrt, Montag früh um sechs in Zug und Dienstagabend um zehn war ich wieder zu Hause. Aber wir haben konnte dann eben schon Wohnungen suchen und wir sind quasi im Juli '96, dann als Familie, ich hatte inzwischen drei Kinder, als Familie nach Weimar gezogen, in die Thomas-Müntzer-Straße, damals eine schöne Altbauwohnung. Und meine Frau hatte gesagt: „Wenn ich schon mit dir in den Osten gehe und der Osten, das ist jetzt in Anführungszeichen, dann will ich, dass wir schön wohnen.“ Und dann habe ich eine Weile gesucht und tatsächlich was Schönes gefunden mit Sauna im Keller, das war schon toll mit Sauna.

Christofer Hameister:
Okay, dann kommt jetzt der schnelle Aufguss, und zwar so schnell wie möglich antworten. Wir machen eine Fragerunde, ja?

Gero Schmidt-Oberländer:
 Ich probiers.

Christofer Hameister:
Weimar ist für mich ...

Gero Schmidt-Oberländer:
Die schönste Stadt Deutschlands.

Christofer Hameister:
Weimar ist zum Studieren ...

Gero Schmidt-Oberländer:
Optimal. 

Christofer Hameister:
Wenn du dir ein Land aussuchen könntest, in welchem du leben würdest.

Gero Schmidt-Oberländer:
Schweden.

Christofer Hameister:
Auf was könntest du denn im Leben nicht verzichten? 

Gero Schmidt-Oberländer:
Musik. 

Christofer Hameister:
Und auf was könntest du verzichten?

Gero Schmidt-Oberländer:
Rechte Politiker und Extremisten und Zecken.

Christofer Hameister:
Wenn du eine berühmte Persönlichkeit, egal ob lebendig oder tot, treffen dürftest, wer wäre es?

Gero Schmidt-Oberländer:
George Gershwin.

Christofer Hameister:
Und was würdest du ihn fragen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Wie er so tolle Songs schreiben kann.

Christofer Hameister:
Gibt es eine Musikrichtung, die du gar nicht hören würdest?

Gero Schmidt-Oberländer:
Techno, glaube ich.

Christofer Hameister:
Welchen Job an der Hochschule würdest du gerne mal machen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ich würde gern mal den Schulchor leiten. Ja, vielleicht. Ja.

Christofer Hameister:
Das lässt sich doch bestimmt mal einrichten. Lieber Gero, lass uns mal über die Bildungssituation in Deutschland reden. Also, wenn man in manchen Lehrerzimmern mal Mäuschen spielen würde, dann kommen da immer mal so Aussagen wie: „Ja, Musik, Kunst, Sport, das sind ja eigentlich nicht die wichtigsten Fächer. Viel wichtiger ist da Mathematik, Deutsch, Physik.“ Was entgegnen Sie dieser Aussage? Klar, jeder Lehrer denkt, sein Fach ist das Wichtigste. Aber welche Argumente lieferst du, um dem entgegenzusetzen?

Gero Schmidt-Oberländer:
Das sticht jetzt in ein Hornissennest. Aber man kann erst mal ganz rational antworten und sagen: „Es gibt ja die berühmte PISA-Studie“. Da wurden natürlich vor allem Sprache und mathematische Fähigkeiten getestet. Aber im Vorwort dieser PISA-Studie hat das PISA-Konsortium geschrieben: „Neben der hier getesteten kognitiven Realität muss genauso auch die moralische Evaluation, also Fächer wie Ethik oder Religion oder Geschichte sowie die ästhetisch expressive Rationalität getestet werden.“ Und dazu gehören eben Fächer wie Kunst, Musik oder Theater. Deswegen haben diese Fächer auch ihren gleichberechtigten Platz in der Schule.

Christofer Hameister:
Immer mal wieder wird ja diskutiert, Noten abzuschaffen, Kinder im Musikunterricht bewerten oder ein gemaltes Bild oder die Leistung im Sportunterricht. Hmm, schwierig. Was sagst du?

Gero Schmidt-Oberländer:
Man kann grundsätzlich diskutieren, ob man Zensuren in allen Fächern abschafft und zu anderen Einschätzungen von Werturteilen oder überhaupt zur Einschätzung von Lernprozessen kommt. Aber wenn Zensuren vergeben werden, dann bitte in allen Fächern. Da hat ja im Winter jetzt unser Kultusminister diese Aussage gemacht, man müsste die Noten in Sport, Kunst und Musik abschaffen, weil dort einzig Talent bewertet würde. Und wir haben sofort als Bundesverband Musikunterricht reagiert. Ich habe einen langen Leserbrief geschrieben, weil das ist natürlich eine völlig falsche Aussage, die verkennt, dass der Musikunterricht heute ein ganz anderer ist. Wo nämlich wirklich Musik gelernt wird in kleinen, sinnvollen, aufeinander aufbauende Lernschritte. Und man kann Musik bis zu einem gewissen Level genauso lernen, wie man eine Fremdsprache bis zu einem gewissen Level lernen kann.

Und natürlich gibt es Talent oder man müsste besser sagen Begabung, die aber oft auch natürlich mit dem Milieu zu tun hat, aus dem ein Kind kommt. Also wenn ein Kind in einem, wie ich, in einem Wintersportort groß wird, und quasi auf Skiern groß wird und viel Sport macht, einfach weil wir immer draußen waren und die Eltern auch Sport machen, dann ist man natürlich besser in Sport als als andere Kinder.

Das heißt aber nicht, dass ich unbedingt talentierter bin, sondern ich hab halt früher angefangen, das zu lernen. Und das gilt für Musik ganz genauso. Und das ist eben, vorhin sprach ich davon, dass wir kontinuierlich versuchen, den Musikunterricht zu verbessern. Und das ist, glaube ich, das, was wir im Gefolge von Gordon mit dem aufbauenden Musikunterricht versucht haben zu erreichen. Nämlich allen Kindern einen Zugang zur Musik zu gewährleisten, indem wir sie von einer usuellen, also einer Musikpraxis, die vor allem hörend in ihren Peergroups stattfindet, zu einer verständigen Musikpraxis führen. Also dass sie in der Lage sind, später nach der Schule, wenn sie es wollen, sich in Chören oder in einer Band oder in einem Laienorchester zu engagieren oder überhaupt auf den Gedanken kommen, ein Instrument zu lernen. Denn diese Mär, dass es unmusikalische Leute gibt oder dass es Familien gibt, wo man traditionell nicht singen kann, das ist ein riesen Quatsch und ist auch wissenschaftlich widerlegt. Und da haben wir eine Petition gestartet gegen diese Aussage des Bildungsministers. Er hat sie Glück auch zurückgenommen, aber solche, solche Aussagen, die geistern immer wieder durch die Medien und ärgert mich jedes Mal wieder zutiefst, weil es sozusagen an den Grundfesten dessen rüttelt, woran wir seit Jahrzehnten arbeiten.

Christofer Hameister:
Dann setzen wir mal bei dem aufbauenden Musikunterricht an -  wie funktioniert er?

Gero Schmidt-Oberländer:
Also das grundsätzliche Prinzip hatte ich vorhin schon genannt: Das Lernen von Musik muss vor dem Lernen über Musik stattfinden und das Lernen von Musik sollte in sinnvoll aufeinander aufbauenden Lernschritten stattfinden. Man darf also nicht den dritten Schritt vor dem ersten tun. Das heißt zum Beispiel, dass Noten erst dann eingeführt werden, wenn man sie braucht und man vom Musizieren ausgeht. Und das heißt, dass jede Art Beschäftigung mit auch musikalischen Kunstwerken von einem Handeln, von einem Ton ausgeht. Das kann sein, Bewegung zur Musik, oder mit einem klassischen Stück Body Percussion mitspielen, um sich eben diese Stücke zu erschließen. Und dann eben den Hörsinn oder das Verständnis für diese Musik zu erweitern und dann im besten Falle eben auch in der Lage zu sein, auf den Instrumenten, die im Klassenzimmer im Musikraum da sind, sicher spielen zu können, einen lateinamerikanischen Rhythmus ausführen zu können oder eine Reihe von Terzen spielen zu können oder was auch immer verlangt wird in dem jeweiligen Stil.

Christofer Hameister:
Das setzt ja aber voraus, dass wir genug gute Musiklehrer haben, also prinzipiell, dass wir genug Lehrer haben. Stichwort Lehrermangel. Nun ist ja das Problem nicht erst seit gestern bekannt und du bist ja schon seit etlichen Jahren auch im Bundesverband Musikunterricht. Stößt man da bei den Entscheidungsträgern, sprich Politikern, immer auf Granit?

Gero Schmidt-Oberländer:
Teils, teils. Es gibt schon Politiker, mit denen man ganz gut zusammenarbeiten kann. Aber trotzdem ist es natürlich so, dass die Politik von Wahlperiode zu Wahlperiode denkt. Und man sieht es ja auch beim Klimawandel. Jetzt vor 50 Jahren war der „club of rome“ und jetzt wird immer noch nicht reagiert. Und im Musikunterricht, das sind ja einfache Zahlen. Man sieht, wie viel Kinder werden geboren, man weiß, wie viel Lehrer an den Schulen sind, in welchen Fächern, wie alt die sind und man weiß auch, wann die in Pension gehen. Und schon in den Nullerjahren haben die Lehrerverbände vor der Pensionierungswelle insbesondere in Ostdeutschland gewarnt, die auf uns zurollt. Und es wurde nicht reagiert, sondern man hätte frühzeitig ein bisschen über Bedarf einstellen müssen, um dann diese Situation, die wir jetzt haben, abzufedern. Aber das wurde nicht gemacht, sondern es ist ja natürlich auch ein finanzielles Problem, mehr Lehrer einzustellen, als man eigentlich in dem Moment braucht.

Aber um da reagieren zu können und das ist so ein bisschen dieses Missachten des Prinzips Sparen in der Zeit, dann hast du in der Not. Wir haben jetzt die Not und es wurden wurden keine Lehrerstellen in dem Sinne angespart, indem zusätzliche Lehrer rechtzeitig eingestellt wurden. Und jetzt sind wir in einem Teufelskreis. Denn die Schülerinnen und Schüler, insbesondere in der Pandemie, aber auch schon davor, sehen, was für einen harten Job die Lehrerinnen und Lehrer an der Schule haben. Und es sind immer weniger und die müssen immer noch mehr Formulare ausfüllen. Und dann gibt es Burnouts und da sagen viele „das ist kein Beruf für mich... Da setze ich mich lieber hinter einen Computer und werde Developer oder Influencer“ oder was weiß ich was.

Christofer Hameister:
Merkt man so was dann auch bei Bewerberzahlen? Also für Schulmusik zum Beispiel, sinken die?

Gero Schmidt-Oberländer:
Ja, ja klar. Also wir hatten vor zehn Jahren noch hatten wir 80 bis 100 Bewerbungen, wir hatten die größte Delle dann natürlich in der Corona-Zeit und jetzt geht es wieder aufwärts. Wir haben jetzt vielleicht 15 % mehr Bewerbungen als letztes Jahr, und das ist ermutigend. Aber wir müssen weiter dranbleiben. Wir müssen werben in den Landesmusikakademien, in den Gymnasien und in den Berufsfachschulen für Musik, die es leider nur in Bayern gibt. Aber das ist ein wichtige, wichtige Quelle für uns für sehr, sehr gute Studierende.

Christofer Hameister:
Werben ist auch ein gutes Stichwort. Da machen wir mal einen kleinen Werbeblock. Warum Schulmusik in Weimar?

Gero Schmidt-Oberländer:
Fangen wir beim Kollegium an: Wir haben ein fantastisches Kollegium, was sich in den letzten fünf, sechs Jahren extrem verjüngt hat. Wir kriegen einen neuen Schupra-Prof im Oktober, und da sind wir, glaube ich, jetzt personell sehr, sehr gut aufgestellt. Wir haben mehrere Studienreformen durchlaufen und haben jetzt auch eine ganz moderne Ausbildung, wo gerade die Digitalisierung immer mehr Raum einnimmt in dem Maße, wo sie sinnvoll ist und ihren Gebrauchswert hat.
Und wir haben wirklich hochwertige künstlerische Projekte und Ensembles, die eigentlich hauptsächlich von der Schulmusik bestückt werden. Selbst der Hochschul-Kammerchor ist zu mehr als 50 % mit Schulmusikern besetzt und dann gibt es die beiden tollen Vocal-Ensembles, es gibt die Bigband, es gibt ein Latin-Ensemble, also man kann sich da wirklich musizierend verwirklichen auf sehr, sehr hohem Niveau. Und dann haben wir aber für die Leute, die sich tiefergehend auch mit Musikwissenschaftlichen Themen beschäftigen, haben wir das stärkste Musikwissenschaftsinstitut in Deutschland. Also das kommt dazu, mit Jazz-Pop und Trancultural Music Studies ist es was ganz, ganz Einzigartiges, was wir hier haben und den Studierenden bieten können.

Christofer Hameister:
Okay, das ist der Stand jetzt. Trotzdem, und Musiker wissen das, es geht ja immer noch besser. Wohin soll die Reise gehen? Also am Institut jetzt für Schulmusik, welche Perspektiven gibt es?

Gero Schmidt-Oberländer:
Wo könnte die Reise noch hingehen? Ich habe eben Musikproduktion angesprochen. Ich denke, was wir zukünftig auch an den Schulen brauchen, sind Leute, die so was als Schwerpunktfach studiert haben, also die Möglichkeit, dadurch vielleicht auch neue Studierende zu gewinnen, dass wir Musikproduktion einrichten als neue Möglichkeit des künstlerischen Schwerpunktfaches. Denn wir haben zum Beispiel inzwischen auch an den Schulen eine ganz andere Klientel Leute, die junge Leute, 16 17-jährige, die auf unglaublich tolle Weise mit Digital Audio Workstations und Musikproduktionsprogrammen schon umgehen und da auf semiprofessionellem Level arbeiten, die aber vielleicht noch nicht ganz so gut Klavier spielen, wenn überhaupt und und mit Gesang nur so ein bisschen was am Hut haben. Die müssen natürlich ein Mindeststandard in diesen Fächern haben, aber die eben in dem Bereich Musikproduktion schon auf einem hohen künstlerischen Niveau sind und die glaube ich in der Schule auch Kinder begeistern können für diese, diese neue und produktive, diesen produktiven Umgang mit Musik.

Und das wäre für mich ein Feld, wo wir uns unbedingt weiterentwickeln sollten und müssten. Das die Idee ist gar nicht von mir, sondern mein lieber Kollege Kai Martin hatte schon vor ein paar Jahren gesagt, Musikproduktion als Schwerpunktfach, wäre ein Bereich, wo wir uns hin entwickeln sollten. Und da habe ich gedacht, ja, das ist wirklich visionär. Habe jetzt länger darüber nachgedacht, auch mit anderen Kollegen in anderen Hochschulen Gespräche geführt und da wird die Entwicklung hingehen und die dürfen wir nicht verschlafen.

Christofer Hameister:
Also vielleicht noch eine persönliche Frage zum Schluss, die mich brennend interessiert: Lieber Gero, trotz dieser ganzen Probleme Lehrermangel, fehlendes Geld etc. woher nimmst du die Kraft? Also die Hoffnung auch, vielleicht deinen Optimismus, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, nach vorne zu schauen, und zu wissen okay, es wird schon alles gut werden. Woher kommt das?

Gero Schmidt-Oberländer:
Also ich meine, ich bin von Grund auf ein Optimist, der eher das halbvolle Glas als das halbleere sieht. Und ja, ich will mich da nicht zu sehr selber loben, aber das gehört für mich irgendwie zu meiner Natur. Genauso wie ich auch immer versuche in in Stellenausschreibungen oder Anforderungsprofile die Kompetenz Humor reinzuschreiben, weil ich finde, das ist ein ganz wichtiger Aspekt des miteinander Umgehens, dass man mit anderen aber auch über sich lachen kann. Und wenn man diese Freude am Leben hat, dann kann man die mit ein bisschen Mühe auch in die Arbeit und die Berufswelt stecken. Das vielleicht. Sicher geht es mir gut. Ich habe keine finanziellen Sorgen. Ich habe eine tolle Familie, ich bin gesund, ich mache viel Dinge, die mir Spaß machen und habe den besten Job der Welt. Also insofern beziehe ich natürlich ich auch eine extrinsische Motivation, mich zu engagieren.

Christofer Hameister:
Vielen, vielen Dank, lieber Gero, für das sehr angenehme Gespräch. Lass es dir gut gehen.

Gero Schmidt-Oberländer:
Ebenso und hoffentlich bis bald. Einen Termin kannst du schon den Kalender schreiben und zwar 2029 wird die Schulmusikausbildung in Weimar 100 Jahre alt.

Christofer Hameister:
Den Termin merken wir uns dann alle. 2029 ist ja noch ein bisschen hin.

6. Folge: Kanzlerin Christine Gurk

Als Kanzlerin ist Christine Gurk die Wächterin der Finanzen der Hochschule. Als sie an die HfM kam, spielten Zahlen in ihrem Leben eine größere Rolle als die Musik. Das hat sich mit dem Besuch der ersten Konzerte von Weimarer Studierenden schnell geändert. 

Christine Gurk spricht im Podcast über die Herausforderungen, vor denen die Hochschule im Laufe ihrer rund 20 Arbeitsjahre stand und über jene, die uns noch erwarten. Dabei kommen mitreißende Schwärmereien über Richard Wagner und Robbie Williams nicht zu kurz. Hört rein und erfahrt etwas über die Verwaltungsarbeit an der Hochschule, das sonst nicht an alle Ohren gerät. 

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Transkript 6. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich Willkommen zu unserem Podcast der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Anlass ist der 150. Geburtstag der Musikhochschule in diesem Jahr und damit sie uns besser kennenlernen, sprechen wir jeden Monat mit Angehörigen der Musikhochschule und heute begrüßen wir die Kanzlerin Christine Gurk. Guten Tag!

Christine Gurk:
Hallo, guten Tag!

Christofer Hameister:
Ich weiß, dass sie eine ganz große Liebe entwickelt haben, und zwar zur Musik von Richard Wagner. Wie kam denn das, Frau Gurk?

Christine Gurk:
Das ist vielleicht eine längere Geschichte, aber wenn ich es jetzt kurz machen soll, Richard Wagner fasziniert mich ganz oft. Natürlich die Story in seinen Opern und natürlich die wunderschöne Musik.

Christofer Hameister:
Das heißt, sie sind auch regelmäßig zu Besuch bei den Bayreuther Festspielen?

Christine Gurk:
Also regelmäßig ist vielleicht zu krass ausgedrückt, aber sofern es mir möglich ist, besuche ich natürlich gern alle Richard Wagner-Opern und vor allem hier im Umkreis; Meiningen, Weimar, Erfurt, wo es was zu sehen gibt. Aber immer wenn es geht natürlich auch gerne weiter weg. Ich konnte schon Wagner-Aufführungen in Zürich mir anschauen, in Wien und ich war auch schon in Bayreuth, ja!

Christofer Hameister:
Das wollen wir nachher nochmal vertiefen. Frau Gurk, Sie sind Kanzlerin, jetzt stellen Sie sich einmal vor, Sie sind im Urlaub, machen eine neue Bekanntschaft mit noch fremden Menschen. Irgendwann kommt doch sicher die Frage: „Was machen Sie denn beruflich?“ Was sagen Sie diesen Menschen?

Christine Gurk:
Also zunächst, wenn ich irgendwo Leute kennenlerne und man kommt darauf zu sprechen, was man beruflich macht, ich sage fast nie, ich bin Kanzlerin, weil ich die Reaktionen kenne und die allermeisten Menschen, die nicht im Hochschulbereich tätig sind, nichts damit anfangen können, dass es außer der Bundeskanzlerin noch andere Kanzler oder Kanzlerinnen gibt.

Christofer Hameister:
Gab es da mal einen ähnlichen Vorfall, dass man Sie verwechselt hat?

Christine Gurk:
Ich habe mal das Orchester vom Musikgymnasium nach Israel begleitet. Mit Frau Lindig, die das ja maßgeblich mit betreut hat, und die hat damals gesagt: “Ach, und übrigens, die Kanzlerin wird mit uns mitfahren“. Und dann kommen wir an den Bus, wo wir alle eingestiegen sind und Frau Lindig sagt so: „Und das ist hier übrigens die Kanzlerin“ und denen sind allen die Kinnladen runtergeklappt, weil Sie natürlich gedacht haben…

Christofer Hameister:
Frau Merkel kommt, ja? 

Christine Gurk:
Genau! 

Christofer Hameister:
Großartig! Jetzt kommen wir nochmal zur Kanzlerin zurück. Was haben sie denn für Aufgaben, wenn Sie das mal beschreiben würden?

Christine Gurk:
Also als Verwaltungsleiterin oder als Kanzlerin, so wie es der offizielle Begriff ist, bin ich zuständig für alles, was mit Personal zu tun hat, vor allen Dingen, was mit Finanzen zu tun hat. Ich bin die Beauftragte für den Haushalt, sprich ich trage die Verantwortung dafür, dass das Geld, was man uns zur Verfügung stellt, reicht, dass es sinnvoll und zweckmäßig eingesetzt wird und vor allem im Rahmen der Gesetze verausgabt wird. Darüber hinaus bin ich auch zuständig für alles, was mit Liegenschaften zu tun hat, IT-Bereich, Justiziariat, all diese Dinge. Das klingt jetzt vielleicht nicht so viel in der Aufzählung, aber insgesamt betrachtet ist es ein sehr weites Feld.

Christofer Hameister:
Wenn ich das richtig verstanden habe: Sie sind seit über 25 Jahren an der Musikhochschule tätig. Ist das richtig?

Christine Gurk:
Das ist richtig. Ich habe tatsächlich 1995 an der Hochschule meine Tätigkeit aufgenommen, ja.

Christofer Hameister:
Also wenn man sich ihre Tätigkeitsbeschreibung anhört, dann hat das ja erstmal nicht so viel mit Musik zu tun. Trotzdem haben Sie sich für eine Hochschule für Musik entschieden, warum? Ich meine, Sie hätten ja auch ans Thüringer Finanzministerium gehen können.

