Granada, 18.–22.06.2014

Dass Spanien sich im 16. Jahrhundert zu der europäischen Großmacht entwickelte, gerät meist in Vergessenheit. Entscheidend ist hier das Jahr 1492 – nicht nur aufgrund der Entdeckung der "Neuen Welt" durch Christoph Kolumbus. Im selben Jahr eroberten Königin Isabella von Kastilien und ihr Mann König Ferdinand von Aragon die südliche Region Granada zurück, was als entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der iberischen Halbinsel beschrieben wird.

Granada, vor 1492 über Jahrhunderte in maurischer Herrschaft und eine Region in der verschiedene Kulturen und Religionen es schafften friedlich zusammenzuleben, wandelte sich durch die Rückeroberung enorm. Politisch sowie religiös prägen die spanischen Könige das Bild, die die Bildung 'einer' spanischen Nation bestreben – einer christlichen. So sind Hispanisierung und Christianisierung eng miteinander verknüpft und spiegeln sich in der Kultur und insbesondere der Musik jener Zeit wider.

Diesem Phänomen widmeten sich sechs Studierende während der Exkursion vom 18. bis 22. Juni 2014 im Rahmen des Seminars "Soundscape in Renaissance Granada" unter der Leitung von Prof. Dr. Christiane Wiesenfeldt und Sabine Feinen M.A. Der Termin wurde bewusst auf Fronleichnam gelegt, um die bekannte 'Corpus-Christi-Prozession' verfolgen zu können, die ihren Ursprung während der Rückeroberung im 16. Jahrhundert hat und bis heute jährlich fortgeführt wird.

Dank der engagierten Hilfe und Leitung des spanischen Musikwissenschaftlers Dr. Juan Ruiz Jiménez konnten die Studierenden in täglichen Führungen durch die Stadt einen Eindruck vom Granada des 16. Jahrhunderts erhalten und unter anderem den Prozessionsweg jener Zeit nachvollziehen. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die spanischen Könige, auch Isabellas und Ferdinands Nachfolger, heute noch im gesamten Stadtbild präsent sind. Abbildungen sowie ihre Zeichen und Sigel sind an/in der Kathedrale, in Kirchen und zahlreichen öffentlichen Gebäuden noch heute vorzufinden.

Dass auch die Musik in der Bildung einer spanischen Nation sowie der Christianisierung von entscheidender Bedeutung war, wurde bei der Besichtigung des Kathedralarchivs und des Archivs der Capilla Real deutlich. Einen detaillierten Eindruck von der Musiklandschaft im 16. Jahrhundert haben die Studierenden während eines selbst organisierten Symposiums im Centro de Dokumentación musical vermittelt. In 20-minütigen Vorträgen wurde versucht, einen Überblick über das musikalische Spektrum im Granada des 16. Jahrhunderts zu geben.

Dabei wurden sowohl die drei großen kulturellen Gruppen – katholischer Hof, Mauren, Juden –, als auch der Eindruck auswärtiger Reisender berücksichtigt sowie der arabisch beeinflusste Tanz näher betrachtet. Den Abschluss bildete die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Corpus-Christi-Prozession und den heute zu beobachtenden Soundscapes.

Alles zusammen genommen – das Symposium, das Live-Erlebnis der Corpus-Christi-Prozession, die an Informationen reichen und engagiert vorbereiteten Führungen von Dr. Juan Ruiz Jiménez, sowie die Stadt selbst mit ihrer aus dem 16. Jahrhundert stammenden, multikulturellen Architektur und Geschichte – hat den Teilnehmern einen umfangreichen Eindruck von Granada in jener Zeit sowie der entsprechenden Musiklandschaft und Geräuschkulisse vermittelt und hat zu einem gewinnbringenden Abschluss des Seminar geführt.

Sabine Feinen