Franz Liszt / Ferrucio Busoni: Zwei Bearbeitungen aus den Grandes études de Paganini

Etüde Nr. 6 in A-Moll "Thema und Variationen"

Etüde Nr. 3 in Gis-Moll "La Campanella"


Im vorliegenden Tondokument vom 25. Oktober 1956 spielt Heinz Lamann anlässlich eines im Festsaal am Palais stattgefundenen Konzertes, welches von Dozierenden der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar ausgeführt wurde, zwei Bearbeitungen Ferrucio Busonis von Franz Liszts „Grandes études de Paganini“ (S141). Lamann war langjähriger Professor an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar und hierbei Abteilungsleiter für Tasteninstrumente sowie Fachrichtungsleiter für Klavier. Aber abseits der Hochschule war er zudem Mitglied der damaligen „SED“ (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) und dabei in der Betriebsgewerkschaft sowie als Senatsmitglied tätig.

Die Entstehungsgeschichte der sogenannten ‚Paganini-Etüden‘ von Franz Liszt ist zugleich bemerkenswert wie erstaunlich, da sie direkt mit Liszts musikalischer Entwicklung zusammenhängt: Der berühmte italienische Komponist und legendäre Geigenvirtuose Niccolò Paganini (1782‒1840) spielte 1831 sein sehr erfolgreiches Pariser Debüt in der „Académie royale de musique“ ‒ heute als „Opéra de Paris“ (Pariser Oper) bekannt. Aufgrund des fulminanten Erfolgs spielte er ein Jahr später natürlich weitere Konzerte in Paris, während die Stadt gerade stark unter einer Cholera-Epidemie litt, weshalb Paganini am 22. April 1832 ein Benefizkonzert für die Opfer der Cholera in der Pariser Oper veranstaltete.

Franz Liszt war zu diesem Zeitpunkt gerade 20 Jahre alt und befand sich zudem in einer schweren Schaffenskrise, doch glücklicherweise war er an diesem Konzertabend dort anwesend. Seinen Enthusiasmus und die Faszination für Paganini drückte er schon kurze Zeit später in einigen Briefen an seine Freunde aus. Liszt war wohl so tief beeindruckt und inspiriert, dass er beschloss, ein ebenso brillanter Virtuose zu werden wie Paganini ‒ nur eben am Klavier. Um sein Ziel zu erreichen, übte er eigenen Angaben zufolge mindestens vier Stunden am Tag sein technisches Repertoire.

Der hohe Schwierigkeitsgrad von Paganinis Werken für Violine war auch ein Anreiz für Liszt, einige seiner Stücke ebenso anspruchsvoll für das Klavier zu bearbeiten. Um 1838 entstanden dabei die „Études d’execution transcendante d’après Paganini“ (S140), wobei Liszt die musikalischen Ideen aus Paganinis „24 Capricci per Violino solo“ (Op. 1) von 1819 und dem 1826 komponierten „Violin Concerto No. 2“ (Op. 7) verarbeitete, so dass sechs Klavieretüden daraus entstanden.

Da Liszt in den darauffolgenden Jahren viel Erfahrung als Konzertpianist und Komponist sammelte, überarbeitete er die Etüden, sodass diese 1851 schließlich als „Grandes études de Paganini“ erschienen. Die Etüden des neuen Zyklus sind quasi vereinfacht, aber erscheinen insgesamt ausgeglichener, eleganter und wohlklingender. Beide Zyklen sind zudem Clara Schumann gewidmet, die Liszt zwar wenig Dankbarkeit dafür entgegenbrachte, aber immerhin seine überragende Leistung anerkannte und behauptete, dass dies wahrscheinlich die schwierigsten Klavierstücke überhaupt seien, ebenso wie Paganinis Vorlagen für die Violine.

Durch Ferrucio Busoni haben wir nun wiederum Bearbeitungen von Bearbeitungen. Man könnte regelrecht von einem Schneeballeffekt durch ein generationenübergreifendes internationales Virtuosentum sprechen. Wann Busoni mit diesen Bearbeitungen Liszts in Berührung kam, kann nicht ganz sicher gesagt werden; in jedem Falle aber ist sein Aufenthalt als Dozent eines Meisterkurses in Weimar für die Jahre 1900 und 1901 belegt. In der vorliegenden Aufnahme hören wir Bearbeitungen von Busoni der sechsten (KiV B 67) und dritten Etüde (KiV B 68) aus dem 1851 von Franz Liszt veröffentlichten Zyklus.

Die sechste Etüde „Quasi presto“ in A-Moll (S141/6) trägt den Beinamen „Thema und Variationen“ und basiert auf Paganinis 24. Caprice. Der Beiname ist insofern logisch, da Paganini neben dem Thema noch elf Variationen und eine zusätzliche Coda komponierte, wobei Liszt dieses Schema übernahm. Doch neben Liszt haben auch viele andere namhafte Komponisten Variationen über dieses musikalische Thema geschrieben, unter anderem Brahms, Rachmaninow und Lutoslawski.

Die dritte Etüde „Allegretto“ in Gis-Moll (S141/3) ist das wohl berühmteste Stück aus dieser Sammlung und in mehrfacher Hinsicht einzigartig: Während Paganinis Originalvorlage ‒ das Rondo und gleichzeitiger Schlusssatz aus dem „Violin Concerto No. 2“ ‒ in H-Moll verfasst ist, transponierte Liszt das Thema in der 1838 erschienenen Version nach As-Moll, wohingegen es in der finalen Fassung von 1851 in Gis-Moll notiert ist. Jedoch schrieb Liszt bereits 1832 die „Grande Fantaisie de bravoure sur La Clochette de Paganini“ (S420), wo er ebenfalls das Hauptthema aus dem Finalsatz des zweiten Violinkonzerts verarbeitete. Zudem basiert das Thema selbst auf einer alten italienischen Melodie und wurde erst durch Paganinis Einarbeitung des Läutens einer kleinen Glocke in die Partitur bekannt, um die Harmonien des Themas zu bekräftigen.

Daraus leitet sich folglich auch der bekannte italienische Beiname ‚La Campanella‘, beziehungsweise der französische ‚La Clochette‘ ab, was sich als ‚das Glöckchen‘ oder ‚die Handglocke‘ übersetzen lässt. Bereits zu Beginn der Etüde erklingt das ‚Glöckchen-Thema‘ und zieht sich in verschiedenen Variationen durch das ganze Stück.

Spieltechnisch kann die Etüde von Liszt auch als Übungsstück betrachtet werden, da prinzipiell eine anspruchsvolle Sequenz diverser Fingerübungen für die rechte und teilweise auch linke Hand gespielt werden muss: Schon zu Beginn werden weite Staccato-Sprünge gefordert, worauf Spannungsübungen mit Arpeggien über zwei Oktaven sowie rasante Oktav-Fingerwechsel, Triller und Läufe folgen, welche häufig die schwächeren Finger stark beanspruchen. Dazu kommen chromatische Oktavläufe und aufwärtssteigende Quartsextakkorde.

Viktor Heinrich