Musiker im Exil

Beginn der systematischen Forschungsarbeit zum Thema „Musiker im Exil“: Arbeitsgruppe „Exilmusik“ (1985-2012) an der Universität Hamburg unter Leitung von Prof. Peter Petersen mit zahlreichen Forschungsprojekten, Konzerten, Ausstellungen, Tagungen und Buchpublikationen. 1993 erschien der von Hanns-Werner Heister, Claudia Maurer Zenck und Peter Petersen herausgegebene Band „Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur“. Im Zentrum der Aktivitäten steht seit langem das „Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit“ (ab 2005 bis heute), eine herausragende Informationsquelle zum Thema: → https://www.lexm.uni-hamburg.de/content/index.xml

Forschungsstelle Exil und Nachkriegskultur an der UdK Berlin. Arbeiten vor allem zur Remigration der Musiker in die BRD und die DDR.

Inzwischen gibt es zu diesem Thema in Deutschland und international unzählige Projekte und Arbeitsgruppen.

Der Begriff „Exil“

Die Grenzen zwischen Exil und anderen Arten von Migration sind selbstverständlich fließend. Grundsätzlich bedeutet Exil eine Art von unfreiwilliger Emigration. Dazu gehören drei Elemente: Erstens möchte der Exilant gern in seinem Heimatland bleiben, kann aber nicht, weil er dort verfolgt wird und akut gefährdet ist. Zweitens versucht das Regime in seinem Heimatland aktiv, ihn zum Verlassen des Landes zu bewegen, man will ihn also nicht haben. Schließlich würde der Exilant gern in sein Heimatland zurückkehren, sobald die Bedingungen dafür gegeben sind, in jedem Fall gehört er aber kulturell grundsätzlich zu seinem Heimatland.

In Bezug auf die heutigen Fälle von unfreiwilliger Emigration wird der Begriff Exil nur noch selten verwendet. Das hat mit der Veränderung unserer Vorstellungen von Mobilität zu tun. Mobilität wird nicht mehr als etwas Außergewöhnliches oder Erzwungenes wahrgenommen, sondern als Teil der Lebensweise in einer globalisierten Welt. Auf der anderen Seite werden die heutigen Flüchtlinge nicht mehr als Exilanten bezeichnet, weil erwartet wird, dass sie in ihren neuen Ländern dauerhaft bleiben und sich dort integrieren würden. Die UNO bezeichnet dieses Phänomen als Resettlement, also Umsiedlung. Beispiel: das „Syrische Exilorchester“ wurde 2015 in Deutschland gegründet, es nennt sich inzwischen das „Syrian Expatriot Orchestra“.

Die Verwendung des Begriffs im heutigen wissenschaftlichen Diskurs hat also etwas Spezielles: Er wird hauptsächlich auf die NS-Zeit bezogen. Wenn man heute „Musiker im Exil“, „Exilforschung“, „Exiltheater“ oder „Exilarchiv“ sagt, versteht man, dass es um die Aufarbeitung der NS-Zeit geht.

In der Geschichte des 20. Jahrhunderts gab es aber ein sehr ähnliches Phänomen, das heute aber kaum mehr Beachtung findet: Das Exil von einigen Millionen russischer Bürger nach der Oktoberrevolution 1917 und insbesondere nach dem russischen Bürgerkrieg 1918-1922. Es waren überwiegend die Vertreter der intellektuellen, wirtschaftlichen und politischen Elite, darunter sehr viele Juden. Viele von ihnen kamen nach Deutschland, weil Deutschland eines der wenigen Länder war mit diplomatischen Beziehungen zu Russland. Eine wichtige Episode dieser Exilgeschichte war das sogenannte „Philosophenschiff“, eigentlich zwei Schiffe, auf denen im September und November 1922 auf Initiative von Lenin zahlreiche missliebige Intellektuelle außer Landes gebracht wurden. Darunter befanden sich elf bedeutende Philosophen – praktisch die gesamte Schule der russischen idealistischen Philosophie. Leo Trotzki begrüßte diese Aktion mit den Worten: „Wir haben diese Menschen ausgewiesen, weil es keinen Anlass gab, sie zu erschießen, es war aber unmöglich, sie zu dulden.“

Es gab auch Fluchtwellen aus anderen totalitären Regimen oder Diktaturen, insbesondere in Lateinamerika, wie etwa Kuba, Argentinien, Venezuela etc., die man als Exil bezeichnen kann.
 

Exil in der NS-Zeit

360.000 der Exilanten stammten aus Deutschland. 140.000 Österreicher folgten ihnen nach dem Anschluss Österreichs 1938. Insgesamt waren also ca. 500 000 Personen betroffen, darunter ca. 80-90 % Juden. Es konnten bislang etwa 4.000 Namen von Musikern identifiziert werden, die aus Deutschland fliehen mussten.