Christine Gurk:
Das stimmt. Also nach meinem Studium, dass sich ja schon mit Verwaltungen und Verwaltungsrecht und Verwaltungswissenschaften beschäftigt hat, war mein Weg eigentlich logisch, dass ich in einer öffentlichen Einrichtung in Thüringen meine Arbeit aufnehmen werde. Aber irgendwie war von Anfang an es nicht mein Wunsch in ein Ministerium oder so zu gehen. Ich wollte gerne irgendwohin, wo man näher dran ist am Geschehen, also wo man nicht nur am Schreibtisch sitzt und Verwaltungsakten ganz bürokratisch abarbeitet und quasi mit Menschen nichts zu tun hat. Deswegen hatte ich das Glück, dass zu dem Zeitpunkt, als ich fertig war mit meinem Studium hier an der Musikhochschule, eine Mitarbeiterin der Haushaltsabteilung gesucht wurde. Darauf habe ich mich beworben und hatte auch das Glück, damals 1995 genommen und eingestellt worden zu sein. Und es ist richtig, natürlich muss man, wenn man in der Verwaltung tätig sein möchte, nicht zwingend sich mit Musik auskennen oder eine ganz enge Beziehung zur Musik haben. Es ist von großem Vorteil, es hilft enorm weiter, sich mit der Arbeit zu identifizieren und zu verstehen, was hier eigentlich läuft, aber es ist keine Voraussetzung und auch bei mir muss man sagen; als ich 95 hier anfing … es ist jetzt nicht so, dass ich überhaupt keine Beziehung zur Kultur oder Kunst gehabt hätte, aber natürlich sehr marginal. Aber ab 95 hat sich da bei mir eine Menge getan und auch da ist eigentlich erst mal meine Liebe zur Musik von Richard Wagner oder auch natürlich zu anderen entstanden, bedingt durch Kollegen hier im Haus, durch Freunde, durch Bekannte, die mich da vorsichtig ran geführt haben, zu diversen Vorstellungen mitgenommen haben, eingeladen haben und so ist es entstanden.

Christofer Hameister:
Die Hochschule erlebte nach der Wende eine Erneuerung, es musste eine neue Struktur her, die Gebäude waren marode. Sie sind 95 an die Hochschule gekommen. Was haben Sie dort vorgefunden beziehungsweise, wie haben Sie die Hochschule dort vorgefunden?

Christine Gurk:
Ich kann mich vor allen Dingen an mein Vorstellungsgespräch erinnern, das damals hier im Verwaltungsgebäude am Platz der Demokratie stattgefunden hat und das war noch, bevor die Gebäude hier sowohl das Fürstenhaus als auch das Verwaltungsgebäude saniert worden. Ich weiß noch, wie ich unten zur Tür hereingetreten bin, das war eine sehr alte Holztür, die nicht richtig schloss. Es war duster im Flur, es waren ganz abenteuerliche Zustände. Also ich habe das tatsächlich noch sehr gut vor Augen. Es hat mich aber trotzdem nicht abgeschreckt und es war ja nun nicht so, dass schon in Weimar jetzt alles saniert gewesen wäre. Also das waren noch die Anfangszeiten bevor gerade bevor das Kulturstadtjahr 99 erst begonnen hat.

Christofer Hameister:
War Ihnen das zu Beginn klar, dass das eine der größten Herausforderungen ist? Quasi mit dem Geld, das zur Verfügung steht, eine Erneuerung, die Sanierung, die Strukturierung, die Veränderungen zu stemmen?

Christine Gurk:
Also, naja hundertprozentig klar war es mir nicht. Ich war relativ jung, das war mein erster Job in diesem Bereich, aber dass zum Beispiel in der Aufstellung der Verwaltung und so weiter was passieren musste, das war mir schon klar. Damals war Herr Professor Huschke der Rektor dieser Hochschule, die Bauplanungen, die Planung der Sanierung der Gebäude war ja bereits in vollem Gang und ich bin da quasi mit eingestiegen und habe unterstützend im Bereich Finanzen mitgewirkt. Aber dass die Gebäude nicht so bleiben konnten, in dem Zustand, in dem sie sich befunden haben, das war hundertprozentig klar.

Christofer Hameister:
Vor welchen Herausforderungen stand denn die Hochschule außerdem noch Ende der 90er?

Christine Gurk:
Wir waren alle glücklich, dass mit den Sanierungen des zum Beispiel Hauptgebäudes, das hier wunderbar funktioniert hat, dass die Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Aber das Haus musste ja komplett geräumt werden, alle mussten ausziehen, man musste Ausweichobjekte in Weimar oder Weimar und Umgebung finden, und das war eine extrem schwierige Situation. Das zu organisieren, und trotzdem den Studienbetrieb aufrechtzuerhalten, also trotzdem den Überblick zu behalten, wer wann wohin, warum musste. Aber es hat geklappt.

Christofer Hameister:
Sie haben gesagt, durch den Eintritt in die Hochschule haben sie ihre Liebe zur Musik gefunden. Was war denn der erste Kontakt mit der Musik an der Musikhochschule?

Christine Gurk:
Also nachdem ich hier angefangen habe, wurde ja, also ich habe mich wirklich sehr für die Hochschule interessiert, von Anfang an. Es waren ja auch damals schon ständig, fast täglich Konzerte, Klassenabende, kleinere Veranstaltungen, größere, und ich weiß noch ganz genau, es war in meiner ersten Arbeitswoche, da bin ich in den Fürstensaal und habe an einem Konzert teilgenommen: Schlagwerk und Gitarre in Kombination. Das war eine unvergessliche Erinnerung für mich. Die Verbindung, die Studierenden dann abends auf der Bühne zu sehen, das hat mich eigentlich von Anfang an berührt und deswegen predige ich auch wirklich allen Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung immer wieder unbedingt Konzerte unserer hochschulangehörigen Studierenden zu besuchen, weil das gibt nochmal ein komplett anderes Bild.

Christofer Hameister:
Sie haben sich ja vor Eintritt in die Hochschule für die Hochschule selbst interessiert. Wie kam es denn dazu?

Christine Gurk:
Also zum einen, ich komme aus Thüringen, also die Hochschule für Musik war für mich auch immer schon ein Thema. Man hat von der Hochschule in Weimar gehört. Ich habe dann hier in Weimar studiert, umso mehr bin ich natürlich auch schon hier mit der Hochschule, mit Studierenden der Hochschule in Verbindung gekommen, und insofern wusste ich schon einiges von der Hochschule.

Christofer Hameister:
Sie haben dann eine ganze Weile gearbeitet im Haushalt. Kanzlerin wurden sie ja erst später…

Christine Gurk:
Ja, ich habe im Haushalt als Mitarbeiterin angefangen, 1995. Relativ schnell wurden da Strukturveränderungen vorgenommen, weil damals hieß die Abteilung, in der ich angefangen habe, „Haushalt, Organisation, Kommunikation“. Sprich, da war Veranstaltungsbüro, Marketing, Presse, Haushalt noch eine Abteilung und relativ zügig war klar, dass das so nicht weitergehen kann, dass man aufstocken muss. Und dann gab es eine separate Haushaltsabteilung, und deren Leiterin bin ich dann geworden und dann aufgrund personeller Wechsel war die Stelle der Kanzlerin, des Kanzlers vakant, wurde ausgeschrieben und ich hatte im Vorfeld parallel berufsbegleitend ein weiterbildendes Studium begonnen, das sich mit Master im Jahr 2011 abgeschlossen habe. Und dann habe ich mich für die Stelle als Kanzlerin beworben. Das ist ja ein Wahlamt, also die reine Bewerbung reicht da nicht aus und es hat geklappt und seit 2011 bin ich ganz offiziell Kanzlerin der Hochschule, inzwischen in der zweiten Amtszeit.

Christofer Hameister:
Musik hat sich ja in ihr Leben so richtig eingebahnt. Welche besonderen Momente gab es da?

Christine Gurk:
Ja, die großen Höhepunkte sind natürlich immer Konzerte des Hochschulsinfonieorchesters. Aber jetzt ganz konkret dazu gehören natürlich auch Opernaufführungen im Studiotheater, also gerade, weil der Raum so klein ist und man so dicht dran ist und man alles wirklich 1 zu 1 mitkriegt. Ja, es ist immer wieder schön und es gibt mir tatsächlich, das klingt immer so pathetisch, aber es gibt mir tatsächlich immer wieder Kraft weiterzumachen, auch wenn es viel Ärger im Vorfeld gab, mit was auch immer für Problemen, wenn man dann so einen Abend erlebt und sieht, was Tolles am Ende dabei rauskommen kann.

Christofer Hameister:
Frau Gurk, die letzten 25 Jahren, was würden Sie sagen, was waren die größten Herausforderungen, auch mal abseits von Corona, denn klar ist ja auch alles, was sehr dicht dran liegt und was natürlich eine Herausforderung ist, ist natürlich allgegenwärtig und sehr klar vor unseren Augen, aber wenn sie jetzt einmal bilanzieren würden, die letzten 25 Jahren der Hochschule, welche Herausforderungen waren die schwersten?

Christine Gurk:
Sie haben völlig Recht, ich würde nicht sagen, dass Corona jetzt unbedingt die Herausforderung Nummer 1 war. Es war eine Besondere, weil es eben was komplett Neues war, keiner wusste, wie damit umzugehen ist und so weiter und das vor allem alle Menschen gleichermaßen betroffen hat. Aber die größte Herausforderung im Prinzip auch, seit ich Kanzlerin bin, waren die Finanzen. Im Jahr 2011, als ich anfing, hatten wir den Druck, also auch vom Land, von Landesseite gegeben, Stellen einzusparen, einen Sparkurs festzulegen und in der Hochschule Professuren und Mitarbeiterstellen und so weiter einzusparen. Das ist natürlich immer eine extrem große Herausforderung. Jetzt oder auch permanent die Situation, die uns noch sehr beschäftigt, ist nach wie vor die Räumliche. Die Situation, der Zustand unserer Gebäude, das Fehlen eines Konzertsaals, das ist also eine permanente Geschichte, die hat seit 2011 im Grunde nie wirklich aufgehört, uns zu beschäftigen, und die ist eben auch eine sehr komplizierte und nicht eine, die man so im Handstreich lösen könnte, vor allem können wir die als Hochschule nicht alleine lösen.

Christofer Hameister:
Ganz grundsätzlich, also Stichwort: neues Gebäude oder Konzertsaal. Wie gehen Sie bei so was vor?

Christine Gurk:
Da geht man folgendermaßen ran: Es gibt eine Ist-Analyse des Zustandes, also man weiß, wieviel Personal beschäftigt ist, wie viele Studierende vor Ort sind, wieviel Bedarf man also theoretisch hat. Das stellt man logischerweise demgegenüber, was es hier gibt, und daraus ergibt sich, am Ende: hat man zu viel oder hat man zu wenig? Diese Analyse ergibt für uns an der Hochschule, einen Fehlbetrag an Quadratmetern, wenn man es jetzt vereinfacht zusammenfassen will und mit dieser Analyse gehen wir in Diskussionen oder befinden wir uns in Diskussionen mit dem Ministerium. Das heißt, dieser Fehlbedarf muss anerkannt werden im Ministerium, und dann folgen die nächsten Schritte. Ich ehrlich gesagt persönlich, weiß nicht wie man das hier in Weimar lösen möchte. Der Bedarf oder die Räumlichkeiten in Weimar sind knapp, es wird sich nichts in unmittelbarer Umgebung der Hochschule finden lassen, was zur Verfügung steht und es macht für uns auch gar keinen Sinn jetzt in jedem Gebäude, was irgendwie zur Verfügung steht, zwei Büros oder drei Büros anzumieten, das hilft uns nicht.

Christofer Hameister:
Das heißt, das Land weiß über die Probleme Bescheid, aber gibt es da schon Fortschritte?

Christine Gurk:
Also ich sag mal so, auf Arbeitsebene ist das natürlich bekannt, auch im Ministerium ist das bekannt, aber auf Arbeitsebene ist das eine. Wir brauchen eine offizielle Bestätigung, mit der man dann Bauvorhaben zum Beispiel anmelden kann oder anmelden kann, dass man ein Gebäude kaufen möchte.

Christofer Hameister:
Gibt es da auch konkrete Pläne über das neue Gebäude?

Christine Gurk:
Es ist immer so die Zwickmühle. Entweder es handelt sich, es könnte sich um einen Neubau handeln, wobei die große Frage ist, wo das hier in Weimar sein soll.  Das könnte, wenn überhaupt, nur am Stadtrand oder gar außerhalb von Weimar sein. Das ist natürlich die einfachste und vermutlich auch in Anführungsstrichen billigste Version, weil man würde einen Standardbau konstruieren, planen und den auf die grüne Wiese setzen.

Christofer Hameister:
Wir haben jetzt sehr viel über Probleme geredet. Gab es auch in den letzten Jahrzehnten Momente bei ihnen des Glücks?

Christine Gurk:
Ja, natürlich gab es auch glückliche Momente, das hält man sich nur leider viel zu selten oder führt man sich viel zu selten vor Augen, zum Beispiel, wenn man wirklich Dinge geschafft hat, wenn Dinge abgearbeitet, erledigt worden und man sieht, dass es tatsächlich zu einer Verbesserung beiträgt. Das nimmt vielleicht die restliche Hochschule oft nicht wahr und es nehmen eben nur wenige Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung wahr, aber das gab es schon auch. Wenn es wirklich so schnöde Dinge sind, also schnöde in Anführungsstrichen, wie eine Fertigstellung von einer Satzung oder die, wir haben z.B. Räumlichkeiten oder ich habe Räumlichkeiten gefunden für die Personalabteilung und die Haushaltsabteilung, dass die umziehen konnten und mehr Platz zur Verfügung hatten, bessere Arbeitsbedingungen erreicht werden konnten für die Kolleginnen. Also das sind dann schon so Momente, es hält leider immer alles nicht ewig an, weil alles Schönes hat eben doch auch immer ein paar negative Seiten für viele Menschen und man scheut sich ja heute nicht, gerade das immer zu äußern. Aber doch, natürlich gibt es schöne Dinge, wenn man etwas erreicht hat.

Christofer Hameister:
Über die schönen Dinge lassen Sie uns gleich weitersprechen. Bevor wir dazu kommen, machen wir eine Schnellfragerunde. Ich bitte so schnell und spontan wie möglich zu antworten, das, was Ihnen sofort einfällt, gerne sagen, OK? Weimar ist für mich…?

Christine Gurk:
Heimat. 

Christofer Hameister:
Wenn Sie sich ein Land aussuchen könnten, indem sie gerne leben würden, welches wäre es?

Christine Gurk:
Also, für immer kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Also für eine zeitlang, natürlich immer im Winter, stellt man sich vor, irgendwo zu sein, wo es wärmer ist und sonniger, käme für mich schon Spanien in Frage.

Christofer Hameister:
Wenn sie eine berühmte Persönlichkeit, egal ob tot oder lebendig, treffen könnten, wer wäre es?

Christine Gurk:
Ich würde gerne Angela Merkel treffen.

Christofer Hameister:
Oh, die Kanzlerin! Weil die auch Kanzlerin ist, beziehungsweise war?

Christine Gurk:
Teils, teils. Also ich habe ganz sicher nicht immer mit allem übereingestimmt, was sie entschieden oder verkündet oder welche Meinung sie vertreten hat, aber als Frau so ein Amt über so viele Jahre wahrzunehmen, darüber hätte ich gerne oder würde ich gerne mit ihr sprechen.

Christofer Hameister:
Privat hören sie am liebsten Musik von…

Christine Gurk:
Sehr, sehr durcheinander. Ich höre privat tatsächlich auch zu Hause Richard Wagner oder andere klassische Musik, das tue ich durchaus, ist immer stimmungsabhängig. Aber ich höre natürlich auch alles, was man so im Radio hört, ich bin, ich gebe es zu, Robbie Williams Fan seit vielen, vielen Jahren.

Christofer Hameister:
Sie sind Robbie Williams Fan?! Das ist ja ein Knüller. Also Richard Wagner und Robbie Williams. Sieht man sie dann auch bei Konzerten? 

Christine Gurk:
Na aber hallo! Ich war zu mehreren Konzerten und bin immer heiser zurückgekehrt.

Christofer Hameister:
Sehen Sie, auch etwas, was man vielleicht noch nicht wusste von der Kanzlerin der Hochschule. Welchen Job der Hochschule würden sie denn gerne mal machen, wo würden Sie gerne mal tauschen?

Christine Gurk:
Ich würde gerne mal, für einen Tag, so das Leben eines Hauptfachprofessors, also eines Professors für Einzelinstrument, Soloinstrument, würde ich gerne mal tauschen.

Christofer Hameister:
Ihr Lieblingsort in Weimar?

Christine Gurk:
Ist der Ilmpark, also der Goethepark?

Christofer Hameister:
Frau Gurk, nun liegt es ja nahe, dass Wagner sie sicherlich in den Emotionen irgendwie fesselt. Die Musik, sagen viele Musiker, ist so eine Art Narkotikum. Da sitzt man auch ganz gerne im unbequemen Bayreuther Festspielhaus mehrere Stunden lang. Versuchen sie sich mal an ihre allererste Begegnung mit Wagner zu erinnern, fällt Ihnen da was ein?

Christine Gurk:
Meine erste Begegnung mit Wagner, also ich sag mal so, meine erste bewusste Begegnung mit Wagner, war an einem Karfreitag in Meiningen „Parsifal“. Also, obwohl Parsifal weder damals noch jetzt meine Lieblingsoper von Wagner war und ich war hin und weg, also ich weiß gar nicht, wie ich es anders beschreiben soll, ich bin total versunken in der Story und ob die Musik jetzt für Musiker schwer spielbar oder gar nicht spielbar ist oder nicht. Ich bin kein Musiker, das kann ich weder einschätzen, noch beurteilen. Insofern ist mir das als Zuhörerin auch egal, aber die Musik ist eben einfach, da jagt es einem sofort kalt den Rücken runter. Ich habe Gänsehaut und dann kann ich auch total versinken und dann ist es auch egal, ob ich in Bayreuth eingequetscht sitze, in der extrem engen Sitzreihe, es tierisch heiß ist, das vergisst man in dem Moment. Meine erste Aufführung in Bayreuth war die Neuenfels-Inszenierung von Lohengrin, das mit den Ratten. Die wollte ich unbedingt sehen, bin natürlich nicht an Karten gekommen. Ich habe bei eBay mir eine Karte dafür ersteigert. Den Preis habe ich sofort gelöscht und verdrängt, daran kann ich mich zum Glück nicht mehr erinnern und dann saß ich ganz oben in der hintersten Ecke auf dem Rang, hatte auch noch einen Pfeiler vor mir, konnte nicht richtig sehen, aber ich war total geflasht. Also da habe ich jetzt noch Gänsehaut, wenn ich dran denke, also die Geschichte, die Musik, das ist einfach unbegreiflich.

Christofer Hameister:
Na, dann waren sie auch garantiert in der Villa Wahnfried in Bayreuth, oder?

Christine Gurk:
Ja klar! Ich habe die Villa Wahnfried besucht, bevor sie umgestaltet und neu gemacht wurde, und ich war auch danach dort und hab das gesehen und bevor sie umgestaltet wurde, war ich mit der Liszt-Gesellschaft dort und wir haben dort unten in dem sakralen Raum einen Vortrag von Nike Wagner gehört. Da hat sie über ihre Kindheitserinnerungen und überhaupt über die Familie Wagner und Liszt gesprochen, also das hat das Ganze nochmal mehr erhöht, irgendwie noch sakraler gemacht.

Christofer Hameister:
Stichwort Emotionen. Wo hilft Ihnen Musik von Richard Wagner im Alltag?

Christine Gurk:
Es gibt Momente, wo Musik grundsätzlich helfen kann. Ne, es ist immer ein bisschen stimmungsabhängig. Also wenn ich jetzt hier in der Hochschule zum Beispiel schwierige Tage habe, irgendwas mich sehr mitnimmt, beschäftigt und das kommt häufiger vor, als man denkt, dann kann Musik auch im Büro, gerade abends, wenn keiner mehr da ist, laut über den Rechner schon sehr helfen. Ich mag es immer gerne laut, daran hängt es wahrscheinlich auch ein bisschen bei Wagner, wenn alles zum Einsatz kommt. Ich mag auch die leisen Stellen, aber wenn alles wirklich zum Einsatz kommen, was zur Verfügung steht, das finde ich ja, finde ich ganz besonders toll.

Christofer Hameister:
Es hilft ihnen also ein bisschen auf der Arbeit, wo noch, auf der Autofahrt? Nee, oder?

Christine Gurk:
Auf der Autofahrt hilft das auch, ist es auch wunderbar. Ich mach sogar manchmal beim Joggen, ich gehe immer mit Musik joggen, auch da höre ich Richard Wagner. Meine Lieblingsoper ist Lohengrin. 

Christofer Hameister:
Was außerdem?

Christine Gurk:
Zum Beispiel ja, Tannhäuser, der Abendstern… Ich kann es jetzt nicht genau benennen, aber da gibt es natürlich schon mehr, klar, auch Meistersänger, auch der Ring. Ich habe jetzt den Ring ja auch schon mehrmals gesehen, immer sehr unterschiedlich, aber so ja auch das Ende. Ich finde immer, gerade auch beim Ring am Ende, manche finden ja das Ende ist düster und die Welt geht unter, ich finde es irgendwie das Gegenteil. Ich bin auch eigentlich ein optimistischer Mensch und ich finde, gerade am Ende zeigt es doch, es geht weiter, wenn es auch wieder vielleicht vorne losgeht, aber also von ganz unten wieder losgeht, aber es geht weiter.

Christofer Hameister:
Sie haben doch garantiert auch Freunde in ihrem Bekanntenkreis, die mit Wagner wahrscheinlich nichts anfangen können. Wie reagieren die?

Christine Gurk:
Man findet halt nur wenige, die einen begleiten wollen. Also das sind dann wirklich auch Freaks, wenn man das so bezeichnen möchte, aber jetzt ja, man wird halt milde belächelt und es wird nicht auch von meiner Familie, schon wird nicht verstanden, wie man erstens so viel Geld für Karten in Bayreuth ausgeben kann, um sich dann stundenlang auf eine harte Sitzbank zu quetschen, um sich diese Musik anzuhören.

Christofer Hameister:
Wir bleiben in der Familie Wagner, springen allerdings jetzt zum Vater von Cosima Wagner, Franz Liszt, damit wir also wieder die Schleife nach Weimar kriegen. Die nächsten 150 Jahre Hochschulgeschichte, die werden ja sehr spannend. Was wünschen Sie sich, Frau Gurk?

