Michael Obst: Songbook I

Michael Obst wurde am 30. November 1955 in Mainz geboren. Dort studierte er zwischen 1973 und 1978 Schulmusik. 1977 begann er sein Klavierstudium bei Alfons und Aloys Kontarsky an der Musikhochschule in Köln. 1982 legte er sein Konzertexamen ab. Von Hans Ulrich Humpert, der als einer der Vorreiter der elektronischen Musik gilt und zusammen mit Herbert Eimert das Lexikon der elektronischen Musik verfasste, wurde Michael Obst von 1979 bis 1986 im Fach Kompositionsstudien im Studio für elektronische Musik des WDR unterwiesen.

Michael Obst war einer der ersten Mitglieder des Ensemble Modern, das z.B. mit Karlheinz Stockhausen, Steve Reich und Frank Zappa zusammenarbeitete. In einer Zeitspanne von einer Dekade (1981 bis 1991) wirkte Obst in diesem Ensemble als Pianist mit. Von 1986 bis 1989 arbeitete er unabhängig vom Ensemble als Pianist mit Stockhausen zusammen. Ab 1997 bis 2021 hatte Michael Obst die Professur für Komposition an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar inne. Zwischenzeitlich wirkte er von 2010 bis 2013 als Gastprofessor für Komposition an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Das musikalische Spektrum Obsts umfasst jegliche Art von Musik wie z.B. Orchestermusik, Kammermusik, Elektronische Musik - beispielsweise Espaces Sonores, das im Studio für elektroakustische Musik Weimar(SeaM) am 30. Oktober 2005 uraufgeführt wurde -, Musiktheater, Opern und Filmmusik, letztere beispielsweise zu Nosferatu.

Des Weiteren ist Michael Obst vielen Einladungen zu renommierten Studios für elektronische Musik auf der ganzen Welt gefolgt. Darunter waren u. a. das Institut de recherche et coordination acoustique/musique (Ircam) in Paris, das Elektronmusikstudion (EMS) in Stockholm oder das Studio am Institute for Psychoacoustics and Electronic Music (IPEM) in Gent. Weitere Hinweise sind der Homepage von Michael Obst zu entnehmen.

Songbook I für Vokalensemble und Orchester besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil wurde am 23. Juni 2022 in der Weimarhalle in Weimar uraufgeführt, gesungen und gespielt von dem Kammerchor und dem Orchester der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar, dirigiert von Nicolás Pasquet.

Die Premiere von Songbook II stand damals noch aus. Allerdings kann der zweite Teil nur zusammen mit dem ersten aufgeführt werden. Der erste kann jedoch - wie bereits geschehen - einzeln aufgeführt werden.1

Das Vokalensemble besteht aus jeweils drei Sopran-, Mezzosopran-, Alt-, Tenor-, Bariton- und Bassstimmen oder nur jeweils eine Stimme jeder Lage. 

Das Stück ist in sechs Abschnitte unterteilt:

  1. Hoffnung
  2. Im Hafen
  3. Im roten Salon
  4. Unter dem Mond
  5. Testament
  6. Jänner


Für jeden dieser Abschnitte gibt es ein Gedicht aus dem Zyklus Die Geschichte der Inquisition von innen, geschrieben von Hermann Schneider. Mit ihm hat Obst auch in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet, so z. B. bei der Oper Unter dem Gletscher, die auch im Jahr 2022 uraufgeführt wurde, für die Schneider das Libretto schrieb. 

Obst selbst faszinierten die Gedichte Schneiders bereits beim erstmaligen Lesen. Das sprachliche Geschick - sowohl die Genauigkeit des Ausdrucks als auch die „[…] manchmal fast schon schmerzlich treffenden Formulierungen […]“2 - seien für ihn das, was die Gedichte ausmache. Auch bewegen sie sich im Raum der Ambivalenz; das Spiel zwischen Ein- und Mehrdeutigkeit, das breite Spektrum des Inhalts, das zwischen Satire und Politik liege, lasse viel Raum zur Deutung, da sich hinter einer vermeintlichen klaren Aussage eine weitere Schicht des Sinnes verbergen könne.3

Dies ist laut Obst auch essenziell für die Komposition des Stückes gewesen:

So unterschiedlich die Gedichte sind, so unterschiedlich sind die einzelnen Musikstücke in Songbook.4

Für Obst steht im Vordergrund des Werkes die Verschmelzung des Chores und des Orchesters:

Es handelt sich ganz bewusst nicht um ein gängiges Chorwerk mit begleitendem Orchester. Vielmehr werden die Stimmen mit ihren verschiedensten Klangfarben, die von Geräuschen, Vokalisen, Sprechpartien bis hin zu choralartigen Abschnitten reichen, in einen orchestralen Gesamtzusammenhang gestellt. Folgerichtig sind die Sängerinnen und Sänger im Orchester verteilt positioniert. Ziel ist dabei eine klangliche Einheit, aus der die Gedichte auf unterschiedliche Weise plastisch hervortreten.5

Wie der Titel des Werkes suggeriert, handelt es sich bei Songbook I um eine Sammlung an verschiedenen Songs bzw. Stücken, die zum einen sehr unterschiedlich sind und zum anderen jedoch in ihrer Essenz etwas teilen, so dass das musikalische Konzept des Gesamtzusammenhangs innerhalb der Stücke auch auf das gesamte Opus angewendet werden könnte. Das heißt, das gesamte ‚Liederbuch’ wird getragen durch eine den Teilen zugrundeliegende Substanz, die sie vereint, obwohl sie derart verschieden sind.

Wesentlich für das Stück ist zudem das Spiel mit Form und Zeit. Wie im folgenden Notenbeispiel6 zu sehen, wird an vielen Stellen die Taktart verändert, was dazu beiträgt, dass Dehnungen und Verkürzungen zu den sich ständig wandelnden Klangcharakteren beitragen:

Es ist ein Stück, das sich im Bereich einer freien Tonalität und Atonalität mit Zentraltönen bewegt. Es werden Klangsphären geschaffen, die fließend ineinander übergehen und eine stetige Wechselwirkung zwischen Einzelnem und Ganzem erzeugen.

Vicente Jiménez Liebscher / Albrecht v. Massow
 

Michael Obst: Songbook I | Konzertmitschnitt vom 23. Juni 2022 in der Weimarhalle

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1 Homepage Michael Obst, Songbook, abgerufen am 1.8.2023

2 Homepage Michael Obst u. Programmheft des Festkonzerts I zum 150. Geburtstag der Hochschule für Musik FRANZ LISZT am 23. Juni 2022.

3 Ebenda.

4 Ebenda.

5 Ebenda.

6 Homepage Michael Obst, Songbook I (Verlag Neue Musik, Berlin), abgerufen am 1.8.2023.