Nationalsozialismus: Quellen, Vorläufer, Ideologie, Organisationsformen, Gründe des Erfolgs
Zwei Lieder:
„Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, ein beliebtes Lied der linken Arbeiterschaft, gilt heute noch als inoffizielle Hymne der SPD. Das Lied ist auf der Basis eines alten russischen Revolutionsliedes entstanden:
→ Lied auf YouTube
„Brüder in Zechen und Gruben“ war eines der bekanntesten Lieder der NS-Bewegung, der Text mit antisemitischen Passagen wurde 1927 mit derselben Melodie kombiniert:
→ Lied zum Anhören (mp3)
→ Liedtext im Volksliederarchiv
Wie kann es sein, dass der gleiche Revolutionsgestus, die gleiche Ästhetik und der gleiche Marschrhythmus sowohl für die linke Arbeiterbewegung als auch für die NS-Bewegung passte und dass das Lied zur selben Zeit innerhalb dieser beiden Bewegungen gleichermaßen populär war?
Es sind bald 75 Jahre, seitdem die NSDAP verboten und aufgelöst wurde. Von den damals 11 % der deutschen Bevölkerung, die Mitglieder dieser Partei waren, ist heute nur noch eine Handvoll am Leben. Der Bezug auf den NS ist dennoch allgewärtig im heutigen gesellschaftlichen Diskurs und wird eher immer stärker. Auf der anderen Seite sind die Vorstellungen davon, was der NS war und wofür die NS-ideologie stand, bei den meisten Menschen nur noch sehr diffus. Der NS wird daher oft als Mythos behandelt und der Begriff beliebig benutzt.
Problem der Begrifflichkeit: Bereits seit den 1920er Jahren im kommunistischen Milieu und später in der DDR wurden die Begriffe Faschismus bzw. Antifaschismus benutzt, der Begriff „NS“ wurde gemieden. 1932 wurde die Bezeichnung „NS“ in der Sowjetunion sogar verboten, um keine Assoziationen mit dem Sozialismus zu wecken. Die offensichtlichen Gemeinsamkeiten und Parallelen zwischen dem NS-Regime und der sowjetischen Diktatur sowie die sozialistische Ausrichtung der NS-Ideologie sollten verdeckt werden. Die Nationalsozialisten selbst haben sich weder als Nazis noch als Faschisten bezeichnet.
Linke und rechte Politik.
Der Idee der NSDAP entsprechend sind wir die deutsche Linke. Nichts ist uns verhasster als der rechtsstehende nationale Besitzbürgerblock.
(Joseph Goebbels, in: Der Angriff, Gauzeitung der Berliner NSDAP, 6.12.1931, zit. nach Wolfgang Venohr: Dokumente Deutschen Daseins: 500 Jahre deutsche Nationalgeschichte 1445-1945, Athenäum Verlag, 1980, S. 291)
Europäische Ideologien sind ab Ende des 18. Jh. als Ersatz für ein christlich-religiöses Weltbild entstanden. Fortschreitende Säkularisierung bedeutete den Verlust der geistigen Sicherheit. Die Ideologien bieten den Halt und eine umfassende Erklärung der Welt. Jede Ideologie ist so gesehen ein Ersatz für Religion: Sie basiert auf Glaubensgrundsätzen, die nicht hinterfragt werden dürfen. Viele solcher Ideologien vermitteln ein negatives Bild der Gegenwart und ein utopisches Bild einer perfekten, idealen Zukunftsgesellschaft, das als Ziel der Bewegung fungiert und als eine Art Erlösung dargestellt wird. Motive der Heil- und Erlösungsideologien: eine drohende Apokalypse, Schuld und Opfer, „Naturzustand“ als idealisiertes Bild des verlorenen Paradieses, die Gestalt des Heilands oder Propheten.
Die christlichen Denkmuster und Denkfiguren – wie etwa die Trennung der Welt in das Gute und das Böse – werden übernommen und mit anderen Inhalten gefüllt.
Wenn Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. Das ist die Chance der Propheten – und sie kommen in Scharen.
(Keith Gilbert Chesterton, englischer Schriftsteller, 1874–1936)
Solche Bewegungen sind in der Regel antidemokratisch – ihrer Meinung nach sei die Demokratie zu richtigen und wirksamen Lösungen nicht in der Lage, um die Gesellschaft vor den drohenden Gefahren zu schützen. Es wird für radikale autoritäre Lösungen geworben.
Die NS-Ideologie ist eklektisch, ihre sämtlichen Bestandteile waren bereits vorher im deutschen und europäischen geistigen Leben – speziell in sozialistischen Strömungen des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts – präsent und mehr oder weniger stark verwurzelt. Keine dieser Ideen ist außerdem nach 1945 spurlos verschwunden.
Literatur
- Markus Albert Diehl: Von der Marktwirtschaft zur nationalsozialistischen Kriegswirtschaft. Die Transformation der deutschen Wirtschaftsordnung 1933–1945, Stuttgart 2005
- Götz Aly: Hitlers Volkstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main, 2005
- Götz Aly: Warum die Deutschen, warum die Juden, Frankfurt am Main, 2012
- Götz Aly: Volk ohne Mitte. Die Deutschen zwischen Freiheitsangst und Kollektivismus, Frankfurt am Main 2015