Christine Gurk:
Ich wünsche mir für die Hochschule Stabilität in jeder Hinsicht. Ich wünsche mir, finanzielle Stabilität, um mindestens den Zustand zu erhalten, so wie wir ihn jetzt haben. Im besten Falle wünsche ich mir natürlich, dass wir uns weiter profilieren können, dass wir unsere Studienangebote ausbauen können, uns den Gegebenheiten der heutigen Zeit anpassen können und dass vor allen Dingen die Hochschulgemeinschaft da mitzieht. Es ist nicht immer einfach. Wir werden uns sicher im Laufe der nächsten Jahre, Jahrzehnte von dem einen oder anderen verabschieden müssen, weil es vielleicht nicht mehr zeitgemäß ist. Aber dafür kommen andere Dinge und ich wünsche mir einfach für die Hochschule ausreichend Offenheit, Kreativität und Ideen, das gemeinsam für die Zukunft umsetzen zu können, damit wir weiter als Hochschule bestehen bleiben und vor allen Dingen unter den anderen 24 Musikhochschulen, die es nur in Deutschland gibt, auch bestehen zu können. Weil Thüringen, als kleines Bundesland leistet sich diese Musikhochschule, die nicht ganz preiswert ist und da sollten wir unseren Beitrag dazu leisten, dass das zurecht geschieht.

5. Folge: Jazz-Gitarrist Frank Möbus

Zwischen Tourneen und Konzerten lehrt der Jazzmusiker Frank Möbus in Weimar. Während sich seine Bandkollegen erholen, unterrichtet er als Professor für elektrische Gitarre an der HfM junge Menschen. Dabei meint er zu beobachten, dass die Jugendgeneration der letzten 15 Jahre nicht viel wilder geworden ist. Die Menschen seien stattdessen oft unnötig brav für ihr Alter: „Jetzt schauen jüngere Leute die Älteren an und sagen: Mensch, die sind ja crazy!“. Verkehrte Welt – findet Möbus. Er ruft zum Ausprobieren auf, zum Ausloten von Grenzen, zum Versuch des Absurden. Denn wenn Musik nur richtig und virtuos ist, das reicht für ihn nicht. Hört in dieser Folge von Liszten, wie Frank Möbus zum Gitarrespielen kam und welche Musik ihn mitreißt. 

Diese Folge bei Spotify hören

Transkript 5. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich willkommen zu unserem Podcast der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Anlass ist der 150. Geburtstag der Musikhochschule. Damit Sie uns besser kennenlernen sprechen wir Monat für Monat mit Angehörigen der Musikhochschule und heute freuen wir uns auf Geschichten aus dem Leben von Professor Frank Möbus. Guten Tag!

Frank Möbus:
Hallo!

Christofer Hameister:
Bevor wir so richtig anfangen, Herr Möbus dürfen Sie sich einmal vorstellen, mit einem Musikbegriff ihrer Wahl, das ist so unsere Tradition. Das kann ein Instrument sein, eine Epoche oder ein Zeichen aus der Musik. Was ist es bei Ihnen?

Frank Möbus:
Ich würde sagen: kontrollierte Verzerrung.

Christofer Hameister:
Warum?

Frank Möbus:
Ich spiele elektrische Gitarre und die elektrische Gitarre hat ihre Wirkung schlussendlich vor allem durch die Hinzunahme des Gitarrenverstärkers, der in meinem Fall immer auf Röhrenbasis arbeitet und die Fütterung der Röhre mit dem Klang, den die Röhre dann irgendwie verändert, durch die Beschaffenheit dieser ist mir ein wichtiges Anliegen in der klanglichen Gestaltung meines musikalischen Schaffens, aber natürlich auch in Zusammenhang mit den anderen Instrumenten. Also ich spiele sozusagen ein Instrument, was in eine Röhre reingeht und diese Röhre dann den Klang maßgeblich beeinflusst.

Christofer Hameister:
Erinnern Sie sich eigentlich noch an den Moment, als Sie das erste Mal mit Musik so richtig in Berührung kamen?

Frank Möbus:
Ich glaube, ich habe mich schon mit 9 für Musik interessiert. Ich weiß, ich hatte dann irgendwann, vielleicht mit 10, meine erste Stereoanlage im Zimmer und das Hören von Musik war doch ein sehr großer Genuss. Ich hatte damals einen Plattenspieler und dann bin ich in die Stadt - ich bin in Nürnberg aufgewachsen - in die Stadt gefahren und habe mir dann eine Platte kaufen können, vielleicht alle zwei Monate und hab diese Platte dann rauf und runter gehört. Und es ist ja ganz interessant, wenn man Musik sehr lange, sehr intensiv hört, wie die sich immer wieder verändert und man immer wieder andere Dinge innerhalb dieser Musik wahrnimmt. Das ist leider heutzutage bei der Art, wie Musik konsumiert, den Menschen gar nicht mehr so vergönnt, weil man permanent wieder von einem zum anderen rüber geführt wird und dadurch gar nicht so wirklich hinter die Kulissen schauen kann dieser Musik. Das fand ich sehr interessant. Ich habe auch relativ früh schon beschlossen, dass ich meine Zeit auch nach der Schule und so weiter doch eher intensiv, sprich beruflich mit Musik verbringen wollte, weil das mir als etwas erschien, was wahrscheinlich nicht so schnell langweilig wird.

Christofer Hameister:
Wird jetzt wissen wir, warum die Liebe zur Musik kam? Aber warum die Liebe zur Gitarre?

Frank Möbus:
Ja, also die Gitarre kam dadurch zustande: Mein Vater hatte immer irgendwie ein Instrument am Start, was er gerade lernte. Das war dann auch relativ schnell wieder vorbei und er hatte einen Gitarrenlehrer in Fürth, da waren dann noch einige Stunden offen oder ein Vertrag und dann habe ich diese Gitarrenstunden genommen. Ich erinnere mich so Stücke zu spielen wie The House of the rising Sun und solche Dinge. Ja, dann begannen natürlich auch so Schulbandaktivitäten. Meine Basis war dann eher so Funk- und Soulmusik dieser Zeit. Ich habe sehr viel Sachen gehört wie Earth, Wind and Fire und frühere Bands aus diesem Genre und dann irgendwann habe ich tatsächlich die erste Platte aufgenommen. Das war mit John Davis, der leider vor einem Jahr gestorben ist an Corona. Der war auch der eine, der real Milli Vanilli, hat sehr viel Musik geschrieben und gesungen für Frank Farian, dieses Projekt „Milli Vanilli“. Und unser Projekt, dieses Erste, das hieß Spank, die Band hieß Spank, das war schlussendlich in finanzieller Hinsicht mein größter Erfolg, und den werde ich auch nie wieder erreichen. Wir waren einige Monate in den englischen Charts und sehr lange in den Soulcharts in England. Und ja.

Christofer Hameister:
Profitiert man eigentlich nur als Künstler, also auch Jahre später und kriegt noch Tantieme?

Frank Möbus:
Ja, ist längere Zeit passiert, also wenn Musik eine große Verbreitung hat, dann hört es eigentlich nie komplett auf. Jetzt sind es natürlich wirklich nur noch Centbeträge, aber es kann durchaus passieren. Diese Platte ist tatsächlich von irgendeiner Firma nochmal aufgelegt worden und dann kam wieder ein bisschen was und das kann auch sein, dass der eine oder andere Song vielleicht von irgendeinem anderen Künstler gecovert wird und man dann nochmal schön dabei ist.

Christofer Hameister:
Gehen wir nochmal einen Schritt zurück? Sie haben sich dafür entschieden, das Ganze zu professionalisieren, haben in Boston studiert, sind dann in die USA gegangen. Warum?

Frank Möbus:
Damals zu dieser Zeit war die Ausbildung in diesem Bereich, also Popularmusik, Jazz in Europa noch relativ dünn gesät und die Schule im Boston Berklee College of Music galt damals als das Nonplusultra. Und in der Auseinandersetzung mit meinen Eltern und so, weil es war ja dann auch nicht so leicht, meinen Eltern zu erklären: sorry, dass Musik für mich der richtige Weg ist, ne. Bei mir ging das zusammen mit dem Rausgehen aus der Schule, Mitte bis Ende der 11. Klasse, weil ich einfach wusste, dass mir diese weiteren 2 Jahre Kollegstufe nicht wirklich helfen werden, brauchte was anderes. Ich war dann ständig auf Tour mit einer Band und meine Eltern sagten dann: ja ok, wenn schon, denn schon, dann sollte ich auf jeden Fall das an den entsprechenden guten Ort zumindest ausprobieren, wie das läuft. Die dachten immer noch, ich komm dann nach einem Semester zurück und sag: ne, das ist mir doch zu schwierig und zu hart, und das funktioniert nicht, aber lustigerweise kam dann irgendwie zwei Wochen vor meinem Abflug, ein Brief von der Schule und ich bekam ein relativ hohes Stipendium von Berklee direkt und das war dann für meine Eltern auch ein bisschen Bestätigung, dass ich also nicht komplett falsch liege. Ich bekam das einfach nur durch die Einsendung einer Kassette, die ich im Studio aufgenommen hatte, mit 2 Freunden und dann konnte ich dieses Studium durchziehen.

Christofer Hameister:
Vier Jahre haben sie in den USA studiert, haben sich aber danach dazu entschieden, wieder zurückzukommen nach Europa. Warum?

Frank Möbus:
Für mich war eigentlich immer klar, dass ich in Europa leben möchte. Ich finde die Situation der unterschiedlichen Länder, der unterschiedlichen Kulturen sehr angenehm, im Vergleich zu dieser doch sehr brutalen wirtschaftlichen Haltung in Amerika.

Christofer Hameister:
Jazz würde jetzt der Laie sagen: Amerika, New Orleans. Aber nicht unbedingt Europa, oder doch? Wie haben Sie hier den Jazz ausleben können?

Frank Möbus:
Also einerseits muss man erst mal sagen, dass die allermeisten professionellen Jazzmusiker, die in Amerika leben, einen Großteil ihres Geldes im Sinne von Gagen in Europa verdienen. Was auch interessant für mich damals schon war, dass ich den Eindruck hatte, dass ich in Europa doch viel eher eine Musik kreieren kann, die nicht so stark der amerikanischen Jazztradition folgen muss. Das heißt, es war sogar irgendwann ersichtlich, dass, wenn man etwas anderes macht und den Klang der Musik, die den Gestus in gewisser Weise verändert und ihn somit auch vielleicht, sagen wir mal etwas europäischer macht oder etwas individueller gestaltet und nicht ausschließlich auf die Pflege der sogenannten Jazztradition guckt, dann hat man eventuell auch ganz andere Möglichkeiten, mit seiner Musik irgendwo hinzukommen und dieses Prinzip hat sich für mich eigentlich total bewahrheitet und schlussendlich bin ich auch immer wieder dabei, auch junge Leute also, sprich unsere Studenten in dieser Richtung zu motivieren, dass sie versuchen, ihren eigenen Klang zu entwickeln.

Christofer Hameister:
Sie haben ja auch eine lange Liste an Lehrtätigkeiten in Nürnberg, Berlin, aber eben auch Weimar. Nun ist Weimar nicht unbedingt der Jazzstandort Nummer 1; trotzdem haben Sie sich für Weimar entscheiden, warum?

Frank Möbus:
Also ich war erstmal natürlich erstaunt, wenn man das erste Mal nach Weimar kommt, wie beschaulich das alles ist. Aber im zweiten Moment war ich dann auch sehr erstaunt, was hier in der Stadt passiert. Es gibt diverse Clubs, die regelmäßig Programm haben; ich weiß, ich bin ab und zu Mal noch in meiner alten Heimat, wo ich aufgewachsen bin, in Nürnberg, und bin immer wieder erstaunt, wie wenig dort passiert im Vergleich zu Weimar, obwohl also Nürnberg, Fürth, Erlangen, eine Million Leute, aber da passiert manchmal viel weniger als hier Weimar. Weimar ist natürlich wirklich eine sehr besondere Stadt dieser Größenordnung. Ich finde, es ist schon wichtig, dass man als Jazzmusiker als jemand, der moderne Musik produziert, dass man mal irgendwann auch in der riesigen Stadt ist, um einfach irgendwie das zu erleben, was da passiert. Auf der anderen Seite höre ich immer wieder auch von unseren Studenten, dass sie es sehr gut fanden, eine Weile in Weimar studiert zu haben, weil der Platz einfach auch die Ruhe bietet, wirklich über Dinge nachdenken zu können.

Christofer Hameister:
Was ist Ihnen wichtig, was Sie den Studierenden mitgeben wollen?

Frank Möbus:
Also ich glaube, das Entscheidende ist der Mut zur Individualität, das Suchen nach einem eigenen Ausdruck bei gleichzeitigem Verständnis, dass es natürlich sehr viele Parameter gibt in der Musik, die man erst mal kontrollieren muss, also quasi einen Weg zu finden zwischen diesen beiden Mentalitäten in sinnvoller Weise hin und her zu schwenken, die da wären: das eine ist irgendwie, wir als Musiker sind ja gezwungen, mehr oder weniger auch wie Sportler zu trainieren und dann ist es auf der anderen Seite Mentalität dahingehend, dass man Ideen entwickelt, dass man irgendwie das Unmögliche möglich macht, dass man irgendetwas entwickelt, was man so noch nicht gesehen oder gehört hat. Das Suchen nach frischem Sound, das Entwickeln von Bandprojekten, die es so noch nicht gegeben hat - was die Welt braucht.

Christofer Hameister:
Ich frage mich gerade, ob Weimar dafür wirklich der richtige Ort ist… Klar, Sie sagen Freiheit in Weimar ist völlig gegeben. Nun ist es aber auch so in der Musik, dass man das, was man kann, zeigen will, bietet da Weimar die nötigen Bühnen?

Frank Möbus:
Ja, ich würde da auf jeden Fall davon ausgehen. Wir leben in einer Welt, in der die Orte sowieso extrem zusammenwachsen. Man ist auch ohne ICE in einer Stunde plus noch ein paar Minuten in Leipzig, zwischen Frankfurt und Weimar liegen diverse Orte, die man auch relativ leicht erreichen kann, und man ist gleichzeitig von Weimar aus eigentlich auch überall ziemlich schnell, im Gegensatz zum Beispiel, wenn man in Dresden wohnt.

Christofer Hameister:
Also Herr Möbus, wenn man ihr Leben so ein bisschen durchleuchtet, dann kann man da schon ja echt Respekt haben, also mit wem sie alles gearbeitet haben: Chris Speed, David Moss, Till Brönner, die Liste ist ja endlos, da kann man nur sagen: Respekt, oder?

Frank Möbus:
Ja, ich finde es toll, ich bin also weit über das Ziel hinausgeschossen, was ich mir selbst gesetzt habe, im Sinne der Erfahrungen, die ich machen durfte. Ich bin wahnsinnig happy und ich bin auch sehr happy, muss ich sagen über die Kombination. Man denkt ja, wenn man unterrichtet, dann fehlt einem manchmal ein bisschen das und das: die Energie, die Zeit und so weiter. Ich habe es oft problematisch empfunden, ja es ist schon auch anstrengend, wenn man auf Tour ist, hat zwei Tage frei, die anderen sind in der Sauna und ich fahr dann kurz mal nach Weimar und unterrichte zwei Tage volle Pulle, aber man kriegt auch in dieser Auseinandersetzung mit den jungen Leuten, wie die heute ticken und so weiter. Das finde ich hochspannend, und das ist was anderes, als wenn man es nur hat, dadurch, dass man ein Kind hat, ja, das ist irgendwie eine andere Beziehung. Also dafür bin ich auch extrem dankbar, so die ganzen Generationen erleben zu können.

Christofer Hameister:
Herr Möbus, wir machen eine schnelle Fragerunde: bitte so spontan und so schnell wie möglich Antworten, das, was ihnen sofort in den Kopf kommt, OK? Weimar ist für mich…

Frank Möbus:
Ein sehr guter zweiter Lebensort, neben Berlin.

Christofer Hameister:
Wenn Sie sich ein Land aussuchen könnten, in welchem würden Sie gerne leben?

Frank Möbus:
Zwei Länder: Deutschland und Portugal.

Christofer Hameister:
Warum Portugal?

Frank Möbus:
Ich habe zu Portugal eine sehr intensive Beziehung, weil eine meiner Bands dort sehr viel tätig ist, und wir spielen dort seit 1992 sehr viele Konzerte. Ich habe das Land lieben gelernt und bin wahnsinnig traurig, dass ich nicht von Anfang an mich darum gekümmert habe, die Sprache zu lernen, aber irgendwann werde ich das noch tun.

Christofer Hameister:
Welchen Job an der Hochschule würden Sie gerne mal machen?

Frank Möbus:
Hier an der Hochschule? Mit unserem Hausmeister, der umarbeitet. Ein wahnsinnig netter Mann, der sehr gut arbeitet und ich würde irgendwie diese Abwechslung gern mal haben, da, wenn die große Wiese zu mähen und sowas. Das macht mir Spaß … Laub rechen und so.

Christofer Hameister:
Eine Begegnung in ihrem Leben mit einem Menschen, die ihnen positiv in Erinnerung geblieben ist?

Frank Möbus:
Ja, da gibt es natürlich sehr viele. Eine Weile habe ich mit Ray Anderson gearbeitet und mit ihm unterwegs zu sein, Zeit zu verbringen… er ist jemand, der war sein Leben lang unterwegs, als Jazzmusiker in der ganzen Welt und so von einem Menschen, der das schon bisschen länger macht als ich, die Sichtweisen zu bekommen, das war schon sehr interessant. Eine andere Person, wenn ich das noch nennen darf: Ich habe John Scofield mal getroffen und Backstage in Lausanne war das. Er hat mit seiner Band gespielt und ich mit einer Schweizer Band dort, und wir waren dann noch ziemlich lang Backstage und haben uns unterhalten und ich fand das so unglaublich, wie offen und frei und auch wahnsinnig nett er ist und nichts von dem hat, was man denken könnte, was so jemand, der einfach weltberühmt ist. Ja, es war einer der lockersten und coolsten Leute. Wir haben auch ein paar gemeinsame Freunde und so, und das war wirklich sehr schön. Ich habe das irgendwie einfach in Erinnerung als einen wahnsinnig warmen Abend in gewisser Weise.

Christofer Hameister:
Wenn sie eine berühmte Persönlichkeit, egal ob tot oder lebendig treffen könnten, wer wäre es und warum?

Frank Möbus:
Ich würde gerne mal mit Frank Zappa reden, wenn es noch möglich wäre. Über seine ganze Sichtweise im Hinblick auf nämlich das Gitarre spielen. Der hatte schon einiges zu bieten, hat so seine sehr eigenen Dinge. Und da würde mich interessieren, wie der dahin kam, weil irgendwie, ich weiß ja gar nicht, wann der überhaupt Zeit hatte sein Gitarrespielen dahin zu bringen, wo es war.

Christofer Hameister:
Herr Möbus, dankeschön für die kurzen Antworten. Jetzt lassen sie uns mal ein bisschen länger philosophieren: Musik und Grenzen, was meinen sie, kann Musik überhaupt Grenzen überschreiten?

Frank Möbus:
Das ist natürlich immer eine Frage des Blickwinkels. Ich glaube, die Jugendgeneration der letzten, sagen wir mal vielleicht 15 Jahre, ist nicht viel wilder geworden, würde ich mal so vorsichtig ausdrücken oder anders gesagt, es sind irgendwie für mich aus der Beobachtung doch Tendenzen da, dass Leute sehr vernünftig sind, auch manchmal vielleicht ein bisschen unnötig brav für dieses Alter, wo ja eigentlich irgendwie man den Menschen ein bisschen mehr Mut zur Revolution zugestehen möchte. Aber manchmal ist es jetzt so, dass öfters so jüngere Leute, die Älteren angucken und sagen Mensch, die sind ja crazy, ja und das ist irgendwie so ein bisschen verkehrte Welt. Also ich würde mir wünschen, dass die Leute wieder mehr Mut haben, also in allen Bereichen, aber natürlich auch in der Musik, Dinge zu tun, die erst mal eher absurd wirken oder nicht durchführbar, um dann etwas auszuloten, was dann am Ende doch wieder funktioniert. Aber eben auch eine gewisse Wirkung hat. Also, wenn Musik nur richtig ist und virtuos und was auch immer ja, das reicht irgendwie nicht aus, finde ich.

Christofer Hameister:
Wie kann man den Studierenden einen Impuls geben, dass sie ihre Strukturen verlassen und Grenzen überschreiten?

Frank Möbus:
Ah ja, vielleicht dadurch, dass man mal mit der Klasse in ein Theaterstück geht oder einfach Aufgaben stellt, die sozusagen verhindern, dass die normalen Denkmuster überhaupt Anwendung finden.

Christofer Hameister:
Beobachten Sie das bei ihren Studierenden also, dass die freier in ihrem Schaffen sind?

Frank Möbus:
Unbedingt! Eigentlich hat es bei allen funktioniert, wenn es nicht sowieso schon da war und ich glaube, ich bin nur bei ein oder zwei Personen bisher so an die Grenzen gestoßen, dass ich quasi nicht wirklich sagen konnte, dass ich diesen Begriff von „Künstler sein“, irgendwie demjenigen so näherbringen konnte, dass er aus seinem ausgetretenen Pfaden raus konnte. Also eigentlich hat es bisher immer geklappt.

Christofer Hameister:
Was bedeutet das, ein grenzenloser Künstler zu sein, also nach ihrer Façon?

Frank Möbus:
Naja, das hat einfach damit zu tun, dass man Dinge schafft, die eine möglichst individuelle Ausrichtung haben. Dass man nicht das nachplappert, was die anderen sagen, sondern das man irgendwie ein paar eigene Sätze formuliert.

Christofer Hameister:
Und das hat er dann auch am Ende was mit einer Weiterentwicklung der Musik zu tun. Wie geht es denn jetzt weiter mit der Entwicklung des Jazz oder stoßen wir da schon an unsere Grenzen?

