Johann Cilenšek: Konzertstück für Flöte und Orchester (1979)

Es war das Jahr 1933, welches der deutschen Geschichte eine Wendung verlieh. Hitler wurde zum Reichskanzler gewählt, die NSDAP zur führenden Partei ernannt und läutete ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte ein. Im selben Jahr vollendete ein junger Mann mit außergewöhnlichem musikalischem Talent seinen schulischen Werdegang mit dem Abitur, sein Name war Johann Cilenšek, späterer Professor für Komposition, sowie Rektor der Hochschule für Musik in Weimar. 

Entgegen seiner frühen musikalischen Schaffenszeit während seines Studiums, welche sehr vom Stile Johann Sebastian Bachs geprägt war, beginnt Cilenšek in Form seiner ersten Sinfonie 1954 neue Elemente aus verschiedenen Stilistiken einzubauen. Somit erfolgt ein Wandel von einer zwar makellos, aber „merkwürdig befangenen und „‚unjugendlich‘“1  wirkenden Satztechnik im Bachstil, hin zu einer mit neuen Elementen und neuen Satzregeln angereicherten Stilistik, welche nie vollendet war, sondern immer nach neuen Elementen suchte und sich stets weiterentwickelte.2 Eine Steigerung der Aussagekraft und des musikalischen Ausdrucks, sowie die Suche nach neuen Elementen waren nun die neuen Richtlinien in seinen Kompositionen. Diese Entwicklung sollte sich nun für den Rest seiner Werke fortführen und ist in seinem Konzertstück für Flöte und Orchester aus dem Jahr 1979 deutlich sichtbar.

Bereits beim Betrachten der Partitur wird die Intention nach einer gesteigerten Aussagekraft und der Suche nach neuen Elementen ersichtlich. Akribisch genaue Angaben bezüglich der Dynamik und Artikulation sind zu erkennen. Hinzu kommen neue, modern wirkende Elemente, wie beispielsweise das Spielen von Tönen auf Vierteltonhöhe. Aleatorische Elemente werden in den Noten festgehalten, sowie Prestissimo-Passagen, welche fest in Notenwerte mit eingegliedert werden, anstatt sie als Spielanweisung zu notieren (vgl. Anhang 1).

Auch klanglich wird ein gesteigerter Ausdruck direkt hörbar. Auf ein tonales Zentrum wird verzichtet, stattdessen werden spannungsvolle, dissonante Klänge für eine eigene Charakteristik eingesetzt. Ein großer Ambitus, extreme Lagen und die Virtuosität in der Solostimme erzeugen ein Gefühl von Spannung und Rastlosigkeit. Schlussendlich bringt es Werner Felix passend auf den Punkt:

"Die meisten Werke Cilenšeks stellen an den Hörer große Anforderungen. Sie verlangen eine starke Konzentration. Wer sich von Musik nur unterhalten lassen will, wird bei den Werken Cilenšeks nicht auf seine Kosten kommen. In seinen Kompositionen ringt er um eine Aussage, die über das bloße Bedürfnis nach Unterhaltung hinausgeht [...]."3

In diesem Werk wird die Aussage des Komponisten in zwei Sätzen verkörpert, welche auf rhythmischer und klanglicher Ebene „miteinander korrespondieren und damit dem Werk einen einheitlichen Charakter verleihen.“Beim 1. Satz handelt es sich formal um einen langsamen Satz im Adagietto-Bereich, wobei viele kleingliedrige Passagen auf 16tel-Ebene das vorgegebene Tempo verschleiern, ein klares Metrum verhüllen und eine meditative Charakteristik erzeugen. Fast nahtlos geht der 1. in den 2. Satz über, welcher zunächst mit einem neuen Thema und einer neuen Charakteristik beginnt. Ein hohes Tempo und ein klares Metrum ersetzen nun die Klangflächencharakteristik des ersten Satzes, auch die Artikulation verfeinert sich. Staccato-Passagen mit erhöhter Virtuosität lösen nun die melodischen Phrasen des ersten Satzes ab und erzeugen einen tänzerischen, spielerischen Charakter.

