Jörg Brückner

war Student in der Hornklasse von Prof. Rainer Heimbuch und Prof. Karl Biehlig (1989–1992). Er war Solohornist der Dresdner Philharmonie und der Münchner Philharmoniker. Seit 2006 ist Jörg Brückner Professor für Horn in Weimar.


"Es gab einmal an unserer Hochschule einen Raum, einen Ort, der war das sogenannte Herz dieser Hochschule. Dieses Herz lag nicht im 1. Stock und war das Rektorat, hier war immer der Verstand der Hochschule in seiner zeitlich und politisch angepassten Form.
 

Das Herz, welches ich meine, hatte den Namen "Bärbel und Gerd" und war ein relativ kleiner Raum im Erdgeschoß, kurz vor dem hinteren Treppenhaus am Platz der Demokratie. Es war die Kantine im Hauptgebäude.


Hier traf die junge Sängerin auf den alten Professor, Streicher gründeten hier ein neues Quartett, die Blechbläser besprachen die nächsten Muggen. Der Tenor suchte seine verloren gegangene Stimme, es wurden musikalische Projekte geplant, Tränen getrocknet und der Unterricht mit dem Hauptfachlehrer ausgewertet.


Hier begegnete sich das politisch ungeliebte Original Wolf-Günter Leidel mit dem wirklich ungeliebten Parteisekretär der Hochschule bei einem Kaffee. Nicht in Freundschaft, aber in stiller Duldung.
 

Der Duft dieses Raumes war durchzogen von Kaffee, belegten Brötchen und Tabakrauch. Ein ganz kleiner Ort von Freiheit und von unglaublicher Güte, geführt und geleitet von Bärbel und Gerd.


Bärbel war die Betreiberin der Kantine. Ein Thüringer Original, das Herz immer am rechten Fleck und die eigene Meinung auf der Zunge, geradeheraus, egal ob sie einen Professor oder einen Studenten darauf hinweisen musste, dass sie ihre leeren Tassen und Teller wegräumen müssten oder dass die Tränen auf dem Weg zur musikalischen Meisterprüfung dazugehören wie das Lachen zum Erfolg. Für uns Studenten war sie wie eine Mutter. Wir waren 17-22 Jahre alt, fast noch Kinder und dankbar für Bärbels Liebe und Verständnis.
 

Dieser Raum atmete, lebte und diskutierte Hochschulleben.
 

Heute gibt es diesen kleinen Raum immer noch.
Aber aus dem Wort Kantine ist das Wort "Aufenthaltsraum" geworden.
Er ist kalt, die Atmosphäre ist entschwunden – ein Zeichen der neuen Zeit?
 

Bärbel und Gerd wurden durch pflegeleichte Blechboxen ersetzt. Aus der Blechbox "Gerd" kommt heute schlechter Kaffee oder eine Art Tomatensuppe heraus und die Blechbox "Bärbel" verkauft heute Süßigkeiten, für die man sich nicht nur aus gesundheitlichen Fragen schämen sollte, dass sie den Studenten zum Kauf angeboten werden.
 

Wo ist dieser wunderbare Ort geblieben?
Brauchen wir heute solche Orte nicht mehr oder gehört diese Form der Kommunikation nicht mehr in unsere heutige Zeit?
 

In froher, wenn auch etwas sentimentaler Erinnerung denke ich gerne an die zwei wunderbaren Menschen Bärbel und Gerd, einen geschützten Raum, ein Treffpunk und die vielen wunderbaren Gespräche, Planungen, Gründungen und Träume, die immer noch in diesem Raum zu finden sind, zurück.
 

Nach diesen wunderbaren Aufenthalten bei Bärbel und Gerd gingen wir wieder in unseren 3. Stock, warteten auf einen Raum zum Üben, und wenn kein Raum frei war, übten wir einfach zusammen auf einer Bank im Flur. Wir träumten von einer Orchesterstelle in einem sogenannten Reiseorchester, mit dem wir vielleicht einmal in die weite Welt ohne Mauer reisen konnten.


Oder wir saßen an so vielen Tagen bei Prof. Karl Biehlig und Prof. Rainer Heimbuch im Unterricht, hörten den Kommilitonen zu und kopierten dabei Noten mit der Hand, denn Kopiergeräte gab es ja noch nicht.
 

Es war eine etwas langsamere Zeit, die uns erlaubt hat, uns zu entwickeln, zu träumen und auch hart zu arbeiten, in der es Zeit und Räume zum Miteinandersein gab.
 

In großer Dankbarkeit an meine Professoren Prof. Rainer Heimbuch, Prof. Karl Biehlig, Prof. Sonja Peters – aber eben auch an Bärbel und Gerd."