Die Mehrheit der deutschen Juden (mehr als zwei Drittel) wurde vertrieben. Das bedeutete nicht nur das Ende der jüdischen Präsenz im deutschsprachigen Kulturraum, sondern auch das Ende der deutsch-jüdischen Kulturgemeinschaft. Albrecht von Massow bezeichnete diese Gemeinschaft in seinem Buch „Die unterschätzte Kunst. Musik seit der Ersten Aufklärung“ (Wien u.a. 2019) als „Konkurrenzgemeinschaft“:
Denn sie [die deutsch-jüdische Kulturgemeinschaft] ist ein wesentliches Movens der Moderne; und dies auch deswegen, weil sie sich nicht in deren egalitäres Menschenbild einfügt, sondern vorrangig gerade durch dasjenige hervorsticht, was dem egalitären Menschenbild ein Dorn im Auge ist, nämlich durch hervorragende Leistungen in Wirtschaft, Wissenschaften, Philosophie und Musik im Sinne eines meritokratischen Menschenbilds, und dies unter besonderer Berücksichtigung einer Verbindung von Innovation und Tradition, während die radikalen politischen Auswüchse des egalitären Menschenbilds der Ersten Aufklärung in der Regel darauf abzielten, Traditionen zu beseitigen. (S. 422).

Die Konkurrenz ist etwas Positives, sie befördert Produktivität und Innovation. Die Rolle der Juden beschränkte sich nicht auf ihre individuellen Leistungen von Wissenschaftler, Dichter, Unternehmer, Geschäftsleute, Ärzte usw., ihre herausragenden Leistungen trugen zu einer gesellschaftlichen Atmosphäre bei, in der Kreativität und Klugheit gefragt war: Konkurrenzgemeinschaft als leistungsorientierter Wettbewerb. Deutschland während der Kaiserzeit und der Weimarer Republik war auf dem wissenschaftlichen und kulturellen Gebiet weltweit führend. Die lingua franca der Wissenschaft war deutsch, wie heute Englisch oder vor 200 Jahren Französisch. Dieses intellektuelle und kulturelle Humankapital, von dem die BRD und die DDR noch mehrere Jahrzehnte zehrte, ist heute weitgehend aufgebraucht. Die heutige Herrschaft der Dummheit ist somit auch eine Spätfolge der Vernichtung der Juden. Ein egalitäres, kollektivistisches Menschenbild hat wieder die Oberhand gewonnen. Die Klugheit wird nicht mehr gefragt, weil sie eine individuelle Eigenschaft darstellt, genauso wie Bildung. Es geht nicht um die beste individuelle Leistung, sondern um die moralische Überlegenheit einer Gemeinschaft. Es ist kein Unvermögen – natürlich sind die Deutschen, Franzosen oder Italiener nicht dümmer als Juden, es geht um Prioritäten.

Dietrich Bonhoeffer: „Von der Dummheit“ (1945)
 

Arnold Schönberg (1874–1951)

Der Komponist, der das Ende der deutsch-jüdischen Kulturgemeinschaft symbolisiert: Arnold Schönberg. Alexander Ringer: „Innere Rückkehr“. Ein langer Weg von einer deutsch-jüdischen Identität zu einer Rückbesinnung auf das Judentum. Schönberg ist als Wagnerianer aufgewachsen, 1898 zum evangelischen Christentum konvertiert.  

Über seine neuentwickelte 12-Ton-Kompositionsmethode schrieb er im Juli 1921 seinem Schüler Josef Rufer:
Heute habe ich etwas entdeckt, das die Überlegenheit der deutschen Musik für die nächsten hundert Jahre versichern wird.

Nach seiner formellen Rückkehr zum Judentum im Pariser Exil im Juli 1933 schrieb er an Anton von Webern:
Ich war seit 14 Jahren vorbereitet auf das, was jetzt gekommen ist. Ich habe mich in dieser langen Zeit gründlich darauf vorbereiten können und mich, wenn auch schwer und mit vielen Schwankungen, schließlich definitiv von dem gelöst, was mich an den Okzident gebunden hat. Ich bin seit langem entschlossen, Jude zu sein.
 

Flucht aus den von den Deutschen besetzten Ländern

Es gibt keine zuverlässigen Statistiken darüber. In der Regel kann man dann wirklich nur von Flucht sprechen, weil diese Länder fluchtartig, innerhalb einer sehr kurzen Zeit verlassen werden mussten.