In beiden Sätzen ist zu sehen, „daß sich Johann Cilenšek voll und ganz auf das Klangphänomen der Querflöte eingestellt hat.“5 Sowohl aus technischer als auch aus klanglicher Sicht wurde die Stimme so komponiert, dass die Vorteile und Besonderheiten der Querflöte besonders herausstechen. Technisch virtuose Elemente, geprägt durch „akkordische Umspielungen, Trillerketten, Vierteltonverschiebungen nach oben und unten, Flageolettverdopplungen, Prestissimoläufe, Vorschläge und Tonrepititionen“,6 lassen sich rein spieltechnisch auf der Querflöte sehr gut umsetzen und ermöglichen rasche Passagen, welche dennoch kontrapunktischen Regeln unterliegen.7 Im Kontrast dazu stehen lang gehaltene Phrasen, welche einen fast meditativen Charakter bewirken und „an (eine) orientalische Musikpraxis erinnernde Farbigkeit“8 erzeugen (vgl. Anhang 2). Resultat dessen ist ein abwechslungsreicher, hochvirtuoser Gestus, welchem stets eine Spannungsentwicklung unterliegt, oder wie Eberhard Kneipel es formulieren würde:

Das Konzertieren zielt hier nicht auf bravouröse Schaustellung technischer Fertigkeiten des Solisten (obgleich sie durchaus gefordert sind), sondern meint ein phantasievoll-freies Spiel […].9

Dieses phantasievoll-freie Spiel der Flöte liefert jedoch nur einen Baustein für das charakterliche Gesamtmosaik des Werkes. Ergänzt wird es durch das Orchester.

Dieses hat eine eher begleitende Funktion in Form von Klangflächen, welche jedoch nicht von statischer Natur sind, sondern sich fortspinnen und somit „Lyrik, Besinnung, […] und Farbe“10 erzeugen. Durch die Zunahme von Dissonanzen und Steigerungen in der Dynamik kann das Orchester zudem für Spannungsverläufe sorgen, ohne dem Solisten den Raum für die freie Entfaltung zu nehmen. 

Im Kontrast dazu sorgen „eruptive Klangballungen“11 und rhythmische Aktivierungen des Orchesters für plötzliche Belebungen des musikalischen Verlaufs. Dem Orchester ergibt sich somit die Möglichkeit, mit sukzessiven Einsätzen verschiedener Instrumentengruppen in den Vordergrund zu treten und die musikalische Führung im Werk zu übernehmen. In einigen Passagen ergibt sich eine Art Rivalität zwischen der Flöte und dem Orchester. Hans Lehmann fasst das musikalische Gesamtgeschehen passend zusammen:

Hier spricht ein Komponist zu uns, der mit der Weisheit des Alters das Fegefeuer neuer Ausdrucksmittel durchschaut und alles so einsetzt, daß Eruptives noch durchhörbar bleibt und immer das Klangliche eine bestimmte Rolle spielt.12

Johann Cilenšek: Konzertstück für Flöte und Orchester (1979)


1 Dieter Zechlin, „Johann Cilenšek – Skizze zu einem Porträt", in: Schriftenreihe der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, Heft 2/1, hg. von Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, Erfurt 1983, S.7 – 12, hier: S. 8.
2 Vgl. Ruth Hardt, Thüringer Landesmusikarchiv: 4.Sinfoniekonzert des philharmonischen Orchesters Erfurt, Erfurt 1983.
3 Werner Felix, „Johann Cilenšek", in: Aus dem Leben und Schaffen unserer Komponisten, hg. Von Annina Hartung, Bad Langensalza 1969, S. 95 – 98, hier: S. 98.
4 Gerhard Schmidt, Thüringer Landesmusikarchiv: „Johann Cilenšek: Konzertstück für Flöte und Orchester“, in: Werkanalysen, Heft 1, hg. von Bezirksverband Erfurt/Suhl, Erfurt, S. 9 – ¬13, hier: S. 9.
5 Gerhard Schmidt, Thüringer Landesmusikarchiv: „Johann Cilenšek: Konzertstück für Flöte und Orchester“, in: Werkanalysen, Heft 1, hg. von Bezirksverband Erfurt/Suhl, Erfurt, S. 9 ¬– 13, hier: S. 12.​​​​​​​
6 Ebd, hier: S. 12.​​​​​​​
7 Vgl. Michael Dasche, Thüringer Landesmusikarchiv: DDR Musikträger¬ Sinfoniekonzert, 1980.​​​​​​​
8 Gerhard Schmidt, Thüringer Landesmusikarchiv: „Johann Cilenšek: Konzertstück für Flöte und Orchester“, in:   Werkanalysen, Heft 1, hg. von Bezirksverband Erfurt/Suhl, Erfurt, S. 9 ¬– 13, hier: S. 12.
 Eberhard Kneipel, Thüringer Landesmusikarchiv: Programmheft, Jena 1979/80.
10 Ebd.
11 Michael Dasche, Thüringer Landesmusikarchiv: DDR Musikträger¬ Sinfoniekonzert, 1980.
12 Hans Lehmann, Thüringer Landesmusikarchiv: „Kein konventionelles Programm“, in: Thüringer   Landeszeitung, 3.5.1980.