Frank Möbus:
Also ich beobachte tatsächlich jetzt über den längeren Zeitraum, das sagen wir mal, das ging so los Anfang der 90er Jahre, da könnte man sagen, dass in Deutschland die erfolgreichen Jazzmusiker, bis auf ganz wenig berühmte Leute, die erfolgreichen Jazzmusiker waren dann oft angestellt von Jazz-Festivals als Rhythmusgruppen für berühmte alleinreisende, amerikanische Jazzsaxophonisten. Zum Beispiel: ja, das war eigentlich so ziemlich das einzige Setting, in dem man junge deutsche Jazzmusiker gesehen hat. Auf diesen Festivals war alles sehr stark auf Amerika ausgerichtet, und ich weiß noch eine meiner ersten Bands, „Der rote Bereich“, wir wurden dann bei Jazz Ost-West eingeladen und das war damals offensichtlich was sehr Besonderes. Plötzlich eigene Stücke spielt, die ganz anders klingen als das, was man sonst von der amerikanischen Jazztradition kennt und das plötzlich auf solchen Festivals zu hören war. Und das hat glaube ich auch viele andere dazu inspiriert, die das auch schon gemacht haben, überhaupt daran zu glauben, dass sowas möglich ist und wenn man jetzt auf Festivals geht, auf die meisten. Man hat einen wahnsinnig breiten stilistischen Background, den man da erleben kann. Da gibt es Bands, die sind irgendwie mit Musik aktiv, die sich irgendwie bewegt zwischen Jazz und moderner, klassischer Musik, also Neuer Musik und es gibt so viele Bands, die einfach ihre eigene Musik kreieren, die selbst auch Komponisten sind und so weiter. Das hat sich dahingehend sehr stark verändert, und das finde ich sehr gut, dass das so ist, wenn man auf so einem Festival geht, da kann man wirklich viele Konzerte hören, weil es ist so ein eine große Bandbreite da. Das hält die Sache spannend.

Christofer Hameister:
Das war jetzt ein bisschen die Retrospektive, also der Blick zurück. Jetzt würde mich mal interessieren, wo ist denn die Perspektive? Also wo geht die Reise hin mit dem Jazz?

Frank Möbus:
Ich glaube, dass im Sinne des Suchens von Klang, wie Instrumente miteinander blenden, was da passieren kann, dass wir da noch immer so ein bisschen in den Kinderschuhen stecken. Da gibt es, glaube ich, noch sehr vieles zu entdecken. Ich würde mir wünschen, dass der Jazz auch im Bereich des Mainstream-Jazz wieder so ein bisschen dieses Aufrührerische hat, dass man spürt, dass diese Musik eine Kraft hat, eine Aggression auch. Das irgendwie im Hören der Musik man den Eindruck hat, da ist so auch eine politische, gesellschaftspolitische Message da. Das würde ich mir wünschen, dass die Musik in Zukunft wieder etwas mehr fordert.

Christofer Hameister:
Herr Möbus, das war ein wundervolles Schlusswort! Ich bedanke mich sehr für ihre Zeit, bleiben sie gesund und vor allem alles Gute.

Frank Möbus:
Ebenfalls alles Gute! Danke!

4. Folge: Pianistin Cora Irsen

In der vierten Folge von LISZTEN spricht Moderator Christofer Hameister mit Cora Irsen. Die Pianistin und ECHO KLASSIK-Preisträgerin aus dem Rheinland hat selbst in Weimar studiert und arbeitet inzwischen an der Hochschule.  

Lange Nächte im E-Werk, Eis auf dem Theaterplatz und ein Bier in der Abendsonne auf den Stufen der Herderkirche – das alles gab es für Cora Irsen während ihrer Studienzeit nicht. Statt sich die Weimarer Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen, verbrachte sie Stunde um Stunde am Klavier. Wie alle Pianist*innen, die etwas werden wollen, sagt sie heute. Was genau aus ihr geworden ist und wie sie heute auf ihren Werdegang und zurückblickt, erfahrt ihr in dieser Folge.

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Transkript 4. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge unseres Podcasts der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Anlass ist der 150. Geburtstag der Musikhochschule in diesem Jahr und damit Sie uns besser kennenlernen, sprechen wir jeden Monat mit Angehörigen der Musikhochschule. Und heute freue ich mich sehr, dass Sie Zeit gefunden hat: Echo-Preisträgerin Cora Irsen! Hallo! 

Cora Irsen:
Hallo Christofer!

Christofer Hameister:
Bevor es so richtig losgeht, bitte ich um eine kurze Vorstellung mit einem Musikbegriff der Wahl. Also, das kann alles sein; das kann ein Instrument sein, das kann eine Oper sein. Es kann aber auch irgendein Dynamiksymbol sein. Was passt zu Cora Irsen?

Cora Irsen:
Ja, ich habe heute über diese Frage nachgedacht wahrhaftig und dachte, was mich beschreibt, ist quasi „una fantasia“. Und dann hatte ich heute Mittag ein wunderbares Gespräch mit meiner Tochter, die ja nun schon erwachsen ist, und die habe ich einfach mal so gefragt: „Du, was denkst denn du? Wie würdest du mich beschreiben“ und da sagt sie: „Ganz klar, du bist Jazzmusik.“ Dann habe ich gesagt: „Ja aber Moment, ich meine in der Jazzmusik ist doch wirklich immer so ein richtig gleichbleibender Grundrhythmus vorhanden und die Jazzer sind ja doch gar nicht so frei, weil sie ja tonal auch gebunden sind.“ Dann sagt sie: „Naja, aber so bist du doch! Du fügst dich ein, du weißt genau, was du willst, aber du springst immer mal wieder aus der Reihe und machst immer irgendwelche unvorhersehbaren Sachen und hast aber eigentlich ganz genau im Kopf, wo du hinwillst und was du machen möchtest“ Also… Auf Jazzstück wäre ich jetzt nie gekommen, aber meine Tochter kennt mich ganz gut, weil sie auch einfach in den letzten, ich sag mal 8 Jahren ziemlich viel für mich gearbeitet hat und ja, also ich würde vielleicht wirklich sagen ich bin ein Jazzstück, aber quasi „una fantasia“ und im Notenwert würde ich mich also eine Triole bezeichnen (lacht)

Christofer Hameister:
Eine Triole, wieso denn das?

Cora Irsen:
Triole, also definitiv keine Punktierte, absolut auch keine Ganze, Halbe oder Viertel, aber irgendwie ja die Triole passt zu mir.

Christofer Hameister:
Das lassen wir mal so stehen und werden ganz genau verfolgen, inwieweit die Triole auch stimmig ist. Cora Irsen heute unsere Gastpianistin. Preisgekrönt mit einem ECHO KLASSIK, es gab Konzerte in Belgien, Holland, Italien, die Liste ist lang; die Japan-Tourneen, CDs wurden eingespielt. Sie stammen ja aus einer Musikerfamilie. Gab es da überhaupt eine andere Alternative, als dass man Musikerin auch wird?

Cora Irsen:
Nein, das war ganz anders bei uns. Ich komme indirekt aus einer Musikerfamilie, also mein Großvater war Komponist und hat meinem Vater schon verboten, Musiker zu werden. Mein Vater wäre wahnsinnig gern Dirigent geworden und so ist mein Vater eine Art Geodät geworden und meine Mutter ist Musiklehrerin. Also insofern haben beide mich nicht gezwungen, Klavier zu spielen oder Musik zu machen, sondern den Erzählungen nach habe ich wirklich von allein mit 4 Jahren den Weg zum Klavier gefunden, weil natürlich in unserem Haus Musik gemacht wurde, klar hobbymäßig. Und ich erinnere mich, dass ich schon mit 7/8 Jahren meiner damaligen Klavierlehrerin sagte, dass ich Pianistin werden möchte und aus dem Koffer leben möchte. Nun, das ist jetzt ein bisschen anders gekommen und so, aber der Wunsch war immer dieser. Ich kann ja wirklich nur Klavier spielen, muss man sagen. Ja, also das Klavier war wirklich für mich das Werkzeug, um meine ganze Seele preiszugeben. Also im Klavier habe ich mich zu Hause gefühlt. Ich erinnere mich an so viele Silvesternächte zu Hause: Also mein Bruder, der ist 5 Jahre älter, der war schon ausgezogen und meine Eltern feierten mit einem befreundeten Ehepaar, und ich war einfach allein. Und wie viele Stunden habe ich an wie vielen Silvesternächten oben an meinem Flügel gesessen und zum Beispiel Partituren gespielt, also Klavierauszüge gespielt.

Christofer Hameister:
Wie Silvester? Also, wenn alle gefeiert haben, dann geübt am Klavier, oder wie?

Cora Irsen:
Ja nicht geübt, sondern dann habe ich mir die Zeit genommen, einfach ich sag jetzt mal eine Turandot aus dem Klavierauszug durchzuspielen oder Entführung. Ich war immer ein großer Opernfreund oder ich habe - bevor mein Kind zur Welt kam, konnte ich noch ganz gut singen - oder ich habe eben Strauß Lieder gesungen, also natürlich hobbymäßig und habe mich dabei begleitet oder eben Hänsel und Gretel schöne Arien daraus. Ja, das hat mich total glücklich gemacht.

Christofer Hameister:
Der Weg, bis man erfolgreich ist, der ist ja besonders im Künstlerleben sehr steinig und es dauert, bis Manches Früchte trägt. Haben Sie da auch mal an aufgeben gedacht?

Cora Irsen:
Ganz ehrlich, Nö. Also, ich habe daran nicht gedacht. Ich habe auch kein Abitur, ich wollte eigentlich schon nach der 10. Klasse abgehen und studieren. Durfte ich nicht, und zwar von damals, Professor Karl Heinz Kämmerling, bei dem ich immer mal Meisterkurse machte, der sagte: „Nein, sie machen schön ihr Abitur“. Und dann konnte ich aber meine Eltern doch überreden, nach der 11 1 bin ich dann doch abgegangen und habe mich wirklich dann nur noch dem Klavier gewidmet. Weil ich einfach gesagt habe, ich will nichts anderes. Das Einzige, was infrage käme, wäre Psychologie zu studieren, das kann man dann ja immer noch nachher machen, dachte ich. Aber es ergab für mich keinen Sinn, das Abitur zu machen, weil ich einfach meine ganze Lebenszeit dem Klavier widmen wollte und ich wollte vorwärtskommen und ganz ehrlich, ich habe nicht gezweifelt. Dazu muss man aber, wie ich eingangs schon gesagt habe, ich bin kein bodenständiger Mensch. Ich kann träumen, ich habe die Fähigkeit, die Realität auszublenden und so einfach meinem Traum immer weiter hinterherzujagen. Natürlich macht das nicht immer Spaß, überhaupt nicht, also Üben macht ganz oft keinen Spaß, aber es muss einfach sein. Ich meine, wir putzen jeden Tag unsere Zähne, auch das ist nicht das Highlight des Tages. Aber wenn du weiterkommen willst, musst du arbeiten und Üben und dranbleiben. Und ich glaube vielen Studenten heute oder vielleicht vielen Menschen heute fehlt dieser Traum. Natürlich auch vielleicht geschuldet dieser ganzen Mediengesellschaft, diesen ganzen Ablenkungen. Das hatten wir ja früher nicht, obwohl ich aus dem Westen komme, ja, aber auch wir im Westen hatten vielleicht am Anfang nur 4 Fernsehprogramme, dann 6. Und tagsüber Fernsehen gucken war natürlich nicht erlaubt und, und, und… Und dadurch war Zeit für Träume und Zeit, auch diesen Träumen hinterherzujagen. Ich muss gestehen, dass wirklich ich vielleicht vor 8 Jahren das erste Mal erlebt habe, dass ein Hornstudent oder eine Hornstudentin plötzlich das Studium geschmissen hat und was anderes gemacht hat. Und ich erinnere mich heute noch, wie entsetzt ich war. Ich dachte: ‚Wie? Aufhören?‘ Ich habe das nicht begriffen, das war für mich das erste Mal - vielleicht ist es 10 Jahre her - das erste Mal, dass ich damit in Berührung kam, dass man überhaupt was studiert, also Musik; bei anderen Fächern wusste ich das ja, aber bei Musik dachte ich: „Moment, das ist doch dein Leben. Da bleibst du bei.“ Und, ich weiß wie entsetz ich war. Und seitdem kommt es natürlich immer wieder vor, gerade bei Bläsern und deswegen kann ich da nicht mit Traum kommen, weil das ganze Leben eines Orchestermusikers ist ja ein ganz anderes. Die bereiten in ihrem ganzen Studium das Probespiel vor. Also im Idealfall, wenn sie sagen, Sie sind gut genug, sie kommen in ein gutes Orchester. Sie möchten auch ins Orchester. Dann bereiten die das Probespiel vor. Und das geht über Jahre. Und da kann ich jetzt nicht Traum kommen, sondern da bin ich natürlich die Erste, die sagt: „Guck mal, die Begabung reicht nicht wirklich aus, du bist super in der Schule gewesen, du hast wirklich viele andere Hobbys… überleg doch mal, ob du doch was anderes machen möchtest. 

Christofer Hameister:
Also, so ehrlich sind sie dann schon, um einem Studierenden zu sagen bis hierhin und nicht weiter, weil sie ja auch wissen, wie hart dann das Musikerbusiness ist, oder?

Cora Irsen:
Ja, ich bin natürlich zusammen mit meinem Mann, glaube ich, sind wir die aller Ehrlichsten. Ich sage das ganz oft: schau mal, du lebst nicht dafür und viele wissen auch glaube ich gar nicht, wie später der Orchesterjob aussieht. Das ist ja was ganz anderes, als wenn du jetzt irgendwie komplett freischaffend bist. Du musst abliefern, du musst deine Töne abliefern, du gehst zum Dienst. Das ist Alltag, das also nein, da bin ich ganz ehrlich und sag, überleg mal, ob du was Besseres machen kannst.

Christofer Hameister:
Sie haben gerade ihren Mann angesprochen, Jörg Brückner ist auch an der Hochschule tätig, Professor für Horn. Gehen wir mal in der Chronologie ein bisschen zurück. Sie waren also Jungstudentin in Köln mit 15? Dann kam später Salzburg und dann irgendwann Weimar. Weimar nach der Wende. Was hatte man denn vor der Wende über Weimar im Westen gewusst und wie war dann der erste Eindruck von Weimar nach der Wende?

Cora Irsen:
Also, Goethe und Schiller waren natürlich Themen bei uns zu Hause, aber als ich noch zu Hause lebte, war Weimar für mich ja, nicht relevant und witzigerweise kam ich ja nun wirklich von Salzburg, dem kleinen behüteten Salzburg, in das kleine behütete Weimar und es war so ein Schock für meine Augen. Salzburg natürlich alles wunderschön aufgebaut und bunt lackiert, sag ich mal und ja, kam dann ich glaube 93 das erste Mal nach Weimar zum Liszt-Wettbewerb und war vorher wirklich noch nie im Osten. Und war entsetzt, wie dunkel und grau es hier aussah. Aber man kommt ja als Musikstudent nicht vorrangig in die Stadt, sondern man kommt vorrangig zum Lehrer. Und Professor Arens habe ich dann auf dem Liszt-Wettbewerb in Holland kennengelernt. Und fand ihn einfach toll und hatte dann privat ein paar Stunden genommen und habe gesagt: OK, das ist was für mich und hier möchte ich gerne studieren.

Christofer Hameister:
Kam trotzdem in Weimar so ein Wohlfühlfaktor auf, wie man es heute ja kennt? Alle schwärmen ja dann doch immer ganz gerne von Weimar, die wunderschöne Stadt an der Ilm. Kam so ein Wohlfühlfaktor auf?

Cora Irsen:
Ganz ehrlich der Wohlfühlfaktor, dass ich sage: OK, hier bleibe ich, der kam so vor 10 Jahren. Relativ spät… Man darf nicht vergessen, ich bin Rheinländerin, es zieht mich eigentlich bis heute wieder ins Rheinland zurück, mental gesehen. Mir hat sehr oft diese Offenherzigkeit gefehlt. Nicht dass die Weimarer nicht freundlich wären. Überhaupt nicht wunderbar! Ich liebe die Weimarer, ich habe mich hier auch immer gut aufgehoben gefühlt, aber wir Rheinländer, wir sind sofort so, wir reißen unsere Bluse auf und sagen „Hallo, hier bin ich.“ Und damit bin ich hier ab und an angeeckt. Ja, aber ganz ehrlich natürlich Weimar ist ein eine Traumstadt. Auch hier zu studieren, diese Ruhe, die man hier hat, zum Arbeiten, zum Üben. Ich meine wir Pianisten, wenn wir zielstrebig sind, dann gehen wir eh nicht aus. Also für mich wäre es egal gewesen, wo ich bin. Ich habe eh den ganzen Tag, oder hier war es einfach die ganze Nacht nur geübt, in Salzburg habe ich auch schon die ganze Nacht nur geübt. Also insofern habe ich von der Stadt im Studentenleben gar nichts mitbekommen. Als Mutter damals fand ich es dann natürlich sehr gut hier in Weimar. Kleine Stadt und ich hatte die Großeltern hier vor Ort, das war auch ein Grund, warum ich dann hiergeblieben bin, erst mal. Und naja, mittlerweile möchte ich hier auch gar nicht mehr wirklich weg. Wir wohnen wunderschön! Wo gibt es solche schönen Häuser? Hier ist die Architektur so wunderschön. Und immer, wenn ich weg bin und wieder nach Weimar komme, denk ich: „Gott sei Dank, wohne ich hier!“

Christofer Hameister:
Nochmal zurück zum Studium: gab es besondere Momente oder eine besondere Begegnung mit einem Menschen, die einen noch mal so richtig zum Nachdenken inspiriert haben? Gab es da solche besonderen Momente oder Menschen?

Cora Irsen:
Also ich erinnere mich an einen Unterricht von Lazar Behrman. Er war hier, ich weiß nicht, wie man das damals nannte, der war alle paar Wochen mal hier zum Unterricht und auch Studenten aus anderen Klassen durften dann immer mal bei ihm Unterricht haben. Und da erinnere ich mich an eine ganz tolle Stunde, die mich so weitergebracht hat, die mich kraftmäßig so weitergebracht hat. Also, da würde ich sagen, das war wirklich ein Maker in meiner Studienzeit. Wie gesagt ansonsten, ich habe am Studentenleben wirklich nicht teilgenommen. Ich erinnere mich an schöne Gespräche in der Cafeteria, mit Kommilitonen, mit Cellisten, aber ansonsten … ich hatte ziemlich schnell eine Hiwi-Stelle, hab ziemlich schnell meinen Traum erfüllt, Sänger zu begleiten mit einer Hiwi-Stelle und bin ziemlich schnell dann in dieses begleitende Fach reingekommen, was ich mir immer gewünscht habe. Ich hatte ziemlich schnell eine Hiwi-Stelle als Fagottbegleitung und dann wurde daraus irgendwann ein Lehrauftrag.

Christofer Hameister:
Wir sprechen gleich noch über das, was ja auch im Musikbusiness wichtig ist: das Selbstmanagement. Was ja durchaus manches Mal zu kurz kommt; sprechen wir gleich drüber. Vorher, liebe Cora Irsen, machen wir eine Schnell-Fragerunde. Ich bitte darum, ganz fix zu antworten, das, was als Allererstes durch den Kopf kommt. 
Wir starten mit der Frage: Weimar ist für mich?

Cora Irsen:
Meine Heimat.

Christofer Hameister:
Bach oder Liszt?

Cora Irsen:
Hmm…das ist eine fiese Frage…Bach und Liszt.

Christofer Hameister:
Wenn sich ein Land aussuchen könnten, wo sie leben würden, welches wäre es?

Cora Irsen:
Frankreich. Ich liebe die französische Sprache.

Christofer Hameister:
Und dann Richtung Süden oder Nordfrankreich

Cora Irsen:
Nee, Süden natürlich! Die Sonne.

Christofer Hameister:
Wenn sie eine berühmte Persönlichkeit treffen könnten, wer wäre es?

Cora Irsen:
Marie Jaëll… oder Liszt. Naja, eigentlich würde ich sagen Liszt. Aber ich meine, ich bin so tief verbunden mit Marie Jaëll. Ich muss Marie Jaëll treffen. Wenn ich eine Person treffen dürfte, dann wäre sie das.

Christofer Hameister:
Und wenn es jetzt Liszt gewesen wäre, was würden Sie ihn fragen?

Cora Irsen:
Keine Frage, ich würde ihn einfach nur beobachten beim Sein. Ja beim Sein.

Christofer Hameister:
Privat hören Sie am liebsten Musik von….

Cora Irsen:
Mozart. 

Christofer Hameister:
Stellen Sie sich vor, sie dürfen einen Tag mal einen anderen Job an der Hochschule machen, welcher wäre es?

Cora Irsen:
Ich würde ganz gerne mal Kanzlerin sein, mal gucken, wie schwierig; das scheint sehr schwierig zu sein, das fände ich Interessant 

Christofer Hameister:
Das ließe sich bestimmt mal einrichten. Letzte Frage: welche Begegnungen in Ihrem Leben hat sie verändert?

Cora Irsen:
Ja, mein Mann, er hat mir die Kraft gegeben, meinen Träumen hinterherzujagen. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, meine Konzertreihen auf die Beine zu stellen. Ich meine, da ist eine Menge Geld, die du erstmal reinschießen musst, bevor du da was rausbekommst. Er hat mir die Möglichkeit gegeben, jedes Jahr eine CD aufzunehmen. Ich habe jedes Jahr 2 oder 3 Programme geschrieben und gemacht, erarbeitet. Dann habe ich immer mindestens eins aufgenommen auf CD, was natürlich zur Folge hat, dass unser ganzer Keller voller CDs ist. Abgesehen von der Liebe hat mein Mann mich einfach, ja ohne meinen Mann wäre ich jetzt nicht hier, wo ich bin.

Christofer Hameister:
Ja, da wären wir auch gleich beim Thema Selbstmanagement. Wie schaffe ich es auch, erfolgreich mit meiner Kunst zu sein? Es gehört ja dann auch das Verkaufen dazu. Da gilt ja der Satz: wenn du gesehen werden möchtest, zeig dich. War Ihnen das von Anfang an klar?

