Presse

Musikalische Supernova
Ein Bericht vom Dozentenkonzert mit "Edit Bunker" und "Mister Barrington" | 21. November 2018
Es ist für mich nicht ganz leicht, dem Leser verbal zu vermitteln, was da am Mittwochabend im Lichthauskino über die Bühne ging. Vielleicht das Multimedia-Ereignis des Jahres? Eine neue musikalische Dimension? Eine Lehrvorführung für VJs, DJs und andere Kreative durch die perfekte Verbindung von Bild und Ton? Oder einfach ein Konzert von drei Vollblutmusikern mit überragendem Können und einer visionären Präsentation?
Sicher trifft alles zu. Aber das, was "Edit Bunker" und Mister Barrington" im gut besetzten Kinosaal (im Normalfall sind die Konzerte der Formationen restlos ausverkauft, aber wir sind eben in Weimar ...) darboten, ist so komplex, so überwältigend in der künstlerischen Sprache, dass dafür eigentlich kein gängiges Schubfach ausreicht.
Zach Danziger ist mit der Bezeichnung Schlagzeuger nur partiell beschrieben. Zwar arbeitet er auch mit klassischem Equipment, doch durch raffinierte Midi-Steuerung werden seine Impulse auch auf der Leinwand punktgenau umgesetzt. Und mit Impulse meine ich ein derart konzentriertes rhythmisches Feuerwerk, welches sowohl treibend, enervierend als auch mitreißend präzise zwischen Jazz, Rock, Bebop, Minimal Music und balinesischer Polyrhythmik in atemberaubenden Tempi pendelt. Will sagen: schon solistisch ist dieser Mann eine Klasse für sich.
Bei Mister Barrington", welche den ersten Konzertteil bestritt, gesellt sich Bassist Owen Biddle dazu. Doch auch bei ihm versagt die gängige musikalische Einordnung. Denn Owen emanzipiert seinen Elektrobass nicht nur als eigenständigen Part. Er arbeitet quasi beständig kontrapunktisch und ebenso stilsicher gängige Popmuster auf, und verfremdet sie gleichzeitig mit hohem Wiedererkennungswert.
Man hört also eigentlich bekannte Soul- und Funkstrukturen, die aber so rasant und einfallsreich gebrochen werden, dass man sich einesteils in einem Techno-Rausch, andererseits in einer hochartifiziellen Jazzlounge wähnt.
Nach der Pause wird das Duo mit Keyboarder Oli Rockberger zu Mister Barrington" und erreicht damit noch mal eine exzessive Steigerung des Konzepts. Rockberger, der ebenso wie seine Mitstreiter aktiv im New Yorker Schmelztiegel agiert (wofür man quasi nebenbei ein paar Grammys eingeheimst hat) ist von seiner Akkordik am ehesten mit Robert Glasper oder dem Überflieger Jacob Collier zu vergleichen.
Er reichert die gängigen Muster von Pop und Jazz mit völlig neuen Harmoniestrukturen an, die eingängig, aufregend und mit höchster Virtuosität dargeboten werden. Zugegeben: das reißt nicht zu Standing Ovations hin, weil man eigentlich nur noch staunend im Kinosessel sitzt, um diese Vielfalt zu verarbeiten.
Denn zusätzlich zu dieser akustischen Delikatesse gesellt sich die visuelle Umsetzung. Man muss nicht unbedingt in der amerikanischen TV- und Medienwelt bewandert sein, damit sich die subtilen und humorvollen und subtilen Botschaften erschließen, aber es ist natürlich hilfreich. Man begegnet beispielsweise Frank Drebin ("Nackte Kanone") oder einem streitenden Anthony Weiner (der New-Yorker Bürgermeisterkandidat, der durch einen Sexskandal stürzte), alten Discogrößen und Keyboard-Präsentatoren in kurzen Sequenzen die sinnfällig bearbeitet, und durch die Musik des Trios quasi gesteuert werden.
Auch hier wird ein atemberaubendes Tempo vorgelegt, welches Bild und Ton akribisch und interaktiv verschmelzen lässt. Es ist der Puls einer hektischen Metropole und einer überfordernden Medienwelt, der hier sowohl seziert, als auch bissig kommentiert wird. Deshalb war es auch naheliegend, dass sich das Trio zum Thema "Innovatives Denken" vor dem Technologiekongress der renommierten University of Massachusetts präsentieren durfte.
Auf den 2011 und 2012 erschienenen CDs von "Mister Barrington", ist nur ein Bruchteil der Innovation zu hören, die im Lichthauskino zu erleben war. Auch die Youtube-Schnipsel nähern sich dem Weimarer Live-Erlebnis nur bedingt. Das bedeutet nicht, dass sich der Genuss der Tonträger und Bildmitschnitte nicht nachhaltig lohnen würde. Aber wie schon eingangs beschrieben: die Projekte sind so komplex, so überwältigend und zukunftsweisend, dass man sich gegenwärtig in eine Zukunft katapultiert glaubt.
Sicher sind "Edit Bunker" und "Mister Barrington" nur bedingt massenkompatibel. Doch sowohl der Technofreak, der Soulbrother, der Popkonsument als auch der Jazzkenner kommen irgendwie alle anspruchsvoll auf ihre Kosten. Und das muss man in dieser unüberschaubaren Musikwelt erst einmal schaffen: gewichtige Akzente zu setzen, obwohl alles schon gehört scheint.
Angemerkt: die Anlage im Kinosaal trug wesentlich zu diesem Sounderlebnis bei. Da haben die Lichthausbetreiber wirklich klug investiert, was in diesem Falle nicht nur dem Cineasten zugute kommt.
Fazit: ein Highlight in einem überzeugendem Spielort, welches zwar eine viel größere Öffentlichkeit verdient hätte. Aber für mich das Konzertereignis des Jahres.
P.S.: Es ist der Musikhochschule gelungen, die drei Musiker für einen Workshop zu gewinnen, der in diesen Tagen in dem Gebäude am Horn läuft. Da ist Professor Manfred Bründl mal wieder ein Scoop gelungen, welcher einer gemeinsamen Vorgeschichte mit Zach Danzinger in Remscheid zu verdanken ist ...
Matthias Huth
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