Franz Liszt: Études d‘exécution transcendante Nr. 8–10

Die drei im Festsaal 1956 anlässlich der Namensgebung der Hochschule am Palais von Istvan Antal gegebenen „Études Wilde Jagd“, „Ricordanza“ und „Presto molto agitato“ sind dem Zyklus „Études d‘exécution transcendante“ entnommen. Franz Liszt komponierte den aus zwölf Etüden bestehenden Zyklus in drei Phasen zwischen 1826 und 1852, woraus drei Fassungen entstanden, wobei er die ersten beiden persönlich für ungültig erklärte.

Eine relativ wortgetreue Übersetzung des Titels könnte lauten ‚Etüden in übernatürlicher Ausführung‘. Schon hier lässt sich erahnen, über welche technischen Fähigkeiten der Interpret verfügen muss; und in der Tat bestätigt sich diese Erwartung auch in den drei von Istvan Antal gewählten und vorgetragenen Werken. Mit dem Presto furioso der „Wilden Jagd“ eröffnet Antal schon äußerst virtuos und macht das laute wild-chaotische Vorbeiziehen von Spukgestalten eindrucksvoll hörbar. Das komponierte Chaos durch rhythmisch-metrische Verschiebungen und Synkopen bringt den Hörer aus dem Gleichgewicht – wenn er es denn überhaupt zu Beginn des Stückes einmal gehabt hat – und lässt ihn erst späterhin wieder einigermaßen ‚geordnete Verhältnisse‘ hören, bevor er diese Jagd weniger chaotisch, aber nicht weniger energisch beschließt. Antal trifft den Charakter des Stückes durch scharfe Konturen, empfundene organische Melodien, logische Phrasen und Brillanz wie Transparenz in den kleinsten Notenwerten. Auch technisch ist es sehr beeindruckend zu hören, mit welcher Bravour er Oktaven, große Sprünge, Läufe und Stimmführung vollzieht.

In der folgenden Etüde „Ricordanza“ (Erinnerung) komponiert Liszt ein Thema in einen zunächst fast leeren Raum. Er verändert das Thema nur wenig, den Raum und die Atmosphäre, in der es immer wieder auftritt, jedoch umso mehr. Diese komponierte Freiheit mit improvisatorischem Habitus füllt Antal mit sensiblem, doch nicht kernlosem Spiel. Über das Thema hinwegfliegende Läufe klingen, als seien sie nichts und Stellen im dreifachen Forte sowie largamente- und pesante-Passagen wirken nie zu schwerfällig oder intransparent. Er verbindet edle Eleganz mit leidenschaftlichem Impetus, ohne den übergeordneten Zusammenhang zu verlieren und kreiert so das Gefühl des Zurückblickens – sei es während des Stückes, oder aber insbesondere am Ende.

Den Abschluss des Tondokumentes bildet die Etüde Nummer 10 „Presto molto agitato“. Sie ist sicher eines der technisch anspruchsvollsten Stücke des Zyklus’. Durch diverse Oktavsprünge, brillante Passagen – unabhängig voneinander oder auch in kürzestem Abstand hintereinander – gepaart mit höchstem Tempo, löst Liszt ein weiteres Mal sein Versprechen im Titel (‚übernatürliche Ausführung‘) ein.

Schon von Beginn des Stückes an wird der Hörer von einem Sog erfasst. Und selbiger wird ihn auch bis zum Ende des Stückes nicht wieder loslassen; kleine Sekundschritte in Oktaven, die sich motivisch sequenzierend in jede Richtung winden und verzweifelt aus etwas scheinen herausbrechen zu wollen.

Antal unterstützt dies durch unbändige Stringenz im Tempo, während er gleichzeitig die zusätzlich notierten Stringendi Liszts nicht zu wörtlich nimmt. Mit geschicktem Pedaleinsatz bei dem ungestümen Aufbrausen der linken Hand deckt er die Oberstimme nicht zu, sondern hebt diese auch in anderen Forte-Passagen immer kraftvoll und „disperato“ (verzweifelt) heraus, ohne dass es brutal oder hart im Klang wird. Charakterbezeichnungen wie „disperato“ oder auch „precipitato“ (übereilt) sind sonst überaus unüblich und zeigen nur ein weiteres Mal mehr, welch ausweglose Situation der Musik hier wohl zugrunde liegt.

Tobias Meichsner