Cora Irsen:
Nein, also da musste ich wirklich ganz schlimm meinen inneren Schweinehund überwinden. Ich komme, wie gesagt aus einem Elternhaus, was mich nie gepusht hat. Ich habe nie gelernt nach, Konzerten zum Beispiel mit den Veranstaltern Essen zu gehen. Mir war das peinlich. Ich dachte, ich störe. Und die Veranstalter dachten natürlich: „Mein Gott, ist die Arrogant. Die geht ja nicht mal mit uns Essen.“ Also ich würde sagen, ich hätte eine andere Karriere gehabt, hätte ich einen anderen menschlichen Background gehabt. Ja, Eltern, die mich gepusht hätten oder die mir das beigebracht hätten. Das ist jetzt ohne Anklage an meine Eltern, sondern einfach nur eine neutrale Feststellung. Ich habe das damals gelernt, als mein lieber Mann am Anfang unserer Beziehung sagte: „Also Moment, wie viel verdienst du im Monat? Damit bist du keine Musikerin also oder keine Künstlerin, die davon leben kann.“ Und dann ging es los und dann habe ich gedacht, ich wollte immer schon eigene Konzerte machen, Konzertreihen machen. Ich wollte immer schon in meinen Konzerten reden, das darf man nicht vergessen. Die Idee hatte ich schon in Salzburg mit 20, dass ich irgendwas mit meiner Sprache auf der Bühne machen wollte und so ist das dann entstanden. Und dann muss man sagen, dieser berühmte Rezitator Lutz Görner hat mir gesagt, du redest selber jetzt in deinen Konzerten und du verteilst deine Flyer selber. Du stellst dich Samstagabends und Freitagabends auf den Theaterplatz eine Stunde, bevor das Theater oder die Oper losgeht oder andere wichtige Konzerte und verteilst deine eigenen Flyer und brüllst und sagst: „Darf ich sie einladen?“ Du sprichst die Leute an, darf ich sie einladen, morgen um 11:00 Uhr in der Altenburg. Ich werde ihnen über Liszt erzählen und bla bla bla... Und er war eigentlich dieser Initiator, der gesagt hat, nein, die Leute stehen auf sowas, weil es war mir natürlich peinlich. Oh Gott, ist das peinlich, ich muss für mich selber Werbung machen. Weil wir das einfach nicht lernen in unserem Studium. Gerade wir Pianisten leben in unserer Glasglocke. Ja, bloß nicht zum Publikum Kontakt aufnehmen, um Gottes Willen… Und so, das ist in uns drin, ja und da wir sowieso ständig alleine sind wir Pianisten war das ein sehr, sehr, sehr großer Schritt, an den ich mich aber ziemlich schnell gewohnt habe, natürlich und da kommt dann wahrscheinlich wieder die rheinische Natur raus. Selbst meine Tochter stand mit auf dem Theaterplatz die arme Maus und hat dann Flyer mitverteilt und das kam supergut an und damit hatte ich immer noch mehr Leute in den Konzerten. Also, das sage ich den Studenten auch heute, ihr müsst euch selber vermarkten, weil die Agenturen so wie sie damals waren, das gibts nicht mehr. Ja, selbst wenn du eine Agentur hast, musst du diese Agentur, es sei denn, du heißt Lang Lang, musst du dieser Agentur das alles in die Hand drücken und alles selber machen und vorschlage. Mach es einfach selber, sparst du Geld und es macht Spaß. Mir tut es leid, dass die Lehrer heutzutage da nicht strenger sind und nicht das auch mit einbauen in das Studium und ich finde, das muss der Hauptfachlehrer mit einbauen.

Christofer Hameister:
Weil da auch jedes Instrument individuell ist in der Branche, oder?

Cora Irsen:
Ja, genau genau. Weil nämlich auch der Lehrer doch den Studierenden kennt und du kannst ja nicht jedem Studierenden dieselbe Maske überstülpen. Für den einen funktioniert das, für den anderen funktioniert das. Wenn ich jetzt zum Beispiel ganz schüchterne Studenten hätte, dann würde ich andere Lösungen suchen, dann ja, du kannst nicht das Konzept jedem aufdrücken.

Christofer Hameister:
Der Markt ist ja sehr, sehr groß, man hat eine Vielzahl von Pianisten, man hat eine Vielzahl von Musikerinnen und Musikern auf der Welt. Jetzt ist die Frage, wie schaffe ich es, mich von dieser Masse abzuheben? Was meinen Sie?

Cora Irsen:
Ich glaube, du musst deine Idee verfolgen, das heißt, du musst erst mal eine Idee haben und du musst dann von dieser Idee so überzeugt sein und wenn du dann so überzeugt bist, dann hast du auch die Kraft. Ich gebe dir total recht, wir brauchen nicht die 125. perfekte Beethovensonaten-Aufnahme. Wir brauchen Ideen dahinter! Ich zum Beispiel, ich mache nur noch Konzerte, in denen ich rede, in denen ich aus meinem Buch vorlesen. Ich bin immer ein Fan von Mixen. Ja, irgendwie, wie mein Programm damals mit Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms und dann sogleich so eine Liebesgeschichte mit einbringen und ja, dass das nicht nur die musikalische Ebene ist. Ja, oder ein noch besseres Beispiel ist mein „Alice Herz-Sommerprogramm“, eine Theresienstadtüberlebende. Ja, wirklich ein dramatisches Thema, ein dramatisches Leben gepaart mit Chopin. Mit dem süßen Chopin.

Christofer Hameister:
Wir bleiben mal örtliche in Frankreich. Chopin der eine OK, aber Marie Jaëll. Die hat ja im Prinzip Ihnen den ECHO KLASSIK 2017 beschert für die Einspielungen. Wann und wo haben sie davon erfahren?

Cora Irsen:
Ja, das war ein unglaubliches Gefühl! Ja, ich war in Taiwan gerade, wir hatten Konzerte, als die Nachricht kam und ich konnte es überhaupt nicht glauben. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich hatte danach einen riesen Burnout, also einige Jahre danach, und ich habe erst danach überhaupt begriffen, was ich da überhaupt geleistet habe. Ich habe das ja alles alleine gemacht. Man darf das nicht vergessen. Ich habe mir eine Plattenfirma allein gesucht, CD-Label alleine gesucht. Du glaubst gar nicht, was das für eine Arbeit war, also… Wie viele Absagen ich bekommen hab? Und ja, es war einfach wirklich mein Baby. Eine kleine Geschichte: Ich habe also den ECHO bekommen, es hieß, wir können in die Elbphilharmonie, große Veranstaltungen mit Thomas Gottschalk Ich bin ein großer Kleiderfan, also ich liebe schicke Kleider und hab mich natürlich ins Netz gesetzt und gesucht: OK, welches Abendkleid sticht raus? Mir war klar, ich muss irgendwas Besonderes. Und dann fand ich ein Kleid von Talbot Runhof, ein langes Samtkleid mit rückenfreiem Ausschnitt und fand es nirgendwo im Internet. Und dann habe ich einfach Folgendes gemacht und dass finde ich bis heute noch unglaublich. Ich habe einfach an die Presseabteilung geschrieben von Talbot Runhof in München, hab geschrieben, was Sache ist, und die haben Postwenden mich angerufen. Sie haben gesagt, sie würden wahnsinnig gerne für mich dieses Kleid in meiner Größe schneidern, ich bräuchte nur die Hälfte zu bezahlen, also muss man sich mal überlegen…  ich kann den Stoff aussuchen, ich habe die Maße genommen, also ich habe mich danach gar nicht mehr beruhigt vor Freude. Also das ist nur so ein Beispiel. Ich hatte eine Idee, ich habe da wirklich als No-Name angerufen. Ich habe keine Publicityfirma, ich habe keine Agentur, nichts. Und sie machen so eine… Ja, weil ich einfach daran geglaubt hab. Das ist ja quasi eine oberflächliche Sache, die ich erzählt habe. Also die Hauptsache war ja meine Marie Jaëll-Aktion, dass ich da jetzt 5 CDs produziert habe. Wir reden davon 16.000€, die ich eingesammelt habe. Die Idee war einfach ok, ich kam in die Küche zu meinem Mann sag: Weißt du was? Ich nehme das gesamte Klavierwerk von Marie Jaëll auf CD auf. Da guckt er mich an und sagt: Ja, und wer finanziert das? OK, da ist meine erste Reaktion: OK, dann lass ich das halt und bin sauer aus der Küche gestapft… ja und dann kam er hinterher und sagt: Ja, Moment, wir finden ja irgendwie vielleicht Geld. Und so ist das dann entstanden und dann bin ich nach Erfurt zur Sparkasse gegangen, in die höheren Etagen und habe 4000€ mit nach Hause genommen. Damit war die erste CD finanziert. Ja, also das sind so Sachen, man muss einfach dran glauben, man muss es tun, man muss seinen inneren Schweinehund überwinden. Das ist das Allerwichtigste, du musst total überzeugt von dem sein, was du machst. Dann hast du Kraft und dann kannst du, glaub ich, alles erreichen.

3. Folge: Klavierbaumeister Dirk Höhne

Es geht wieder los! Der Podcast der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar ist zurück. Dieses Mal spricht unser Moderator Christofer Hameister mit Dirk Höhne. Höhne ist Klavierbaumeister und arbeitet als Klavierstimmer an der HfM. 

Eigentlich wollte er ja Koch werden, oder wenigstens Schreiner. Irgendetwas mit Holz macht er jetzt trotzdem, sagt Höhne. Der Beruf ist ihm auch nach vielen Jahren noch nicht langweilig geworden. Welche Rolle verlorene Ringe, klappernde Stifte und Spitzenflügel in seinem Alltag spielen, hören Sie in dieser Folge. Dabei geht es nicht nur um Musik, sondern auch ein bisschen um Fußball.

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Transkript 3. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge unseres Podcasts der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Jeden Monat stellen wir einen Angehörigen der Musikhochschule vor und heute freuen wir uns auf Dirk Höhne - schönen guten Tag!

Dirk Höhne:
Schönen guten Tag!

Christofer Hameister:
Und bevor es losgeht Herr Höhne, dürfen Sie sich einmal vorstellen. Allerdings mit einem Musikbegriff Ihrer Wahl, dass Sie am besten beschreibt. Also das kann ein Fermate-zeichen sein oder ein Dynamiksymbol oder ein Instrument oder ein Pralltriller… Was würde Sie am besten beschreiben?

Dirk Höhne:
Boah, so eine Frage habe ich noch nie bekommen… also ich würde mal sagen, wenn es ein Instrument sein würde, dann würde ich mich wahrscheinlich mit dem Klavier am meisten identifizieren, weil ich damit auch meistens zu tun habe.

Christofer Hameister:
Sie sind Klavierstimmer an der Musikhochschule… Wenn Sie kleinen Kindern erklären sollten, was ein Klavierstimmer macht, was würden Sie denen dann sagen?

Dirk Höhne:
(lacht) Auch diese Frage habe ich noch nie bekommen…Wenn ich das mal hatte, dass ein Kind zugeguckt hat, dann saßen die immer mit gespitzten Ohren da und haben wahrscheinlich gar nichts gehört und verstanden, was ich tue, denn die hören gar nicht den Frequenzbereich, den ich betätige. Dazu muss man ganz schön viel Training haben, um die Frequenzen zu hören. So würde ich es wahrscheinlich auch dem Kind erklären, dass man versucht, Schwingungen zu hören in einer Tastenkombination. Meistens ist es ja nicht ein Ton, der die Stimmung hergibt, sondern ich muss vergleichen mit anderen Tönen - ob es Oktaven sind, Terzen, Quarten oder Quinten… das kennen die glaube ich nicht.

Christofer Hameister:
Nun ist es ja so, dass man Sie auch durchaus kennt an der Musikhochschule. Was vielleicht wenige wissen, ist die Tatsache, dass Ihr Vater auch schon Klavierstimmer an der Musikhochschule war. Wenn Sie mal kurz erzählen würden, wie es überhaupt dazu kam, dass Sie dann quasi in die Fußstapfen ihres Vaters getreten sind.

Dirk Höhne:
Das war nicht nur mein Vater, der Klavierstimmer war, sondern auch mein Großvater. Der hatte, glaube ich, ein Geschäft in der Innenstadt. Und wie ich dazu gekommen bin… Also, wo es um meinen Berufswunsch ging, da wusste ich, glaube ich, noch gar nicht, was ich eigentlich machen sollte. „Ja, jetzt denk doch mal darüber nach: was möchtest du denn werden, was kannst du dir vorstellen?" - "Ich glaube, ich koche gerne.“ Dann gingen wir zur Berufsuntersuchung und ich stellte fest, ich kann den Beruf nicht ausüben, da ich zu der Zeit noch im Wachstum war und einen Beckenschiefstand hatte; das heißt ein kurzes und ein langes Bein. Da durfte ich nicht so lange stehen, wie es der Koch ja meistens tut. Also musste ich umswitchen auf einen anderen Beruf. Da fiel mir ein, ich bastle auch gerne. Irgendwas mit Holz - Tischler wäre super und da griff mein Vater ein und sagte: „Also, wenn du was mit Holz machen möchtest, dann kannst du auch Klavierbauer machen. Die arbeiten auch mit Holz.“ Was er nicht sagte war, dass, wenn du an der Musikhochschule arbeitest, wirst du nicht mehr viel mit Holz arbeiten. Dann wirst du Klaviere stimmen und reparieren. Also grundsätzlich habe ich die Berufswahl nicht bereut, weil es ja ein total interessanter Beruf ist.

Christofer Hameister:
Ich meine, Klavierstimmer, okay… Aber machen Sie auch selbst Musik? Ich meine, dass gehört ja auch dazu oder?

Dirk Höhne:
Ich mache keine eigene Musik. Ich kann natürlich ein bisschen Klavier spielen, das ist aber nicht mein Haupthobby. Wenn ich zu Hause bin, bin ich froh, wenn ich keine akustische Belastung durch das Klavierstimmen habe. Weil, das Klavierstimmen ist akustisch sehr anstrengend. Wenn man minimum eine Stunde lang ein Klavier gestimmt hat, hat man ungefähr eine Stunde lang mit einem Rasenmäher zu tun gehabt, einem Benzinrasenmäher und der hat 85 Dezibel. Davon muss sich erstmal ein Gehör wieder erholen und es braucht Ruhephasen dazu.

Christofer Hameister:
Das heißt, zu Hause bei Ihnen herrscht ein bisschen so eine Art "Raum der Stille", ja?

Dirk Höhne:
Nein, das würde ich nicht sagen, aber ich kann mich nicht hinsetzen und auf dem Klavier spielen und könnte das jetzt genießen. Da mache ich mir lieber andere Musik an.

Christofer Hameister:
Wenn wir dann noch ein bisschen im Werdegang zurückgehen … Erzählen Sie mal, wie es dann weiterging. Also macht man dann eine Ausbildung? Für alle, die das nicht wissen.

Dirk Höhne:
Damals, zu DDR-Zeiten, hieß der Ausbildungsberuf Klavierbauer und nach der Arbeitszeit gab es noch eine AG Klavierstimmen und da konnte man sich spezialisieren. Das habe ich mitgenommen, da ich danach an die Musikhochschule sollte und habe dort das Klavierstimmen gelernt. Üben, üben, üben ist das. Sich darauf einlassen und die Schwingungen finden, weil, wenn man sein erstes Klavier stimmt und hat noch nie so was gemacht, dann weiß man nicht, was vor einem sitzt und was für Schwingungen entstehen. Man hört einfach gar nichts. Man hört nur den reinen Ton und hört nicht die Schwingung. Total interessant, wenn man sich da dransetzt und der ausgebildete Klavierstimmer steht daneben: „Hören Sie das? Hören Sie das?“ und ich so: „Nee“.

Christofer Hameister:
Und wie ging es dann weiter? Also wie lange ging die Ausbildung und wo war Ihre nächste Station dann? Gleich an der Hochschule?

Dirk Höhne:
Die Ausbildung ging 2 Jahre lang, in Eisenberg und als ich die Ausbildung beendet habe, bin ich gleich an die Musikhochschule.

Christofer Hameister:
Und das war in welchem Jahr?

Dirk Höhne:
Ende 1990.

Christofer Hameister:
Wenn Sie mal beschreiben würden, jetzt feiern wir natürlich auch im nächsten Jahr 150 Jahre Hochschule. Wenn Sie mal vergleichen, die Klaviere, die wir in den Neunzigern hatten, mit denen, die wir aktuell haben…

Dirk Höhne:
Definitiv haben wir seit der Wende einen Quantensprung gemacht an der Musikhochschule. Während es damals zu DDR-Zeiten nur um Werterhalt ging, haben wir ja heutzutage auch solche hochwertigen Instrumente hier stehen. Die Leute müssen sich allerdings auch ein bisschen bewusst sein, dass sie so hochwertige Instrumente hier stehen haben und nicht immer denken: „Ich will mehr!“ Das ist ein Luxus, den wir hier haben. Die haben auch zwei festangestellte Klavierstimmer hier im Haus, die sich darum kümmern.

Christofer Hameister:
Was würden Sie sich wünschen? Also manchmal ist man ja im Umgang mit den Flügeln sehr flapsig oder es ist so selbstverständlich, dass Sie ja da sind und es kümmert sich jemand. Gibt es etwas, was sie den Studierenden mitgeben würden?

Dirk Höhne:
Das ist eigentlich ziemlich kurz zu fassen: ein Flügel oder ein Klavier ist kein Tisch, kein Ablageinstrument! Das ist das absolute Basic, was hier an der Musikhochschule nicht wahrgenommen wird. Wenn ich durch die Übungsräume gehe und trete ein, um reine Kontrollgänge zu machen, treffe ich immer wieder Jacken, Wasserflaschen, Gläser, Kaffeebecher und das Schlimmste ist, wenn sie ihre Musikinstrumente, vor allem große Musikinstrumente noch darauf ablegen. Grundsätzlich ist es ein hochwertiges Musikinstrument, was kein Tisch ist. Nummer 2 ist, leg ich mein Instrument ab, nehme ich es irgendwann wieder runter. Das verursacht Kratzer. Stelle ich meinen Becher drauf, kann es passieren, dass dieser umkippt … alles schon passiert. Der Kaffee läuft rein auf die Saiten, die Saiten fangen an zu rosten, die Hämmer sind dann voller Kaffee, klingen nicht mehr. Immer eine Beschädigung, die stattfindet und wenn es nur kleine Beschädigungen sind. Schon allein, wenn ich meine Jacke drauflege, und nehme sie danach wieder runter, ziehe ich das und der Reißverschluss bleibt hängen, zerkratzt den Lack - alles Kleinigkeiten.

Christofer Hameister:
Wo sagen Sie, steht in der Hochschule der größte Goldschatz an Klavieren oder an Flügeln? Also was ist Ihrer Meinung nach der beste Flügel und warum?

Dirk Höhne:
Der beste Flügel steht derzeit in unserem Konzertsaal, am Fürstenhaus im Saal. Da steht ein nagelneuer Yamaha-Flügel. Das ist unser Goldschatz gerade - alle lieben ihn. Aber wir haben ja überall noch andere Goldschätzchen stehen, noch andere Konzertflügel. Unser Hauptsaal ist ja mit drei Konzertflügeln bestückt. In den anderen Sälen, die wir haben, stehen auch noch Konzertflügel oder in Vorlesungsräumen am Horn stehen auch große Konzertflügel.

Christofer Hameister:
Und wo sagen Sie, das ist ein Schatz, vielleicht ein persönlicher Schatz? Vielleicht nicht im Wert, aber von der Geschichte her, wo Sie sagen, an dem hängen so viele Erinnerungen… Gibt es da einen?

Dirk Höhne:
Ich glaube, da gibt es nur ein Instrument. Das ist, glaube ich, mein Meisterstück. Zu meiner Meisterschulung musste ich ein Meisterstück bauen und das hat die Musikhochschule nach der Meisterschule aufgekauft und das steht am Horn oben, in der Musiktheorie, im Raum 208. Es ist ein Klavier, wenn ich da vorbeikomme und das stimme, dann denke ich immer wieder daran. Ansonsten gibt es, glaube ich, kaum Überbleibsel von meinem Vater oder andere Instrumente, die einen besonderen Reiz haben. Weil letztendlich haben wir 200 Tasteninstrumente und die muss ich ja immer auf 100 Prozent versuchen zu pflegen, zu stimmen.

Christofer Hameister:
Wenn Sie mal so einen Einblick geben…Wie lange dauert es, einen Flügel an der Hochschule zu stimmen? Erzählen Sie mal so ein bisschen hinter die Kulissen. 

Dirk Höhne:
Hinter den Kulissen? Für eine Klavierstimmung kalkulieren wir immer zwei Stunden, die wir natürlich zumeist nicht voll ausschöpfen, weil wir den Rest der Zeit nutzen, um uns das Instrument anzugucken, nach Schäden zu gucken, um die eventuell noch mit zu reparieren oder um mit den Lehrern zu reden. Also eine Durchschnittsstimmzeit ist anderthalb Stunden. Wenn wir natürlich ein Konzertflügel haben, den wir jeden Tag stimmen, dann brauchen wir nicht so lange. 

Christofer Hameister:
Nehmen Sie den Flügel komplett auseinander?

Dirk Höhne:
Komplett auseinander nehme ich ihn nur, wenn er kaputt ist. Dann hole ich auch die Mechanik raus. Ansonsten schaue ich mir an, ob die Funktionalität der Tasten in Ordnung ist und dazu muss ich nicht alles rausnehmen. Aber wenn ich irgendwie einen Defekt finde oder einen klappernden Ton, dann muss ich die Mechanik rausziehen und schauen, ob ein Bleistift drin ist oder irgendwas klemmt. Ansonsten öffne ich den Flügel ganz normal: Deckel auf, Notenpult raus, Tastenklappe raus und dann gehts zum Klavierstimmen.

Christofer Hameister:
Gab es da auch manchmal Überraschungen, wo Sie gedacht haben: „Das kann doch wohl nicht wahr sein!" Jetzt machen wir den Deckel auf und dann kommt irgendwas entgegen, wo Sie sagen: "Was ist das denn jetzt?“

Dirk Höhne:
Der Spitzenwert war mal, dass ich in einem Flügel zwölf Bleistifte gefunden habe. Ihr könnt es euch ja vorstellen, wenn die alle in der Mechanik liegen, was das für ein Klappern ist beim Spielen. Da gibt es das schöne Geräusch des Tones und nebenbei noch dieses Klacken. Oder ein anderes Beispiel ist, wenn man in die Tastenabteilung geht, Klavierhauptfach, da hat man auch schon mal vorgefunden, dass drei komplette Töne ohne Saiten waren. Bloß der Nachteil ist halt, dass uns niemand Bescheid gesagt hat, dass die Saiten kaputt sind. Man geht normal zum Klavierstimmen, geht rein und plötzlich findet man drei fehlende Töne vor. Man fragt sich dann immer, wie konnten die jetzt die letzte Zeit darauf spielen - ohne die drei Töne?

Christofer Hameister:
Aber anscheinend geht auch ohne. 

Dirk Höhne:
Ja, anscheinend geht es auch ohne. (lacht)

Christofer Hameister:
Neben der ganzen Musik gibt es noch ein weiteres Hobby von Ihnen. Nämlich Sie trainieren Kinderfußballmannschaften, ist das richtig?