Mieczyslaw Weinberg (1919–1996) floh aus seiner Heimatstadt Warschau in die Sowjetunion und lebte zunächst in Minsk. Nach dem Überfall des Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion erfolgte im Juni 1941 eine zweite Flucht von Minsk nach Taschkent. Das Hauptthema seiner Werke ist der Verlust der Heimat – in seinem Fall der Verlust der polnisch-jüdischen Kultur und der polnisch-jüdischen Identität, die unwiederbringlich verschwunden sind.
 

Mehrfache Flucht.

Arthur Lourié (1891-1966): Lourié war einer der wichtigsten Vertreter des russischen musikalischen Futurismus. Er spielte eine prominente Rolle im russischen Kulturleben bis zu seiner Flucht 1922. Er lebte dann zunächst in Deutschland und später in Frankreich, von dort musste er 1941 erneut fliehen. Er verbrachte den Rest seines Lebens in den USA, wo er aber keine Anerkennung mehr finden konnte und in Armut und Vergessenheit starb.
Arthur Lourié: Intermezzo für Klavier: → YouTube

Wilhelm (Willem) Rettich (1892–1988): seine Eltern waren osteuropäische Juden, die Mutter war eng mit dem bedeutenden Erforscher jüdischer Musik, Abraham Zwi Idelsohn, verwandt. Im September 1914 geriet Rettich in Russland in Kriegsgefangenschaft, er verbrachte die folgenden sechs Jahre in West- und Ostsibirien. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wirkte er als Dirigent, seit 1928 auch im Rundfunk (beim Leipziger Sender MIRAG sowie am Berliner Rundfunk).
Im Februar 1933 erhielt er Berufsverbot und ging sofort ins Exil. Er lebte in den Niederlanden und wirkte als Komponist, Dirigent und Musikpädagoge. Im Mai 1940 verlor er seine Stellung, 1942 musste er untertauchen, um der drohenden Deportation zu entgehen. Im Versteck komponierte Rettich sehr intensiv, ohne ein Klavier zur Verfügung zu haben, darunter die „Symphonischen Variationen für Klavier und Orchester“ op. 54, in denen er ein Thema aus dem „Hebräisch-orientalischen Melodienschatz“ von Abraham Zwi Idelsohn verarbeitete, sowie die „Sinfonia Giudaica“, die Rettich „in memoriam fratrum“ (zum Gedenken an die Brüder) widmete.
Nach der Befreiung kehrte er zunächst nach Haarlem zurück. Durch die Heirat mit der Sängerin Elsa Barther entstand der Entschluss, wieder nach Deutschland zu gehen. Rettich lebte dann in der Nähe von Baden-Baden.

Die Schicksale der Exilmusiker sind extrem individuell. Manche konnten an ihre Karriere in Europa anknüpfen, darunter vor allem international renommierte Musiker wie Kurt Weill, Otto Klemperer, Bruno Walter, Fritz Kreisler, Artur Schnabel, Emanuel Feuermann u.a. Viele andere konnten nicht mehr Fuß fassen (etwa Bela Bartók oder Friedrich Hollaender).

Einige Musikwissenschaftler waren z.B. sehr erfolgreich – in Deutschland wurden sie bereits vor 1933 antisemitisch diskriminiert, weil an den Universitäten die antisemitischen Stimmungen besonders stark waren. Beispiel: Alfred Einstein (1880-1952), bedeutendster Mozart-Forscher seiner Zeit. Sein Doktorvater verwehrte ihm die Habilitation, dadurch war ihm eine akademische Karriere verschlossen, er verdiente seinen Lebensunterhalt dann 30 Jahre lang als Musikkritiker. Im US-amerikanischen Exil (ab 1939) bekam er sofort eine Professur.
 

Sehnsucht nach Deutschland

Der Komponist, Dirigent und Musikpublizist Oskar Guttmann (1885–1943) wurde im schlesischen Brieg geboren und begann seine Dirigentenlaufbahn im ostpreußischen Tilsit und in Königsberg. Ab 1924 lebte er in Breslau, wo er zum führenden Musikkritiker avancierte. Guttmann arbeitete nicht nur bei verschiedenen Breslauer Zeitungen und dem Schlesischen Rundfunk mit, sondern verfasste regelmäßig Artikel auch für die liberale Königsberger Hartung’sche Zeitung. Insbesondere engagierte er sich für zeitgenössische schlesische Komponisten. Bereits 1931 musste er unter dem Druck des wachsenden Antisemitismus Breslau verlassen und ging nach Berlin, wo er Chordirigent der Synagoge in der Oranienburger Strasse wurde und nach 1933 vielfältige Aktivitäten im Jüdischen Kulturbund entfaltete. Noch 1938 wurde dort sein letztes in Deutschland entstandenes monumentales Werk – das Oratorium „B’reschith“ (nach dem 1. Buch der hebräischen Bibel) – uraufgeführt. 1939 konnte Guttmann aus Deutschland fliehen, er wurde Musikdirektor der „Spanish and Portuguese Synagoge“ in New York. Seine letzten Kompositionen sind allesamt für den jüdischen Gottesdienst geschrieben, darüber hinaus sammelte und systematisierte er traditionelle Melodien seiner sephardischen Gemeinde. Die jüdische Musikwelt konnte ihm allerdings die alte Heimat nicht ersetzen. Sein Sohn Alfred Goodman erinnerte sich, dass Oskar Guttmann an der Sehnsucht für Deutschland zugrunde gegangen ist.

