Johann Cilenšek: Mosaik für 13 Solostreicher

Die Klänge dieses Werkes reihen sich feingliedrig aneinander, mehr noch – sie scheinen gegenseitig auseinander hervorzugehen. Teilbilder einer Form bilden einander beantwortende Strukturen, ohne sich dafür einer allzu offensichtlich wirkenden Gegensätzlichkeit im Umgang mit musikalisch-kompositorischen Parametern bedienen zu müssen; also vielmehr ein gegenseitiges Sich-Verantworten als ein bloßes Sich-Beantworten gewesener und erklingender Elemente.

Vielleicht ist es diesem Komponieren zu verdanken, dass es gelingt, in dreizehneinhalb Minuten gemessener Zeit ein eindrückliches Abbild einer musikalisch-autonomen Definition des Phänomens der Zeit zu geben. Das Voranschreiten der Klänge scheint weniger einer linearen als vielmehr einer organisch-prozessualen Orientierung zu folgen – nach eigenen Gesetzen von Dynamik und Agogik.

Dem Erkenntnispotential über musikalisch-kompositorische Genialität ist im aufmerksamen Hinhören zu Cilenšeks Werk keine Grenze gesetzt und kann wahrscheinlich durch Heranziehen nicht-werkimmanenter Faktoren nicht übertroffen werden. Dies beachtend kann jedoch der Blick auf die Schaffensbedingungen des Komponisten das Bild um einige Facetten bereichern.

Johann Cilenšek also, der Komponist, der Pädagoge, die Persönlichkeit von musikalisch-künstlerischem Reichtum1, erlebte das bewegte 20. Jahrhundert in Sachsen und Thüringen2. Im Jahre 1998 in Erfurt verstorben – zehn Tage, nachdem er seinen 85. Geburtstag feierte – hinterlässt er ein musikalisches Werk, das ihn zu einem bedeutenden Künstler der Moderne macht. Heraus aus der westeuropäisch-tonal geprägten Tradition einer „bekenntnishaften Kompositionstheorie“3 im Studium bei Johann Nepomuk David und der späteren ideologischen Verpflichtung gegenüber dem Sozialistischen Realismus in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), entwickelte Cilenšek im Laufe seines Lebens eine Eigenständigkeit im künstlerischen Schaffen, die – gepaart mit eben jenem traditionell-disziplinierten Studium des Tonsatzes – ein innovatives musikalisches Werk hervorbrachte. Vielleicht sind es diese Stationen in der künstlerischen Entwicklung, die dem Komponisten dazu verhalfen, sein „großes Bewusstsein um Verantwortung in drei Richtungen [auszubilden], die sich als einheitliches Ganzes in ihm befinden: die Dialektik von Tradition, Gegenwart und Zukunft“4.

Es liegt in der Natur des Zeitgenössischen jeder Epoche, dass Tradition und Gegenwart nicht immer reibungslos einander gerecht werden können. Doch scheint es inmitten der immer breiter sich auffächernden Heterogenität des 20. Jahrhunderts, verbunden mit phasenweisen totalitären Machtansprüchen auch auf die kulturelle Entwicklung, gerade in jüngerer Geschichte immer wichtiger, „über das Professionelle hinaus große Bewusstheit und gedankliche Klarheit“5 zu entwickeln. Mit diesem Bewusstsein befand sich der Komponist in der lebenslangen schrittweisen Annäherung an die eigenen Wertmaßstäbe des Musikalisch-Künstlerischen, aus denen heraus er seine Werke gestaltete; und das in einer Konsequenz, die wie ein Bekenntnis an den Ernst der eigenen Kunstanschauung6 wirkt und vielleicht eine Verständnishilfe für den relativ kleinen Umfang des kompositorischen Werkes Cilenšeks bietet. Es besteht kein Zweifel, dass gerade dem quantitativ kleinen Maß die künstlerische Dichte zugrunde liegt, die dem gedichteten Wort im Verhältnis zum ausschweifenden Roman innewohnt.

Die intensive Auseinandersetzung mit Authentizität und Identität in seiner Kunstanschauung wirkt besonders verinnerlicht und charakterstark vor dem Hintergrund der Führungsposition, die er innerhalb der „Akademie der Künste“ (AdK) als stellvertretender Präsident innehatte. Neben der „Akademie der Wissenschaften“ und der „Akademie der Pädagogischen Wissenschaften war sie ein zentrales Organ der sozialistischen Regierung in der DDR, die in ihrem Bereich Strukturen für Parteilichkeit, Massentauglichkeit, Volksverbundenheit – im ideologischen Sinne – und, im Falle der „Akademie der Künste“, künstlerische Meisterschaft im Dienste des Sozialistischen Realismus herstellte und verteidigte. Innerhalb dieses von dem politischen Anspruch auf ideologische Gleichrichtung motivierten Konstruktes wahrte und stärkte Cilenšek seine Bewegungsfreiheit, die sicherlich nur dadurch möglich war, dass er „in den Bäumen weit oben saß“7, wie es Professor Huschke im Gespräch augenzwinkernd feststellt.

Wie bereits sein Lehrer David in Leipzig und dessen Lehrer Joseph Marx in Wien, hatte auch Johann Cilenšek das Amt des Präsidenten einer Hochschule inne – an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT in Weimar, damals unter dem Begriff des Rektors. In dieser Position wie auch als unterrichtender Pädagoge stand er „für hohe Meisterschaft, für künstlerische und menschliche Integrität“8 ein.

In dem Bewusstsein für die Komplexität und das dynamische Eigenleben der beschriebenen Aspekte will das Geschriebene kein Versprechen auf Lückenlosigkeit und Vollkommenheit abgeben, sondern vielmehr ein hochachtungsvolles Würdigen des „Mosaik für 13 Solostreicher“ vor dem Hintergrund des Hörerlebnisses sein. Ein Werk, das Gehör verdient, ein Künstler, der das Handwerk des Komponierens zu veredeln verstand – mit dem Fingerspitzengefühl eines Kunsthandwerks, wie es der junge Cilenšek aus der väterlichen Porzellanwerkstatt in der sorbischen Heimat mitnahm und im Laufe eines bewegten Lebens ausgestaltete.

Johanna von Bleichert


1 Vgl. Diethelm Müller-Nilsson, „Johann Cilenšek zum 70. Geburtstag“, in: „Schriftenreihe der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar Heft 2/1 Praxis-Lehre-Forschung“ 1983, S. 5. 
2 Näheres hierzu siehe auch: Albrecht von Massow, „Ein Leben in fünf deutschen Staaten. Der Komponist Johann Cilenšek“, in: Harro Kieser und Gerlinde Schlenker (Hrsg.), „Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 22“, Bonn 2015, S. 279–282.
3 Müller-Nilsson, „Johann Cilenšek zum 70. Geburtstag“ (wie Anm. 1), S. 5.
4 Ebd.
5 Dieter Zechlin, „Johann Cilenšek. Skizze zu einem Porträt“, in: Schriftenreihe der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar Heft 2/1 Praxis-Lehre-Forschung 1983, S. 11.
6 Ebd., S. 10.
7 Wolfram Huschke (Musikpädagoge und -wissenschaftler, 1993 bis 2001 Rektor der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar) im Gespräch, April 2021, Weimar.
8 Zechlin, „Johann Cilenšek. Skizze zu einem Porträt“ (wie Anm. 5), S. 12.