Dirk Höhne:
Fußball ist mein Hobby! Nachdem ich 20 Jahre lang selbst gespielt habe, habe ich dann Fußballspielen an den Nagel gehangen und habe notgedrungen den Trainer gemacht, weil von meinem Sohn, der Fußball spielen gelernt hat, der Trainer damals nicht mehr arbeiten konnte, weil er studiert hat und da habe ich erstmal provisorisch übernommen und dann habe ich festgestellt, dass es ja Spaß macht. Und jetzt mache ich das, glaube ich, seit acht Jahren. Das ist auch ein guter Ausgleich für mich. Das Klavierstimmen ist eigentlich ein recht ruhiger und einsamer Beruf, der ganz still ist. Und wenn du dann auf eine Herde von 20 rumgackernden Jungs triffst, da hat man zu tun. Wenn ich zwei Stunden mit denen trainiert habe, tut mir der Mund weh, weil ich die ganze Zeit nur gequatscht habe. 

Christofer Hameister:
Und vor allem ist das so ein totaler Kontrast. Klavierstimmer auf der einen Seite und dann den Mund fusselig reden beim Trainieren.

Dirk Höhne:
Das habe ich schon so oft gehört, auch wo ich noch aktiv Fußball gespielt habe, und die konnten es immer nicht glauben, dass ich Klavierstimmer bin. „Das sieht man dir gar nicht an!“ – „Ja, ich weiß. Tut mir leid.“

Christofer Hameister:
Aber wissen die Kinder, die Sie trainieren, dass Sie Klavierstimmer sind?

Dirk Höhne:
Ja, wissen sie. Gelegentlich fragen Sie mich und ich wurde schon oft gefragt, was ich arbeite und wenn ich dann sage, dass ich Klaviere stimme, können sie es immer gar nicht glauben. Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, dass das ein total anstrengender und fokussierter Beruf ist, weil man muss sich ja total drauf einlassen auf dieses "Hören der Schwingung" und wirklich ringsum komplett alles abschalten. Weil die Außengeräusche, die von außen kommen, stören einen immer wieder. Wenn ich Klavier stimme und es läuft jemand hinter mir lang, erzeugt der Schwingungen. Das wissen die nicht, die hinter mir laufen, weil sie es gar nicht wahrnehmen, aber ich bin so sensibilisiert, dass ich dieses Auftreten; und wenn sie leise durchlaufen, ich höre dieses Auftreten, dass eine Schwingung erzeugt - und schon stört's.

Christofer Hameister:
Wie trainiert man das? Also, wie kann man sich so konzentrieren und fokussieren?

Dirk Höhne:
Übung, Übung, Übung, Übung, Übung… Es ist wirklich trainierbar. Aber es ist so stark trainierbar, dass man, wenn man anfängt Klaviere zu stimmen, hört man dann irgendwann eine Schwingung. Das ist dann so gut trainiert, dass man dann die Obertöne hört. Das heißt, man hört, wenn man Töne in Kombination anschlägt, nicht nur zwei Schwingungen, sondern man hört acht Schwingungen und man muss die Richtige herausfiltern.

Christofer Hameister:
Und gibt es an der Hochschule Flügel, wo Sie sagen, den können wir jetzt noch weiter stimmen, aber so richtig Dampf kriegt er nicht mehr?

Dirk Höhne:
Natürlich gibt es die. Meistens die Instrumente aus dem Übungsbereich, wo die Klavierhauptfachleute sich darüber her machen und die dann von früh um 7.00 Uhr bis abends um 10.00 Uhr durchgespielt werden. Die sind dann einfach abgelutscht. Alte Försterflügel - das lohnt sich nicht mehr. Ich finde es allgemein wichtig, dass eine Musikhochschule oder eine Musikschule nicht nur einen Instrumentenhersteller hat. Ich finde das schlimm, wenn es eine Steinway- oder eine Blüthner-Musikschule gibt, oder Grotrian. Sie kennen doch dann gar nicht die anderen Instrumente. Die spielen sich alle anders, da hat jeder Hersteller seine eigene Philosophie.

Christofer Hameister:
Herr Höhne, wir würden jetzt eine Schnell-Fragerunde machen. Ich bitte um kurze Antworten - ok? Weimar ist für mich…

Dirk Höhne:
…die schönste Stadt. Es ist alles so grün, nicht so hektisch, keine Hochbauten, also in meinem Fokus außer in Weimar-Nord oder -West. 

Christofer Hameister:
Chopin oder Bach?

Dirk Höhne:
Bach.

Christofer Hameister:
Wenn Sie sich ein Land aussuchen könnten, in dem Sie gerne leben würden, welches wäre es? 

Dirk Höhne:
Ich denke, es wäre Australien. Ich war schon ein paar Mal da im Urlaub und ich finde das Land einfach riesengroß, total interessant und es gibt total nette, entspannte Menschen da. 

Christofer Hameister:
Auf was könnten Sie in Ihrem Leben niemals verzichten?

Dirk Höhne:
Das ist jetzt schwer… meine Kinder!

Christofer Hameister:
Wenn Sie eine berühmte Persönlichkeit, egal ob lebendig oder tot, mal treffen könnten. Wer wäre es? 

Dirk Höhne:
Ich glaube, es wäre vielleicht Albert Einstein. Einfach nur um zu sehen, was das für ein Typ ist, was in seinem Kopf vorging.

Christofer Hameister:
Wenn Sie allein Auto oder Zug fahren, je nachdem, was hören Sie da für Musik?

Dirk Höhne:
Wenn ich Musik höre, höre ich Radio.

Christofer Hameister:
Ihr größtes Glück?

Dirk Höhne:
Schon wieder meine Kinder. 

Christofer Hameister:
Welchen Job an der Hochschule würden Sie gerne mal machen, wenn Sie mal tauschen könnten. Für einen Tag mal Mäuschen spielen. Was würden Sie gerne machen?

Dirk Höhne:
Nix. Ich habe den spannendsten Beruf. Ich habe den besten... Nein, da fällt mir tatsächlich nichts ein. 

Christofer Hameister:
Das ist doch wunderbar. Ihr Lieblingsort an der Hochschule? 

Dirk Höhne:
Lieblingsort? Ich glaube, das Hochschulzentrum am Horn. Das hat schöne, große, geräumige Zimmer. 

Christofer Hameister:
Was wünscht sich denn ein Klavierstimmer für die nächsten 150 Jahre?

Dirk Höhne:
Der Klavierstimmer wünscht sich natürlich super Tasteninstrumente, verständnisvolle Studierende, die das auch so sehen, dass jedes Instrument individuell ist und dass, wenn sie weg sind, danach auch wieder Neue kommen, die gerne auf den gleichen Instrumenten spielen wollen. Das heißt, sie sollen damit pfleglich umgehen.

Christofer Hameister:
Ihr Job ist es auch sehr präzise mit einem Tasteninstrument umzugehen. Was muss man mitbringen, wenn man Klavierstimmer werden möchte?

Dirk Höhne:
Das ist eine gute Frage. Wenn man aus dem Gesichtspunkt von mir ausgeht, der ja eigentlich gar nichts mitgebracht hat, außerdem das Interesse, mit Holz zu arbeiten, bin ich eigentlich ziemlich weit gekommen und in einer ziemlich guten, professionellen Verfassung. Ich denke, man braucht gar nichts dazu mitzubringen. Natürlich sind musikalische Grundkenntnisse immer hilfreich. Heutzutage wird bei der Ausbildung zum Klavierbauer und Klavierstimmer immer noch Klavierunterricht während der Ausbildung dazu gegeben, was bei mir überhaupt nicht stattfand.

Christofer Hameister:
Ich stelle mir manchmal vor, dass in der Ausbildung manchmal auch Hospitationen stattfinden, dass man an die Hochschule fährt und Sie junge Menschen betreuen, die das gerade lernen. Wenn Sie in die Zukunft schauen…Haben Sie da eher Sorge oder sagen Sie, die machen das auch alles in den nächsten Jahren total richtig und wichtig?

Dirk Höhne:
Also die, die ich kennengelernt habe, sind unterschiedliche Typen. Welche mit keinem Grundwissen und welche, die schon in der Ausbildung stecken und das Praktikum während der Ausbildung gemacht haben, und die hatten alle Interesse daran. Solange sie das Klavierstimmen nicht irgendwie automatisieren, - haben sie auch schon probiert an Testobjekten - werden sie, glaube ich, auch hinbekommen, dass immer Klavierstimmer für die Instrumente da sind.

Christofer Hameister:
Im Prinzip ist der Klavierstimmer unersetzbar.

Dirk Höhne:
Ja, vor allen Dingen ist er individuell. Ein Roboter ist ja nicht individuell. Jedes Instrument ist eigentlich individuell! Man kann nicht das eine Instrument genauso wie das nächste stimmen. Nein, das hängt auch ein bisschen mit der Größe des Instruments zusammen und auch ein bisschen vom Hersteller ab. 

Christofer Hameister:
Wenn jetzt der Profi sich aussuchen dürfte, also er geht in den Laden und darf sich ein Klavier aussuchen, was wäre das beste Klavier?

Dirk Höhne:
Von meiner Seite darf ich gar nicht drüber reden, weil ich ja nicht derjenige bin, der spielt. Ich bin Servicekraft, ich bin nur ein Berater. Ich würde sagen: „Also ich finde von der Klangreinheit, ich gehe immer nach dem Klang, nach der Reinheit des Klangs und wie sich die Obertöne anhören, finde ich das gut.“ Das ist auch wieder individuell. Ich erkläre das mal, wenn die Hochschule sich ein Instrument aussucht, bei einem Hersteller, gehen sie dort in eine ‚Hall‘, wo 20 Instrumente vom gleichen Typ stehen, und sie sehen sich nur ein Instrument an und sie sind alle unterschiedlich. Das heißt, bei der Herstellung gibt es immer Individualismus, bei jedem Instrument.

Christofer Hameister:
Eine Frage habe ich tatsächlich noch: Wie sieht ein ganz normaler Tagesablauf aus? Also wie viele Instrumente schaffen Sie und rotiert das dann? Also fangen Sie dann im Januar an, mit einer Reihe und können dann im Prinzip im März wieder mit demselben anfangen. Oder wie rotiert das? 

Dirk Höhne:
Das wäre das Beste, wenn das so funktionieren täte, in so einem fließenden Ablauf. Funktioniert aber nicht, denn hier ist ja Unterrichtsbetrieb. Wir kommen nicht in jeden Raum rein, wie wir es gerne hätten. Ein optimaler Ablauf wäre immer dann in den Semesterferien. Es sind Ferien, es ist keiner da, wir nehmen uns das Haus vor und stimmen das in einem Monat durch. Wir haben vier Häuser, dann wären wir, glaube ich, in zwei Monaten fertig. Schaffen wir aber gar nicht, da wir viel zu viel Individualismus hier drinnen haben. Wir haben nämlich, zum Beispiel Konzertinstrumente, ganz viele, die wir teilweise täglich stimmen müssen, denn wenn jeden Tag eine Veranstaltung ist, müssen wir jeden Tag auch stimmen. Nummer 2 ist, in den Semesterferien, wenn frei ist, nutzen wir die Zeit, um große Wartungsarbeiten an den Instrumenten zu machen. Große Wartungsarbeiten bedeutet, dass wir den Flügel komplett zerlegen, an einem Tag die Hammerköpfe abschleifen und das dauert einen ganzen Tag. Dann wird der innen drin komplett gereinigt, weil da liegt viel Dreck, Büroklammern, Bleistifte, Ringe und er muss komplett ausgesaugt werden…

Christofer Hameister:
Haben sie da auch schon mal Eheringe tatsächlich gefunden?

Dirk Höhne:
Ja, auch als Auftrag. Naja, da ruft die Person bei der Sekretärin an und sagt: „Mir ist mein Ring reingefallen, ich komme aber nicht dran“, weil die Flügel ja teilweise verschlossen sind. Das heißt, sie rufen uns an, wir gehen rein, ich nehme die Mechanik raus. Manchmal muss ich die Mechanik schütteln und dann fällt der Ring raus. Das sind alles so kleine Geschichten, wo wir, mein Kollege und ich, uns immer mal wieder darüber  austauschen oder Köpfe schütteln, wenn wir durch den Übungstrakt am Horn gehen und in jedem zweiten Raum die Leute ihr Equipment drauf stellen, auf die Tasteninstrumente…Jacken, Wasserflaschen und ich bei jedem zweiten eine Predigt halten muss und sie ganz selbstverständlich sagen: „Ah ja, das versteh ich, tut mir leid.“ Und dann gehe ich eine Woche später wieder und treffe das gleich wieder.

Christofer Hameister:
Aber das wird sich jetzt schlagartig ändern, wenn alle den Podcast hören.

Dirk Höhne:
Natürlich, ich bin total positiv. Ich spüre jetzt schon, was das für einen Einfluss hat.

Christofer Hameister:
Wollen wir das Beste hoffen!

Dirk Höhne:
Es wäre wirklich gut, am Anfang des Semesters, wenn neue Studenten kämen, denen ein Vortrag zu halten, wie die Instrumente zu handhaben sind, wie man damit umgeht, einen pfleglichen Umgang. 

2. Folge: Altpräsident Christoph Stölzl

Von Münchens jüngstem Banjo-Spieler zu Weimars Musikhochschulpräsident – so könnten wir den Weg von Christoph Stölzl knapp beschreiben und würden damit doch viel zu kurz greifen. Unzählige Stationen in Kultur, Wissenschaft, Medien und Politik liegen dazwischen – und der Weg an die Spitze der HfM Weimar war so auch gar nicht geplant. Dass es dann doch so gekommen ist, war für unseren Altpräsidenten „immer noch ein großes Wunder“. Christoph Stölzl verstarb unerwartet am 10. Januar 2023 im Alter von 78 Jahren. 

Ganze zwölf Jahre, von 2010 bis 2022, stand Prof. Dr. Christoph Stölzl der HfM vor – nicht zuletzt auch, weil sie für ihn die „Glücksfabrik“ schlechthin darstellt. Im Gespräch mit Christofer Hameister erzählt er, wie er 1974 während seiner Forschungen aus Prag ausgewiesen wurde und wie er sich auf einer Fahrt nach Weimar auf einem thüringischen Feldweg wiederfand. Und er spricht über die besonderen Glückszufälle seines Lebens.

Diese Folge bei Spotify hören

Transkript 2. Folge

Christofer Hameister:
Seien Sie gegrüßt zu einer weiteren Folge unseres Podcasts der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Anlass ist der 150. Geburtstag der Musikhochschule. Und damit Sie uns besser kennenlernen, sprechen wir mit Angehörigen der Musikhochschule, und wir sind sehr glücklich, dass wir ihn noch mal ans Mikrofon bekommen haben, denn er hat die Hochschule zwölf Jahre geprägt. Wir begrüßen Alt-Präsident Prof. Dr. Christoph Stölzl. Hallo!

Christoph Stölzl:
Hallo.

Christofer Hameister:
Herr Stölzl, bevor wir richtig anfangen, dürfen sie sich einmal vorstellen mit einem Musikbegriff Ihrer Wahl. Pralltriller, Auflösungszeichen, Fermate, ein Instrument – was ist es bei Ihnen?

Christoph Stölzl:
Also, ich glaube, „Allegro“ ist schon gut. Ich habe mein Leben lang versucht, all das Pflichtmäßige und das, was man tun muss und auch tun will, trotzdem gelassen und mit Humor zu tun. Da ist „Allegro“, glaube ich, der richtige Ausdruck.

Christofer Hameister:
Impliziert das dann auch, dass Sie einer von der schnellen Sorte sind?

Christoph Stölzl:
Ich verbinde das nicht so mit Tempo, sondern in der Leichtigkeit. Man staunt ja, wie Allegro verschieden gedeutet wird von verschiedenen Musikern. Also, das kann ja langsam hüpfend sein oder auch ganz schnell. Also, ich verbinde mehr eine Stimmung damit als eine bestimmte Metronom-Schlagzahl.

Christofer Hameister:
Herr Stölzl, wenn man so durch ihre Biografie schaut… ich will’s mal vorsichtig formulieren: Sie haben eine ziemlich lange Liste von Hobbys – Historiker, Publizist, Museologe, Kulturpolitiker, Geschäftsführer, Chefredakteur, Fernsehmoderator, Hochschulprofessor und nicht zuletzt auch Hochschulpräsident. Im Juni endete Ihre Zeit an der Hochschule. Was liegt nun vor Ihnen?

Christoph Stölzl:
Also, ich gehe nach Berlin zurück und ich werde dann full-time etwas machen, was ich bisher eher nebenher oder zurufend begleitet habe, nämlich die Gründung des Exilmuseums in Berlin. Vor ein paar Jahren gab es eine Initiative im bürgerlichen Berlin, aus bürgerlichen Mitteln eine Gedenkstätte zu schaffen, für die ungefähr 500.000 Menschen, die Adolf Hitler aus Deutschland und aus Österreich, aus den annektierten Gebieten in alle Welt vertrieben hat.

Und ich bin dem Titel nach Gründungsdirektor, schon seit einigen Jahren, obwohl ich da nicht wirklich direkt real gehandelt habe, sondern mehr geistig geholfen habe. Aber ab Sommer bin ich da dann doch ziemlich viel damit beschäftigt.

Christofer Hameister:
Ein roter Faden, der sich durch Ihr Leben zieht, ist ja die Liebe zur Kultur oder zur Geschichte. Woher kam diese Liebe? Wo ist die im Kind oder im Jugendlichen Christoph Stölzl entstanden?

Christoph Stölzl:
Naja, das ist sicher auch etwas individuell Psychologisches – die einen rennen hinter einem Ball her oder springen hoch oder weit oder schwimmen um die Wette. Ich war nicht so super sportlich, habe das schon alles auch im Rahmen des Üblichen gemacht. Aber Bücher und auch Musik waren trotzdem meine große Kindheitsliebe. Ich bin auch früh ein Gitarrenspieler geworden bei den Pfadfindern, war danach ganz junger Jazz-Musiker in München in den späten 50er Jahre.

Meine Familie ist schon eine Kultur-Familie, da gibt es alle möglichen bildenden Künstler, aber auch Literaten darin. Also, das war auch schon eine Familientradition. Ich wusste nach dem Abitur zunächst nicht so ganz genau, was ich mache – und das Geschichtsstudium war dann mehr so das Votum für ein allgemeinbildendes Studium. Was daraus werden würde, wusste ich überhaupt nicht mit 19 Jahren.

Christofer Hameister:
Aufgewachsen sind Sie ja in München und waren dort auch Münchens jüngster Banjo-Spieler. Stimmt das?

Christoph Stölzl:
Ja, ich habe angefangen als Münchens jüngster Banjo-Spieler in einer New-Orleans-Kapelle. Mit 14 Jahren durfte ich da schon mitmachen und ich erinnere mich bis heute: Wo ich zum ersten Mal diesen Klang gehört habe – das war so eine Band mit Tuba, Klavier, Banjo, Schlagzeug und den drei Bläsern – das ist vollkommen andere, einzigartige... das Andere der schwarzen Musik. Bis heute zittert es in mir nach.

Es hat eigentlich später nur einmal so ein ähnliches Erlebnis gegeben, als ich zum ersten Mal Richard Wagner im großen Orchester in der Oper gehört habe, wo man auch so absolut hin und futsch war, so absolut weggeweht war von diesem Gefühlssturm. Aber das war zum ersten Mal mit 14 Jahren mit der New-Orleans-Jazz-Musik.

Christofer Hameister:
Es ist dann aber im puncto Studium nicht bei der Musik geblieben, sondern bei der Geschichte, später dann die Literaturwissenschaft und Soziologie. Wohin die Reise letztlich hingeht beruflich, das wussten sie erst mal nicht. Wann war denn der Punkt erreicht?

Christoph Stölzl:
Na, da gibt‘s so Zufälle natürlich. Also, ich habe angefangen, Geschichte zu studieren. Ich wollte eigentlich Journalist werden oder so. Fernsehjournalist, weil ich mich für Bilder und alles, was mit den Bildern zusammenhängt, auch sehr interessiert und auch als Amateur fotografiert habe und eine Dunkelkammer hatte. Und dann bin ich eben durch einen Professor, den ich mochte, in die Mitteleuropaforschung, Osteuropaforschung hineingeraten. Dann kriegte ich ein DAAD-Stipendium und ging nach Prag. Ich glaube, ich war der erste deutsche Student, der da studieren durfte und geriet hinein in diese Alt-Österreich-Forschung, die ja sehr, sehr spannend ist.

Dann geriet ich in ein Promotionsthema und danach sollte es weitergehen mit der Habilitation. Ich war sehr viel in Wien als Forscher und auch in Prag und bin dann 1974 wieder durch einen Schicksalszufall aus dieser Bahn geworfen worden, obwohl ich schon publiziert hatte und auch an so einem Kafka-Buch saß. Ich wurde, weiß Gott warum, obwohl ich wahrlich nicht spioniert habe, 1974 im März Persona ingrata für die neo-stalinistische ČSSR. Ich stand von einem Tag auf den anderen etwas ratlos da. Denn wenn Sie nicht mehr forschen können an dem Platz, dann können Sie auch das Thema eigentlich aufgeben.

Aus Zufall, der schiere Zufall – Glückszufälle im Leben spielen ja eine gewaltige Rolle – bin ich in der Münchner Uni im Lichthof kurz nach diesem Rauswurf aus der ČSSR einem ehemaligen Gymnasiallehrer von mir begegnet, Hubert Glaser, der damals die erste von diesen ganz großen historischen Ausstellungen organisiert hat – eine Barock-Ausstellung in München. Wie man so ist, war ich schon verheiratet damals, hatte schon Kinder. Da will man ja auch einfach den nächsten Job. Ich habe dann gesagt: „Ich bin ihr Mann. Ich kann das alles, was Sie da brauchen!“ Das war so ein bisschen mutig, um nicht zu sagen: hochstaplerisch. Aber mich interessierten Vermittlungsfragen mindestens genauso viel wie das Im-Archiv-sitzen. Ich wollte ursprünglich auch Universitätsprofessor werden.

Kurzum, ich hatte Glück, ich wurde in dieses Ausstellungsteam genommen und lernte da in diesen zwei Jahren Vorbereitung von 1974–76 eigentlich alles, was ich danach gebraucht habe: Nämlich Kulturpolitik, Kulturmanagement – den Namen hatte das damals gar nicht – wie man Autobusse organisiert und Besucher wohin bringt, wie man Filme schneidet, die in einer Ausstellung gezeigt werden, wie man Infotainment macht, also aus wissenschaftlichen Erkenntnissen etwas, was breite Wirksamkeit haben kann – das lernte ich da im Blitzverfahren und war danach, ehrlich gestanden, verloren für die strenge Wissenschaft, aber immer schon mit dem Blick in die Perspektive eigentlich Kulturmanager zu werden.