Das Problem war mein Vater […]. Er fühlte sich so an die deutsche Sprache gebunden. Nicht, dass er politisch national gewesen wäre, aber der Verlust der deutschen Sprache und der deutschen Kultur hat leider zu seinem frühen Tode geführt. Ich glaube, dass es Kummer war, ich glaube, dass mein Vater an Deutschland kaputt gegangen ist.
(zit. nach: Karl Robert Brachtel u.a. (Hg.), Alfred Goodman, Tutzing 1993, S. 32)

Seinem Freund Hans Freudenthal zufolge konnte Guttmann, der sich in hohem Maß mit Deutschland und der deutschen Kultur identifizierte, sich von dem Schock und der Enttäuschung nie erholen. Die Liebe zu Deutschland und seiner Kultur schlug in einen abgrundtiefen Hass um, der vor allem ihm selbst zu schaffen machte:
Er plädierte für eine komplette und endgültige Vernichtung des deutschen Volkes, der Verbrecher genauso wie der sogenannten ‚Unschuldigen‘. Dieser vielbeschäftigte und hart arbeitende Mensch empfand diese Problematik – die für die meisten von uns nicht mehr als ein Konversationsthema war – als Herzensangelegenheit, so dass die Worte Heinrich Heines (seines Lieblingsdichters) ‚Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um meinen Schlaf gebracht‘ im direkten Sinne auch für ihn galten.

Eine Bestätigung dafür sind die im Familienarchiv erhaltenen Gedichte Guttmanns, die allesamt in New York geschrieben wurden. Diese Texte thematisieren den Alltag im nationalsozialistischen Deutschland, seine Ideologie und vor allem seine Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf eine zum Teil sarkastische, zum Teil schockierende Art und Weise. Hier sind „Der nervöse S.-A.-Mann“, der seine Neurosen mit Morden kuriert, „Lied der Hitler-Mädel“, die sich für den Führer und das Vaterland als Prostituierte betätigen, „Der kleine S.-A.-Mann (ein Kinderlied für die lieben Kleinen im Dritten Reich)“, „Hermann Göring vor den Arbeitern der Berliner Siemens-Werke“ (mit der Anmerkung des Autors: „Ich hörte diese Rede im Radio“), „Das deutsche Volk“ („Wir fragen nie, wir folgen dem Befehl“) und schließlich „Friedenskonferenz“ – die Vision einer internationalen Versammlung, bei der die vertretenen Nationen das gesamte deutsche Volk einstimmig zum Tode verurteilen. Die meisten von diesen Gedichten sind in Deutsch, einige in Englisch geschrieben. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich dabei weniger um poetische Reflexionen handelt, sondern eher um Versuche, seine eigenen psychischen Traumata in literarischer Form zu verarbeiten. Als Oskar Guttmann am 7. September 1943 spät abends nach einem Besuch bei Freunden nach Hause kam, erlitt er einen Herzanfall; er starb noch in derselben Nacht im Alter von 57 Jahren.
 

Unterschiedliche Bedingungen in verschiedenen Ländern

Die lokalen Bedingungen hatten beträchtliche Auswirkungen auf die beruflichen Möglichkeiten. In den USA, England und Frankreich gab es ein reichhaltiges Musikwesen, das einerseits mehr Möglichkeiten bot, andererseits aber auch mehr Konkurrenz bedeutete. In England wurden viele Musiker aus Deutschland und Österreich mit Arbeitsverboten belegt und zeitweise interniert.

In Japan, der Türkei oder in südamerikanischen Ländern gab es für emigrierte Musiker oft die Möglichkeiten, etwas Neues aufzubauen, weil es dort einen nach europäischen Standards entwickelten Musikbetrieb noch nicht gab.

