Sergej Rachmaninov: Prélude op. 23, Nr. 2

Das zweite „Prélude“ aus dem Opus 23 Sergej Rachmaninovs gilt wohl als eines der monumentalsten „Préludes“ des Komponisten und der Musikgeschichte überhaupt. Auch bei diesem Opus scheint der Zyklus, den es zusammen mit dem berühmten Cis-Moll-Prélude und dem später entstandenen Opus 32 bilden sollte, zunächst nicht geplant. Die einzelnen „Préludes“ von Opus 23 haben eigenständigen Charakter, was auch an den getrennten Uraufführungen einzelner „Préludes“ vor der Fertigstellung des gesamten Opus im Jahr 1903 ersichtlich wird. Letzteres ist dadurch von einem Wechsel zwischen dramatischen, bis ins Orchestrale gesteigerten Akkordklängen und introvertierten, stillen Stimmungsbildern geprägt. Rachmaninov widmete es seinem Lehrer und einstmaligen Liszt-Schüler Alexander Siloti.

Das zweite „Prélude“ gehört, wie zuvor angedeutet, zu den pathetischen „Préludes“ und wurde bereits 1901 uraufgeführt. Es kann als eine bis ins Heroische übersteigerte Preisung der aufblühenden Lebenskräfte verstanden werden. Nachdem die linke Hand mit einer Bass-Oktave und tosenden Sechzehntel-Sextolen beginnt, setzt die rechte Hand ebenfalls im Oktavintervall ein und formt das abwärts strebende Hauptmotiv. Einmal mehr wird Rachmaninovs Verbundenheit zum Instrument in seinem eigenen, großgriffigen Klavierstil spürbar. Neben den hohen manuellen Anforderungen gilt es für den Interpreten, auch Lautstärke und Klang in einer sowohl kraftvollen, aber auch fließenden tour-de-force zu vereinen. Nach einem leidenschaftlichen und lebensbejahenden Energieausbruch geht das Tosen im Mittelteil eher in ein Rauschen über und die Lebensfreude weicht melancholischen Klangfacetten. Die Hände tauschen Rollen; während die rechte Hand rauschende Wogen spielt, wandert die Melodie in die linke Hand und erklingt in mittlerer Lage. Sie kann sich jedoch nicht lange halten und wird zunehmend von immer heftigeren Auf- und Abschwüngen und dynamischen Steigerungen verdrängt, die fulminant im Leitmotiv des Anfangs kulminieren. Mit enormer Kraft und Spannung scheint jeder Zweifel des Mittelteils endgültig überwunden.

Durch die Wiederholungen wird das Leitmotiv zunehmend von einer fanfarenartigen Rufintonation geprägt, was jedoch dem reichen und festlichen Charakter keinen Abbruch tut. Viel mehr erhält die einer frühlingshaften Erneuerung gleichende Stimmung dadurch einen Anstrich von Wagemut und Willensstärke. Erst nach einer wilden Kadenzierung wird die Grundtonart erreicht, auf der sich das Gefüge in virtuos perlenden Sechzehntelketten beruhigt. Ein letztes Mal bäumt es sich in reminisszenzartigen Hauptmotivfragmenten auf dem B-Dur-Akkord auf, bevor es endgültig zum Erliegen kommt.

Die vorliegende Tonaufnahme dieses Stückes entstand im Rahmen eines Konzerts der damaligen Professorin für Klavier Gunda Köhler-Scharlach zum Hochschuljubiläum 1972.

Lorenz Kestler