Christofer Hameister:
Man merkt, Sie haben sich ein bisschen auf die Zufälle verlassen und auch ein bisschen auf das Glück. Ich meine, Leichtigkeit ist ja auch an sich eine Kunst – und vor allem damit umzugehen: Ach, ich weiß nicht, wie was kommt, aber irgendwie wird es schon laufen. Woher kommt diese Leichtigkeit bei Ihnen?

Christoph Stölzl:
Ich bin Jahrgang 1944. Das heißt, die ersten Erfahrungen 1945, 46, 47 waren sehr schlechte Zeiten. Ich kann mich nicht an Hungern erinnern, aber grenzwertig war das schon. Und ich gehörte der Generation an, für die immer alles besser wurde: Aus gar nichts auf dem Brot wurde Margarine, aus Margarine wurde dann in den 50er Jahren irgendwann mal Butter. Und aus dem Fahrradfahren an den Starnberger See wurde das Trampen an den Gardasee bis dann richtige Reisen draus wurden.

Bis heute habe ich eine Gewissheit, dass im Leben alles gelingt. Jedenfalls in diesen materiellen Fragen. Ich will jetzt nicht von privaten Dingen, von der Liebe, von der Ehe, von den menschlichen Beziehungen reden– da gibt es ja keine Garantie, dass was gelingt. Aber dass es mir als Generationskind gut gehen würde und ich keine Angst haben muss und dass das, was man anpackt, wenn man es mit Leidenschaft und Lust macht und mit Alegría, also mit dieser fröhlichen Leichtherzigkeit, dass es dann auch gelingt.

Ich bin auch nie arbeitslos gewesen. Mein ganzes Leben habe ich nie einen Job gesucht. Die wurden mir immer angeboten. Natürlich kann man sagen: „Der Kerl hat Glück gehabt“. Aber ich habe eben auch etwas gelernt bei diesem ersten Job in dieser Arbeitsgruppe, die diese große Barock-Ausstellung gemacht hat. Das heißt, was ich auch unseren Studenten immer sagen will: Wenn man sich mit Lust und einer, sagen wir mal hinreichenden Allgemeinbildung hineinstürzt, kann man eigentlich jedes Thema erobern. So ist mir das im Leben geblieben. Man kann jedes Thema, auch jede Aufgabe erobern, wenn man sich die Augen wischt und sagt: „So, jetzt in die Hände gespuckt, jetzt geht es los, bis zum Abend weiß ich mehr.“

Christofer Hameister:
Jetzt machen wir einen kleinen Sprung in der Chronologie nach vorne. Da kam dann also Weimar. Stichwort: Hochschulpräsidentschaft. Ich meine, Sie haben ja schon gesagt, sie mussten sich nicht wirklich bewerben. Sie wurden meist angefragt, es muss auch vor 12/13 Jahren gewesen sein, da wurden Sie nach Weimar eingeladen, richtig?

Christoph Stölzl:
Ja, das ist für mich immer noch ein großes Wunder. Soweit ich die Vorgeschichte hier kenne, gab es ein Wahlverfahren oder ein Suchverfahren, was nicht zum gewünschten Ergebnis führte. Am Horizont stand eine große Kürzungsorgie des Landes Thüringen. Und ich glaube, dass dieser Zuruf von einem Mitglied des Hochschulrats „Frag doch mal den alten Stölzl in Berlin“ hier deswegen auf fruchtbaren Boden fiel. Als ich dann im Herbst 2009 zu einem Gespräch kam, da war mir gar nicht klar, dass es da um die Vorstellung fürs Präsidentenamt ging. Ich dachte eher, es wird ein Gedankenaustausch mit dem Hochschulrat.

Als ich hier ankam, da hat so ein Schild unten im Eingang gestanden: „Vorstellungen Präsident, 1. Stock“. Da dachte ich: „Gott, das ist ja fürchterlich, das ist gar nicht so geplant, ich bin doch gar kein Bewerber!“ Denn damals hatte ich einen luxuriösen Beruf. Der Springer-Verlag hat mich engagiert, ich kannte die auch schon länger, als täglichen Kolumnisten für die große Berliner Morgenpost. Das ist ja so ein Familienblatt und da musste ich nichts tun, als jeden Tag um 18:00 Uhr eine Kolumne für die erste Seite von 2.437 Zeichen und bereits redigiert zu übersenden – egal über was, jedes Thema, was ich wollte: Politik oder die Blumen blühen oder Sinfoniekonzert oder ich habe einen Bettler in der U-Bahn getroffen – also einfach vollkommen frei. Es war absolut frei, es war extrem gut bezahlt, also viel besser als das, was dann später in Weimar kam. Darum war ich entspannt bei diesen Gesprächen mit dem Hochschulrat und dem Senat. Ich kannte ja keinen Menschen bis auf das eine Mitglied des Hochschulrates, ein Journalistenkollege, der mir das eingebrockt hat.

Beim Herfahren hatte ich mich noch verfahren, da war so eine Straßensperrung. Ich wollte über die Landstraße von Naumburg kommen, landete am Schluss in einem Acker auf einem Feldweg und ein Bauer mit Traktor hat mir dann irgendwie gesagt, wie ich nach Weimar komme, so dass ich auch nur eine halbe Stunde zu spät war – wodurch man sich ja als Bewerber unmöglich macht. Aber Gott sei Dank war ich ja kein Bewerber, sondern die anderen wollten etwas von mir. Bei diesem, glaube ich, dreistündigen Gespräch, habe ich frei von der Leber weg erzählt, was ich bin und was ich kann und was ich nicht kann.

Ich bin ein Musikant! Ich bin ein der Musik verfallener Hörer! Ich war sozusagen kompetent in der Musik, aber nicht als Musikwissenschaftler und nicht als ernsthafte Musiker. Ich kann schon Musik machen. Meine große Stunde kam vor drei Jahren an Weihnachten, als der studentische Pianist bei der Verwaltungsweihnachtsfeier nicht erschienen ist und es dann ganz schreckliche Stimmung war im Bienenmuseum hier in Weimar und ich mich dann ans Klavier setzte, die Kolleginnen um Verzeihung bat um jeden falschen Ton, den ich spiele. Es ging dann doch leidlich querbeet, und wenn es zu hoch war, habe ich zwei Töne tiefer transponiert.

Ich bin ein Musikant, kein Musiker! Insofern hatte ich keine Angst vor Musik und habe das alles ernstlich und wahrheitsgetreu erzählt, was ich mitbringe, in der Tat politische Erfahrungen. Ich erbleiche nicht, wenn ein Minister streng schaut, sondern sage: „Herr Minister, hier irren Sie.“ Was man eben so lernt durch diese ganze Routine. Was kein Mensch von außen ahnt: Ich würde sagen 70 Prozent sind Sachbearbeitung. Auch wenn Sie einen schönen Titel haben, aber es ist Sachbearbeitung. Ich wusste das also alles, dass man da nicht ins Paradies kommt, sondern in die richtige Arbeit. Also kurzum, als es rum war, fuhr ich nach Berlin zurück und mein Telefon im Auto klingelte. Und die sagten: „Wir haben Sie jetzt gewählt.“ Dann habe ich gesagt: „Halt, halt, Moment, ich habe mich ja gar nicht beworben! Lasst uns mal alle noch mal darüber nachdenken.“ Dennoch wurde daraus dann im Juli 2010 tatsächlich die Berufung.

Christofer Hameister:
Ich meine, Sie hätten ja auch in Berlin bleiben können. Also Sie hatten einen lukrativen Job. Was hat Sie dann an Weimar gereizt?

Christoph Stölzl:
Ja, weil es sozusagen die späte Eheschließung mit meiner lebenslangen heimlichen Geliebten „Musik“ war. Das Nach-Weimar-ziehen war eine Selbstverständlichkeit. Das steht zwar nicht mal im Vertrag drin, da steht nur drin: Man müsse sich im notwendigen Umfang in Weimer aufhalten, aber für mich war das absolut selbstverständlich. So wie ein Hotelier unbedingt im Restaurant und an der Rezeption ständig anwesend sein muss, so war es für mich auch. In Berlin, als Gründer des Deutschen Historischen Museums, habe ich extrem viel Zeit an der Kasse verbracht, weil man da lernt, was das Publikum sagt. Und selbstverständlich muss man da wohnen, wo die Musik spielt, also das war für mich überhaupt keine Frage.

Aber die Riesenchance sozusagen noch mal ein Musikstudium geschenkt zu bekommen, Kenntnisse zu erwerben, die man natürlich nie vorher hatte. In der Tat nach diesen zwölf Jahren bin ich ein echter Musikhochschulrektor und kann auch mitreden. Zu Beginn war das eine Hoffnung – und es ist gut gegangen. Es hätte auch schiefgehen können.

Christofer Hameister:
Jetzt ist es so: Zwölf Jahre der Präsidentschaft sind zu Ende. Was waren denn die größten Herausforderungen der letzten Jahre?

Christoph Stölzl:
Die Herausforderung war, mit diesen Kürzungsideen des Landes zurechtzukommen und diese abzumildern, was uns ja gelungen ist, und notfalls auch Konfrontationen. Das haben wir auch damals gemacht mit dem Minister Matschie, der uns extrem beschneiden wollte. Da haben wir richtig Krawall gemacht, da haben wir ihn auch einmal hierher zitiert, mit Protestkonzert im Haus, was er uns dann natürlich als Revanche, Retourkutsche zurückgeschickt hat in Form einer strengen Evaluierung, ob wir auch wirklich sparsam genug sind. Also, das hat auch Spaß gemacht und da haben wir auch sozusagen gewonnen. Natürlich musste man trotzdem im Inneren möglichst viel reformieren und schlanker machen und mit weniger auskommen. Das war eine lange, lange, auch schwierige Diskussion und wir sind daraus auch gestärkt hervorgegangen. Da bin ich eigentlich auch stolz darauf, dass der Frieden im Haus nie wirklich so gefährdet war, dass einem alles um die Ohren fliegt.

Christofer Hameister:
Herr Stölzl, jetzt fliegen Ihnen gleich Worte um die Ohren, denn wir machen eine kleine, Schnellfragerunde. Ich bitte um kurze Antworten und so schnell wie möglich:
Weimar ist für mich...

Christoph Stölzl:
… ein Kulturparadies.

Christofer Hameister:
Goethe oder Schiller?

Christoph Stölzl:
Das hat mich, so merkwürdig das auch klingt, für einen Jazz-Jüngling seit meiner Gymnasialzeit immer beschäftigt, aber mehr Goethe als Schiller.

Christofer Hameister:
Warum Goethe?

Christoph Stölzl:
Weil ich früh die Briefe entdeckt habe, zum Beispiel die Liebesbriefe an die Frau von Stein oder die anderen Briefe, und dieser Olymp so unglaublich originell menschlich ist, wenn man ihn aus der Nähe betrachtet.

Christofer Hameister:
Wenn Sie eine berühmte Persönlichkeit, egal ob lebendig oder tot, treffen könnten, wer wäre es?

Christoph Stölzl:
Thomas Mann.

Christofer Hameister:
Weil...?

Christoph Stölzl:
Weil ich immer schon geradezu behext, betrunken, verzaubert bin durch diesen großen Sprach- und Denkmagier.

Christofer Hameister:
Privat hören Sie am liebsten Musik von...

Christoph Stölzl:
Wechselnd. Jetzt bin ich grad tief versunken in Filmmusik.

Christofer Hameister:
Herr Stölzl, wenn man das Gespräch bisher auswertet, dann findet ein Wort immer wieder Gebrauch bei Ihnen, und zwar das Wort Glück. Und ohne, dass wir es im Vorfeld erwähnt haben, beschäftigt sich ja auch der letzte Teil unserer Podcast-Folge eben mit dem Thema „Musik und Glück“. Glück ist ja ein Begriff, den man sehr schwer definieren kann. Wie würde Ihre Definition klingen?

Christoph Stölzl:
Ja, das eine ist sozusagen das Zufallsglück, dass einem die richtigen Wege sich öffnen. Das ist ja eine andere Frage als das Glück im Augenblick.

Wann bist du glücklich? Abwesenheit von Schmerz, von Sorge, von Hunger, von Geldnot, von Wohnungsnot. Also, das ist ja alles auch Glück. Aber Glück als existenzielle Erfahrung hat für mich natürlich ganz, ganz stark mit Musik zu tun, weil Musik die Zeit aufhebt. Musik ist ja sowas Erstaunliches. Da können vier Stunden Wagner im Fluge vergehen. Aber jemand, der auf dem Podium sitzt und schlecht und langweilig Klavier spielt, da dehnen sich fünf Minuten ins Unendliche. Da sagt man: „Gott, wann ist es endlich zu Ende?!“

Also, diese Überwindung von Zeit und Raum. Auch die Endkörperlichung, dass sozusagen die Seele losfliegt. Wenn ich da zuhöre, egal ob ich mir Knöpfe ins Ohr tue oder ob ich halbwegs gut in einem Konzertsaal sitze, selbst in Bayreuth, wo man unbequem und hart sitzt.

Es gibt den Moment, wo man sozusagen außer sich gerät, wo die Seele die Flügel ausbreitet, wie es in diesem Eichendorff-Gedicht heißt, und davonschwebt, und Zeit und Raum aufgehoben sind. Jeder, der Musik verfallen ist, so wie ich, kennt das. Ich habe immer wieder Musiktheoretiker auch im Haus gefragt: Könnt ihr mir erklären, wieso man bestimmte Kadenzen, Akkordverwandlungen, gewisse Leitmotive bei Mozart sofort erkennt? Augenblicklich weißt du, dass es Mozart ist – und das macht glücklich. Das ist Glück! Das ist wie so eine Droge! Es ist eine Droge, es geht sofort in den Bauch und die Seele, in den Kopf. Du weißt, es sind diese Töne. Also, das ist Glück, das Außer-sich-geraten. Für mich ist das synonym für Glück.

Christofer Hameister:
Was würden Sie sagen: Was war Ihr persönlich größtes Glück?

Christoph Stölzl:
Na ja, ich habe ein langes und auch buntes, am Schluss patchworkendes Familienleben hinter mir, bin dann noch mittendrin. Aber was man auch öffentlich sagen kann, meine vier Kinder sind schon ein wahnsinniges Glück. Dass die alle das geworden sind, was sie werden wollten, sich frei entfalten konnten. Für mich ist es natürlich auch ein Glück, dass bei so vielen Zufällen – es hätte ja alles schiefgehen können –, ich etwas werden konnte, was ich mir immer gewünscht habe, nämlich nützlich zu sein. Etwas Sinnvolles zu tun. Es gibt viele Berufe, wo man genug Geld verdient und wo man ganz zufrieden sein kann, gibt es ja alles. Aber jemand, der so früh – und es liegt vielleicht auch an der Generation mit einer Familiengeschichte, die ich jetzt gar nicht ausbreiten will, die zutiefst verstrickt ist ins 20 Jahrhundert, vor allem mit Exil, Emigration, Nazizeit, Opfern in der Familie und all dem, wo so furchtbar viel schiefgegangen ist – dass ich zu der glücklichen Generation gehöre, wo alles noch mal gut gegangen ist. Das ist sozusagen ein Langzeitglück, was mich glücklich gemacht hat.

Und Weimar ist auch ein Glück! Das will ich schon mal sagen. Als ich damals hier Ja gesagt habe, habe ich mir gedacht: Na, das schauen wir uns mal an. I do my best. Und wenn es nicht geht – kann ja doch sein, weil ich mit der Organisation von Hochschule buchstäblich vorher nur als Lehrbeauftragter an der Hanns-Eisler-Hochschule und an der FU Berlin zu tun hatte, wo man ja das innere Gefüge nicht kennenlernt. Es ist ja doch etwas anderes als ein Theaterleiter oder eine Intendanz oder ein Ministeramt. Wenn das nicht gut geht, wenn wir uns nicht vertragen oder ich denen nicht leisten kann, was sie sich wünschen, dann sage ich in aller Freimütigkeit: „Lass es uns beenden.“ Ich habe ja schon ein Leben hinter mir. Ist ja keine Schande, wenn man sagt, das passt nicht. Also, das ist auch ein Glück, dass es dann doch gepasst hat.

Und nochmals, weil Sie mich gefragt haben: Diese 600, 700, 800, 900 jungen Leute, die hier das Haus bevölkern, sind auch ein Glück. Die ich ja sehe, auf der Treppe oder vor dem Konzert, nach dem Konzert. Die ich üben höre, über mir, von links, von rechts, von unten, von oben. Diese Verrückten, Begeisterten, die auf das hohe Seil gehen und sich eine Existenz suchen. Ich habe es ja vorher gesagt, von denen es gar keine Sicherheit wirklich gibt. Die sind so ein Glück! Manche lernt man auch näher kennen, wie Mariam Batsashvili, unser georgisches Wunderkind, die mit 16 Jahren hier zum ersten Mal beim Wettbewerb auftauchte, wo ich ganz neu war, und die inzwischen die große internationale Karriere hat.

Also, zuzuschauen, wie Kunst das Leben von jungen Menschen verändert und wie die glücklich werden. Das ist natürlich etwas, ein Strom ständiger Freunde!

Christofer Hameister:
Jetzt feiern wir in diesem Jahr 150. Geburtstag und zu einem richtigen Geburtstag gehören natürlich auch Glückwünsche. Wenn Sie der HfM etwas wünschen dürften, außerhalb von Glück, was wäre es?

Christoph Stölzl:
Also, ich wünsche der Hochschule, dass das Land Thüringen ihr treu bleibt und sie nicht über den Kamm schert mit den normalen Universitäten, weil die Hochschule für Musik wirklich etwas ganz, ganz anderes ist. Das ist natürlich eine University of Music. Sie ist eine Hochschule, gar keine Frage, keine Musikschule. Aber es ist auch eine Künstlersozietät, eine Wissenschaftlersozietät. Das ist eine Lebensgemeinschaft von Menschen, die sich ja viel besser kennen, als es an einer sogenannten Massenuniversität überhaupt der Fall sein kann.

Also, ich hoffe sehr, dass das Land Thüringen dieser großartigen Institution treu bleibt. Erstens, weil für Thüringen hier ein Brennpunkt von Kultur ist. Und zweitens, weil die Menschen aus 51 Ländern, die hierherkommen, ja als Botschafter Thüringens, als Botschafter Weimars, dann in ihre Länder zurückgehen und sozusagen Sympathie, Brücken bauen, die Thüringen, Weimar, aber auch Deutschland insgesamt nach der Geschichte des 20. Jahrhunderts dringend notwendig hat. Also, Treue des Landes Thüringen, das wünsch ich mir. Die Treue hat auch finanzpolitische Seiten, also, dass immer genug da ist, dass man hier die Arbeit tun kann. Das wünsche ich mir.

Dann gibt es so exotische Wünsche, obwohl sie eigentlich ganz normal sind, dass das Land der Hochschule endlich mal einen Konzertsaal baut. Na, hallo! Das gehört doch dazu! Wir machen trotzdem tolle Musik und tolle Konzerte, aber eigentlich wäre das längst fällig.

Und den Kolleginnen und Kollegen und den hier Studierenden aus aller Herren Länder – denen wünsche ich, dass dieser Friedensraum, den diese Hochschule bietet – wo weder Sprache noch Nationalität noch politisches Bekenntnis uns trennen darf – dass das so erhalten bleibt und dass diese Kettenreaktion von Begabung, von Anregung, dass die weiter funktioniert.

Und dass, wenn man hier studiert hat, später sagt: „Ich hatte das Riesenglück in der Kulturstadt Weimar studieren zu dürfen. Ich habe sowohl als Musiker, Musikerin, Wissenschaftler, Pädagoge alles bekommen, was ich fürs Leben brauche, und ich habe zugleich die Begegnung mit diesem einzigartigen Kulturort Weimar gehabt und habe – ob Goethe, Schiller, ob Liszt, ob Bauhaus – hier einfach dermaßen viele Anregungen fürs Leben empfangen, dass ich davon lange, lange zerren kann.“

Also, das ist ja so, was man immer den Leuten an Elite-Universitäten anheftet, die in Harvard oder Oxford studiert haben, und dann den Schlips tragen dürfen mit den Farben ihres Colleges. Sowas haben wir nicht. Aber geistig sozusagen die Farben des Colleges „Hochschule für Musik Franz Liszt“ tragen zu dürfen. Und auch die Begegnung mit dieser außerordentlichen Figur Franz Liszt, der uns immer noch lebendig ist, obwohl er lange im Grabe ruht – leider in Bayreuth und nicht hier. Aber die Begegnung mit solchen Ausnahmefiguren wie Liszt und der Philosophie, die dahintersteckt, und die Begegnung mit Menschen aus der ganzen Welt, das sollte doch ein Lebensschicksal prägen dürfen. Also, das wünsch ich mir, dass diese Glücksfabrik HfM, dass die weiter so gut funktioniert wie bisher, wie ich sie kennengelernt habe.

Christofer Hameister:
Lieber Herr Stölzl, vielen, vielen Dank für dieses sehr interessante Gespräch mit vielen Anekdoten. Eine letzte Anekdote kommt allerdings von mir. Ich erinnere mich nämlich an meine Immatrikulationsfeier. Es war Oktober 2014. Sie haben gesprochen, definierten Weimar als sehr, sehr magischen Ort und begründeten Ihre Aussage mit der Übersetzung Weimars – Wimar, also „der heilige Sumpf“. Jetzt verlassen Sie Weimar nach Berlin. Der Sumpf dort ist definitiv lauter, nicht ganz so heilig wie Weimar. Was werden Sie vermissen?

Christoph Stölzl:
Überall anderswo vermisst man dieses Maß. Also, das Maßvolle an Weimar. Weimar ist eine alte europäische Stadt, wie die alle früher waren, vor allem in der Zeit, als die Musik entstanden ist, die wir immer noch spielen. Wo man zu Fuß alles erreichen konnte, wo es nachts still war, wo man Menschen begegnet ist und ihn nicht dauernd Briefe oder Mails schreiben musste. Also, dieses Weimarer Maß und die absolute Schönheit dieser Stadt, die werde ich natürlich vermissen. Von Sauberkeit wollen wir gar nicht sprechen in Berlin. Weimarer Schönheit werde ich vermissen, aber ich habe jetzt schon eine Bahncard 100. Und ich hoffe, dass ich mir das später auch leisten kann: Ich will so viel wie möglich in Weimar zu Besuch sein – dann entspannt und ohne Amtspflichten –, aber doch meiner Universität, meiner Hochschule die Treue halten und auch den vielen Menschen, die ich hier als Freunde kennengelernt habe.