Beispiel: Herman Geiger-Torel (1907-1976), Opernregisseur und Pädagoge. Er stammte aus Frankfurt, seine Mutter, Pianistin und Komponistin Rosy Geiger-Kullmann, war in den 1930er Jahren im Jüdischen Kulturbund aktiv und erfolgreich.

Geiger-Torel startete seine Karriere als Opernregisseur in Deutschland, seit 1934 wirkte er in Lateinamerika: am Teatro Colón in Buenos Aires sowie in Montevideo und Rio de Janeiro. 1948 wurde er nach Kanada eingeladen und gründete dort die erste Opernensemble des Landes. Er baute außerdem die Royal Cons Opera School der University of Toronto auf.

Musikerexil in Palästina. Deutsche Juden haben das gesamte Kulturleben, darunter auch das Musikleben in Palästina grundlegend verändert und rasante Entwicklungen auf diesem Gebiet befördert, darunter die Gründung des Palestine Symphony Orchestra – dem heutigen Israel Philharmonic, der Jerusalem Conservatory u.v.m.

Beispiel: Josef Tal (eigentlich Grünthal, 1910–2008), Pionier der elektronischen Musik in Israel. Er studierte in Berlin und lebte nach seiner Flucht zunächst in einem Kibbutz, er arbeitete eine Weile als Fotograf, bevor er eine Anstellung an der Jerusalem Conservatory fand.
 

Re-migration nach Deutschland

Schätzungsweise ca. 30.000 Juden inkl. Familienmitglieder sind in der Nachkriegszeit zurückgekommen, darunter etliche Musiker.

In vielen europäischen Ländern waren die überlebenden Juden nicht willkommen. Beispiele: Pogrom in Kielce 1946 mit ca. 60 Opfern, Antisemitismus in der Ukraine der Nachkriegszeit u.a.

Paul Dessau (1894-1979) stammte aus einer jüdischen Kantorenfamilie. 1927 wurde seine 1. Sinfonie (mit der Melodie von Kol nidre als Thema des 1. Satzes) uraufgeführt. Weitere Werke im jüdischen Charakter: das Oratorium Hagadah schel Pessach (1934–1936) nach einem Libretto von Max Brod, Musik zu den zionistischen Filmen Awodah (1935) und Adamah (1947), zahlreiche weitere Werke mit hebräischen Texten, 1961 entstand die von Dessau angeregte Gemeinschaftskomposition Jüdische Chronik.
Dessau emigrierte zunächst 1933 nach Frankreich und im Herbst 1939 weiter in die USA.
1948 kehrte er nach Deutschland zurück und ließ sich in Ost-Berlin nieder.

Fortan lebte er in einem Spagat zwischen seinen kommunistischen Überzeugungen, seiner jüdischen Identität, seinem Interesse für die musikalische Moderne einerseits und dem realexistierenden Sozialismus der DDR mit den Übergriffen der totalitären staatlichen Kulturpolitik andererseits. Die Auseinandersetzung um seine Oper „Die Verurteilung des Lukullus“ (1951) wurde zum ersten schwerwiegenden kulturpolitischen Skandal in der DDR. Die Proben wurden von den FDJ-Trupps unter Erich Honecker ausgepfiffen (deren Vorgehensweise mit dem nationalsozialistischen Kampfbund für deutsche Kultur vergleichbar war). Die Autoren – Paul Dessau und Bertolt Brecht – wurden zur Staatsführung zitiert, dabei wurden gravierende Veränderungen verlangt. Die Oper wurde dann bis 1957 trotz vieler Änderungen nicht mehr aufgeführt.
 

Literatur

  • Hanns-Werner Heister, Peter Petersen und Claudia Maurer Zenck (Hrsg.): Musik im Exil. Folgen des Nazismus für die internationale Musikkultur, Frankfurt a. M. 1993
  • Horst Weber (Hrsg.): Musik in der Emigration. Verfolgung – Vertreibung – Rückwirkung, Stuttgart 1994
  • Schriftenreihe „Musik im ‚Dritten Reich‘ und im Exil“, hrsg. von Peter Petersen, im von Bockel Verlag Neumünster. Bislang sind 20 Bände erschienen, darunter: Arbeitsgruppe Exilmusik am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Hamburg (Hrsg.): Lebenswege von Musikerinnen im "Dritten Reich" und im Exil. von Bockel, Neumünster 2000
  • Maren Köster und Dörte Schmidt (Hrsg.): Man kehrt nie zurück, man geht immer nur fort. Remigration und Musikkultur, München 2005
  • Matthias Pasdzierny: Wiederaufnahme? Rückkehr aus dem Exil und das westdeutsche Musikleben nach 1945, München 2014