1. Folge: Akkordeonprofessorin Claudia Buder

Knopf oder Taste - das ist hier die Frage!

Zum Auftakt unseres Podcasts begrüßen wir Claudia Buder am Mikrofon. Sie ist seit 2018 Professorin für Akkordeon am Institut für Neue Musik und Jazz der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar.

Bewegungsfreude zu vermitteln ist ihr künstlerischer wie pädagogischer Anspruch. Doch nicht nur musikalisch weiß Claudia Buder in Bewegung zu versetzen. Eine weitere Leidenschaft gilt der japanischen Kampfkunst Aikidō. Was die Akkordeonistin außerdem bewegt, erzählt sie im Gespräch mit Christofer Hameister.

Diese Folge bei Spotify hören

Transkript 1. Folge

Christofer Hameister:
Herzlich willkommen zu unserem Podcast der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar. Anlass ist der 150. Geburtstag der Hochschule. Damit Sie uns besser kennenlernen, sprechen wir mit Angehörigen der Musikhochschule. Mein Name ist Christofer Hameister und wir begrüßen heute eine ganz besondere Frau, nämlich Professorin Claudia Buder. Schönen guten Tag.

Claudia Buder:
Ein Hallo in die Runde!

Christofer Hameister:
Bevor wir richtig anfangen, dürfen Sie sich einmal vorstellen, allerdings mit einem Musikbegriff Ihrer Wahl, das Sie am besten beschreibt. Also, das kann ein Tempo-Begriff sein oder ein Auflösungszeichen oder ein Pralltriller…

Claudia Buder:
… oder die Tiefe des Klangs.

Christofer Hameister:
Warum?

Claudia Buder:
Mich interessiert die Klangtiefe, das Spektrum eines Klanges oder die Vielfalt eines Klanges.

Christofer Hameister:
Und was hat das mit Claudia Buder zu tun?

Claudia Buder:
Das hat damit zu tun, dass Claudia Buer auf dem Weg ist, die Musik in all ihren Facetten kennenzulernen, zu erforschen, zu entwickeln und dabei immer auch auf die Qualität des Klanges und auf die Qualität der Tonentstehung zu lauschen.

Christofer Hameister:
Jetzt sind sie schon eine Weile auf dem Weg. Glauben Sie, dass Sie irgendwann ein finales Ziel erreichen werden?

Claudia Buder:
Ich glaube, das wäre schade, wenn man künstlerisch und musikalisch gesehen ankommt. Ich denke, es ist schön, das wie das Universum zu betrachten: Das heißt, die Welt des Klangs ist endlich unendlich.

Christofer Hameister:
Unendlich ist auch ein bisschen Ihre Biografie. So scheint es, wenn man sich mal anschaut. Also Sie sind mittlerweile Professorin für Akkordeon am Institut für Neue Musik und Jazz dort auch Direktorin. Sie haben in Weimar und Essen studiert, mehrfach ausgezeichnet, Lehraufträge im Ausland, CD-Produktionen, Konzerte in Stockholm, bei den Wienern und den BBC Proms… Und wenn Sie dann noch Zeit haben, dann unterrichten Sie auch ihre Studierenden.

Claudia Buder:
Nein, nicht wenn dann noch Zeit ist! Ich glaube, das ist jetzt wirklich ein wichtiger Mittelpunkt und ich finde das fantastisch an der Hochschule zu arbeiten und mit jungen Menschen den Weg der Zukunft zu gestalten. Ich bin jetzt vielleicht frech, aber ich sag das jetzt mal so: Ich arbeite nicht, ich lebe! Das heißt, die Arbeit ist mein Lebenselixier und es ist wichtig im Lebenselixier ein Verständnis für Einatmen, für Ausatmen, für Aktionen, für Gelassenheit, für Pausen zu haben – und genauso versuche ich das zu realisieren.

Christofer Hameister:
Und das gelingt in Weimar ja auch.

Claudia Buder:
Ich finde Weimar als Stadt poetisch wunderschön und ich genieße schon sehr unseren Arbeitsort oben in Belvedere. Was ich fantastisch finde, ist zu studieren, zu arbeiten und dann aus der Tür heraustreten zu können in das Grüne hinein, um dann wieder zurückzukehren. Das ist einfach ein wunderschöner Prozess.

Christofer Hameister:
Das klingt nach sehr viel Segen, aber der ist doch garantiert auch ein bisschen Fluch mit dabei, oder?

Claudia Buder:
Ja, ich sag es jetzt mal so: der Fluch der Bürokratie, der langsam mahlenden Mühlen, der Knöllchen, die dann eingelöst werden. (lacht)

Christofer Hameister:
Also das heißt, Claudia Bruder ist in der Bußgeldstelle Weimar bekannt?

Claudia Buder:
Oh ja, ich entschuldige mich zutiefst, ich bin bekannt.

Christofer Hameister:
Im Zentrum steht bei ihnen im Leben das Akkordeon. Wie kam es eigentlich dazu?

Claudia Buder:
In meiner Kindheit gab es noch nicht das facettenreiche Instrumentenkarussell oder große bunte Vorstellungen von vielen Instrumenten, sondern es gab die Familie und es gab das Vorbild meiner Mutter – und meine Mama spielte Akkordeon. Es war klar, dass auch die Tochter Claudia sich musikalisch beschäftigt und dann kam einfach die Frage auf: Was hältst du von Akkordeon? Und ich: Warum nicht, ja!

Natürlich, wie das immer so ist, der Mozart ist ja noch nicht vom Himmel gefallen. Das heißt, es gab Begeisterung am Anfang. Alles Neue ist interessant und spannend und aufregend, wie es ist im Alter eines Kindes. Die Beständigkeit des Übens – die darf erst entwickelt werden und da geht natürlich nicht jede Freude ein und aus im Haus.

Christofer Hameister:
Aber wie haben Sie es dann trotzdem geschafft dranzubleiben, sich weiterhin zu motivieren?

Claudia Buder:
Auf der einen Seite war es die klare Struktur. Es war klar, bestimmte Abschlüsse zu schaffen. Es war klar, bis zu einem Punkt zu kommen und dann noch mal neu zu entscheiden. Das ist vielleicht manchmal von Vorteil. Auf der anderen Seite ist es natürlich aber auch die Gemeinschaft, mit anderen zusammen zu musizieren, Reisen zu unternehmen und letzten Endes ist es bei mir in der Jugend auch der Erfolg des Wettbewerbes gewesen, wobei ich das natürlich jetzt im Erwachsenenalter mit anderen Augen sehe. Aber als Kind hat es gewirkt. Das heißt, ein Erfolg war unglaublich motivierend.

Christofer Hameister:
So vielseitig wie das Akkordeon auch ist, genießt es auf der Welt unterschiedliches Ansehen – Schifferklavier, Quetsche, ein Instrument zur Unterhaltungsmusik, ein Instrument für die Neue Musik. Sie konzentrieren sich viel auf Neue Musik. Das war aber am Anfang nicht so, oder?

Claudia Buder:
Der Ursprung meiner Eltern, mich beim Akkordeon anzumelden, war die musikalische Beschäftigung und nicht in erster Linie die Musik. Sie kamen dann gar nicht aus dem Staunen heraus, was es alles noch gibt auf diesem Wege. Als Kind bin ich da hineingewachsen. Das heißt, meine Lehrerinnen und mein Umfeld war so geprägt, dass die Neue Musik zum Ausbildungskanon dazugehörte.

Ich habe mich nicht immer mit großen Freuden auf das unbekannte Neue gestürzt, aber ich bin da hineingewachsen und mit der Zeit habe ich diesen Weg wirklich auch lieben gelernt. Ich bin dankbar, dass ich diese Möglichkeit des Wachsens hatte. Das finde ich ganz interessant, weil natürlich auch meine Ohren am Anfang anders geprägt waren, aber sie haben sich eben mit diesem Weg entwickelt.

Christofer Hameister:
Was hat Sie am Ende dazu bewegt zu sagen, ich werde das Ganze weiter professionalisieren und auch studieren?

Claudia Buder:
Das war eben diese Reise ins Unbekannte. Es war auch die Freude, sich mit der Musik auseinanderzusetzen und die Freude, die Musik zu einer Berufung werden zu lassen und sich damit ein Leben lang zu beschäftigen. Es ist doch ganz toll, dass man seine Liebe oder Interesse zu seinem Beruf macht.

Christofer Hameister:
Gab es denn auch einen Plan B?

Claudia Buder:
Das war vielleicht ganz interessant. Als ich in der 10. Klasse war, gab es viele Gespräche, wohin sich das Berufsleben entwickeln könnte und interessanterweise hat mich damals die Biologie und auch die Psychologie interessiert. Das war die Antwort, die ich gegeben habe. Am Ende ist es dann doch das Akkordeon geworden.

Christofer Hameister:
Dennoch gab es da einen Wechsel. Sie sind kurz vor der Wende von Taste auf Knopf gewechselt…

Claudia Buder:
Ja, das hat vielleicht auch ein wenig einen gesellschaftspolitischen Hintergrund. Zu meiner Jugendzeit sind wir oft nach Klingenthal gefahren. In Klingenthal gab es immer den großen internationalen Akkordeonwettbewerb, den es auch jetzt noch gibt und da trafen sich unterschiedliche Nationen, was in der DDR auch gar nicht so üblich ist außerhalb der Messe oder so. Es waren die Franzosen da, es waren die Russen da, es kamen auch Amerikaner.

Gerade die Tradition der Franzosen wie auch der Finnen, die auch anwesend waren, ist ja eine sehr große. Mich haben diese Musiker und Musikerinnen damals unglaublich fasziniert – ihre Spielweise, auch ihre Spielfreude und ihre Virtuosität. Das hat mich alles sehr inspiriert. Dann habe ich gedacht, mein Gott, das würde ich gerne auch machen.

Ein bisschen gab es auch damals natürlich diese Vergleiche: Knopf oder Taste – was ist besser? Letzten Endes sage ich heute, entscheidet der Musiker am Instrument dahinter, was von rauskommt. Aber damals hat mich das einfach wahnsinnig fasziniert und dann habe ich so gedacht, ich wage es einfach.

Ein Aspekt war vielleicht auch noch, das eine finnische Freundin mir angeboten hat, ihre Pigini zu bekommen. Das war für mich natürlich damals eine Aussage! Wow, wir hatten ja damals diese Instrumente aus Klingenthal – die Weltmeister-Akkordeons und eine Pigini, das war etwas Unglaubliches, für uns Unerreichbares. Das war vielleicht auch noch mit so einem Ausgangspunkt.

Christofer Hameister:
Also quasi vom Audi zum Ferrari gewechselt…

Claudia Buder:
Ja, es ist die Frage, wie man das vergleicht. (lacht) Im Nachhinein es gibt ja oft immer diese Umstiegsgeschichten. Es ist natürlich schon gewagt gewesen vom Alter her gesehen – ich war damals 18 Jahre alt – eigentlich viel zu spät. Ich würde es heute in diesem Alter keinem mehr ans Herz legen, aber ich war damals einfach fasziniert von dieser Idee und deswegen habe ich es einfach gemacht.

Christofer Hameister:
Was spricht jetzt für die Wahl von Knopf auf beiden Seiten?

Claudia Buder:
Es gibt diesen berühmten Satz von Immanuel Kant: „Die Hand ist das äußere Gehirn des Menschen“. Im Alter von fünf bis zehn Jahren ist eben gerade diese manuelle Beschäftigung prägend für die Entwicklung des Gehirns. In dieser Anfangszeit gibt es wirklich eine besondere Bedeutung, und wenn ich in der rechten wie in der linken Hand mit gleichen Systemen arbeite, dann kann ich einfach eine unglaublich gute Entwicklung fördern und auch eine Entwicklung des Hörens fördern. Das finde ich einfach unglaublich wertvoll für die junge Generation. Das ist für mich aus heutiger Sicht ein Hauptargument – diese Bewegungsfreudigkeit in beiden Manualen gleichermaßen.

Christofer Hameister:
Frau Bruder, wir haben jetzt viel über das Akkordeon geredet. Wir machen eine Schnellfragerunde, damit wir Sie noch besser kennenlernen. Ich bitte um kurze Antworten:

Weimar ist für mich…
…eine poetische Stadt.

Goethe oder Schiller?
Schiller ist manchmal unterbelichtet. Schiller. Schiller. Schiller!

Liszt oder Bach?
Liszt oder Bach? Hm, Bach müsste doch „Meer“ heißen und natürlich haben wir eine Verantwortung mit unserer Musikhochschule, aber in jedem Falle wäre es bei mir doch erst mal Zeit, ins Meer zu gehen.

Wenn ich alleine im Auto fahre, höre ich…
…Deutschlandradio. Manchmal fahre ich zu schnell, um Musik gut zu hören. Der Pegel ist dann einfach zu hoch. Deswegen nutze ich die Autofahrt zur Information.

Ihr größtes Glück?
Im Leben zu sein.

Was würden Sie im Leben noch mal anders machen?
Ich versuche immer mein Bestes und daher denke ich, der Weg, den ich gegangen bin, ist der wie ich halt bin. Vielleicht gibt es noch mal eine andere Chance, aber ich weiß gar nicht, ob ich noch irgendetwas anderes machen würde. Ich übe halt immer. Das ist das Prinzip.

Welchen Job würden Sie an der Hochschule gerne mal machen?
Welchen Job an der Hochschule? (lacht)

Präsidentin?
Oh, das ist eine große Verantwortung und auch mit viel administrativer Arbeit verbunden. Das erlebe ich jetzt, wo ich sozusagen in einer Festanstellung bin. Ich habe ja vorher freiberuflich gearbeitet und deswegen ist es wirklich eine große Verantwortung. Es hat beides große Vorzüge – zum einen frei zu sein in der Arbeit, Freiberufler zu sein und zum anderen natürlich aber auch die Verantwortung zu haben. Also Präsidentin, ich glaube, da kann noch etwas Reife hinzukommen.

Dann fragen wir in ein paar Jahren noch mal nach…

Christofer Hameister:
Unsere Podcast -Folge mit Ihnen trägt den Titel „Musik und Bewegung“. Jetzt haben wir uns nur im Bereich der Musik bewegt, aber was vielleicht einige nicht wissen: Bei Ihnen spielt Bewegung eine zentrale Rolle in ihrem Leben. Sie betreiben nämlich Aikidō. Was ist das?

Claudia Buder:
Aikidō kommt aus dem Japanischen und setzt sich aus drei Silben zusammen: ai, ki und dō. Dō ist „der Weg“, ki wird übersetzt mit „Lebensenergie“ und ai bedeutet „Harmonie“. So können wir also zusammenfassen: Aikidō ist der Weg, die Lebensenergie in Harmonie zu bringen. Auf die Kampfkunst bezogen, bedeutet dies, dass ich einem Angriff in erster Linie keinen Block entgegensetze, sondern ich versuche die Bewegung des Angriffes aufzunehmen, um daraus etwas zu entwickeln, was den Angriff im Sinne von Sieg und Niederlage auflöst.

Christofer Hameister:
Das habe ich jetzt alles verstanden, aber warum betreiben Sie das? Vor wem oder was müssen Sie sich schützen?

Claudia Buder:
In erster Linie war mein Gedanke kein Schutzgedanke, sondern ich habe es einfach gesehen und mich schlichtweg beim ersten Betrachten in diese Kampfkunst verliebt. Das war’s. Ich war einfach begeistert von dieser Art der Bewegung. Das war wirklich Liebe auf den ersten Blick. Ich konnte nicht anders, ich musste das einfach machen. Ich habe dabei in gar keiner Linie an irgendeinen Schutz gedacht.

Christofer Hameister:
Jetzt ist es natürlich etwas schade, dass wir das nicht sehen können, aber Sie können es ja beschreiben, um uns alle mitzunehmen. Wie kann man sich das vorstellen?

Claudia Buder:
Also, es kommt zack ein Faustschlag in die Magengrube! Die Kunst besteht darin, rechtzeitig auszuweichen und bei diesem Ausweichen eben nicht zu fliehen, sondern vielleicht sogar genau in die Höhle des Löwen hineinzugehen. Das heißt, man bewegt sich genau in die Richtung aus der der Angriff kommt und nimmt dabei den Angriff auf. Das würde bedeuten, ausweichend den Griff aufnehmen und zu einer anderen Bewegung führen.

Vielleicht ist es ein gewagtes Beispiel, denn wir wissen, Faustschlägen können sehr schnell sein. Wir trainieren natürlich auch diese Aufmerksamkeit der Wahrnehmung und letzten Endes ist dann sogar das Ziel, dass es gar nicht zum Angriff kommt.

Christofer Hameister:
Wie oft betreiben Sie das?

Claudia Buder:
Ich trainiere zweimal wöchentlich. Wenn ich noch mehr Zeit hätte, würde ich vielleicht noch mehr machen. In einem japanischen Dojo wird traditionell jeden Tag Training angeboten, und alle, die das professionell machen, trainieren auch mehrere Stunden am Tag. Und wir sehen das auch bei den Shaolin-Mönchen: Die trainieren Jahrzehnte acht Stunden täglich. Da ist es nicht verwunderlich, wenn man die Fähigkeit besitzt, eine Nadel durch das Glas zu werfen.

Christofer Hameister:
Was ich noch nicht ganz verstanden habe: Man spricht von Kampfkunst, aber jetzt lese ich, es ist wenig Kampf und mehr Kunst…

Claudia Buder:
Sagen wir es so: Diese Kampfkunst soll kampfwirksam sein. Wenn sie nicht kampfwirksam ist, dann befinden wir uns wirklich im Bereich der Kunst. Aber ausgehend von der alten Samurai-Tradition geht es wirklich darum, dass das, was ich ausübe auch eine Wirkung hat. In diesem Sinne ist es eben nicht nur Kunst. Aber ich gebe zu, man kann natürlich trefflich darüber debattieren, ab wann etwas wirksam ist.

Ich weiß auch, dass es im Aikido wirklich unterschiedlichste Stilistiken gibt, so unterschiedlich wie halt eben die Menschen sind. Das heißt, es gibt Aikidō-Formen, in denen man fast ohne Kontakt übt, wirklich versucht, mit mentaler Bewegung zu trainieren. Das nennt man dann Ki- Aikidō. Ich kenne aber genauso gut Aikidō-Ausübende, die wirklich in Richtung Judo mit ganz klaren Schritten, ganz klaren Techniken und Griffen üben. Also, es ist einfach alles möglich. Es gibt eine große Palette so groß wie die Palette der Menschen.

Christofer Hameister:
Aber Wettbewerbe oder Ähnliches gibt es nicht.

Claudia Buder:
Das ist eben das Schöne. Es gibt beim Aikidō keinen Wettbewerb, weil es zur Grundphilosophie gehört, dass es keinen Sieger und keinen Verlierer geben sollte. Ich finde das spannend. Es gibt eine tiefe philosophische Dimension auch hinter den Techniken der Kampfkunst. Es geht eben darum, diesen Teufelskreislauf zu durchbrechen – nicht „Ja, ich hab dich jetzt besiegt. Du liegst am Boden Ich bin oben.“ Sondern es geht darum, eine Situation zu schaffen, in der alle sich weiterentwickeln können, aber natürlich eine Situation, in der ich die Situation auch bewältige.

Christofer Hameister:
Aktuell bewältigen sie die Situation an der Hochschule als Direktorin des Instituts für Neue Musik und Jazz. Das klingt nach sehr viel Administrativem und wenig Musik. Ist das Fluch und Segen zugleich?

Claudia Buder:
Ja, vielleicht sind es die zwei Seiten einer Medaille. Ich denke, es ist für uns ein großes Privileg, dass wir demokratisch agieren können. Demokratie bringt eben auch Herausforderungen mit sich, alle Stimmen zu hören, Meinungen mit einfließen zu lassen, gemeinsam zu gestalten. Vielleicht wäre Demokratie in der heutigen Zeit einfach zu gestalten, wenn das nötige Maß an Vertrauen auch dabei ist. Aber ich sehe natürlich die Herausforderung, alle Stimmen mitzunehmen und gemeinsam zu gestalten.

Wie kann das möglich sein? Das ist eben dann möglich, wenn wir uns die Zeit dafür nehmen und auch Zeit dafür nehmen müssen, andere zu hören. Somit würde ich sagen, es ist auf der einen Seite ein Segen. Aber wenn wir die Notwendigkeit haben, bestimmte Entscheidungen durch unterschiedliche Gremien hindurchfließen zu lassen, dann kann es eben manchmal gefühlt ein Flug sein, weil es eben so ewig lang dauert und weil sich mit diesem Weg durch diese Gremien auch so viel Zeit und so viele Entscheidungen auch manchmal wandeln.

Christofer Hameister:
Wenn wir schon bei den Wünschen sind, blicken wir mal in die Zukunft. Vielleicht nicht die nächsten 150 Jahre, aber die nächsten 15. Was wünschen sie sich fürs Akkordeon?

Claudia Buder:
Ich wünsche mir, dass das Instrument sich weiterentwickelt und entfaltet und dies in der Gemeinschaft mit allen anderen Instrumenten. Das ist das Wertvolle. Ich glaube, dass das Akkordeon ein wunderbares Instrument im Ensemble ist. Es ist quasi unser Chamäleon, was so viele Farben hat, so viele Farbenstärken annehmen kann. Deshalb wünsche ich mir, dass wir gemeinsam die Musik weiterentwickeln. Darin sehe ich einen großen Reichtum für das Instrument. Das Instrument hat eine wunderbare Farbe und kann die Zukunft der Musik mitgestalten.

Christofer Hameister:
Möge auch die Zukunft des Akkordeons in Weimar weitergestaltet werden. Liebe Claudia Buder, vielen, vielen Dank für dieses reizvolle Gespräch!

Claudia Buder:
Ich bedanke mich genauso und alles Gute!

Der Moderator

Christofer Hameister studierte an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar Schulmusik und absolvierte bei Antenne Thüringen in Weimar sein journalistisches Volontariat. Seit 2019 moderiert er für den Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb) im Hörfunk und Fernsehen verschiedene Sendungen.

www.christofer-hameister.de