Musikausübung in Konzentrationslagern und in Ghettos. Ghetto Theresienstadt und sein Kultur- und Musikleben

"The main expression of Jewish resistance could not be armed, could not be violent. There were no arms; the nearby population was largely indifferent or hostile. Without arms, those condemned to death resisted by maintaining morale, by refusing to starve to death, by observing religious and national traditions.”

(Yehuda Bauer: A History of the Holocaust, Franklin Watts, Danbury 2001, S. 274)

Das Phänomen „Konzentrationslager“

Der Begriff stammt aus dem kubanischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien 1868–1898. Er ist besonders während des Burenkrieges (1899–1902) in Südafrika bekannt geworden, als die Briten mehrere Konzentrationslager (Concentration Camps) für Zivilisten einrichteten, über 26.000 Frauen und Kinder starben dort an Hunger und Krankheiten.

Im Rahmen des „Roten Terrors“ in Sowjetrussland seit Spätsommer 1918 wurden Konzentrationslager auf Lenins persönliche Initiative hin gegründet. Der neue Gedanke: KZ als Ort für Umerziehung.

Von 1930 bis 1959 haben etwa 18 Millionen Menschen das Lagersystem in der Sowjetunion durchlaufen. Insgesamt mussten bis zu 32 Millionen Menschen Zwangsarbeit zu verrichten hatten.

In Nordkorea und anderen Ländern gibt es auch heute KZs, wo hunderttausende Menschen unter entsetzlichen Bedingungen inhaftiert sind.

Während des 2. Weltkriegs wurden KZs von verschiedenen Ländern betrieben. Das Konzentrationslager Jasenovac in Kroatien.
 

Entwicklung des KZ-Systems im NS-Deutschland

Schutzhaft vor allem für Regimegegner: jeder konnte ohne richterlichen Beschluss inhaftiert werden. Bis Mitte März 1933 wurden über 100.000 Menschen inhaftiert, die meisten von ihnen aber dann nach kurzer Zeit wieder freigelassen.

Sommer 1933: mehr als 26.000 politische Gefangene.
Sommer 1935: ca. 4.000 Häftlinge.

Nach 1936 wurden vermehrt sogenannte „Asoziale“, „Arbeitsscheue“, Homosexuelle und Zeugen Jehovas in Konzentrationslagern inhaftiert. Während der Reichspogromnacht 1938 wurden 26.000 Juden inhaftiert, um sie zur Emigration zu zwingen und ihr Vermögen zu arisieren.

Ende 1938: fast 60.000 KZ-Häftlinge.
Sommer 1939: 21.000
Ende 1940: 53.000

Rapide Steigerung der Häftlingszahlen in den folgenden Jahren, im Januar 1945 714.211 Menschen.

Die Zahl der Häftlinge, die für Wochen oder Jahre in einem der Konzentrationslager eingesperrt waren, wird insgesamt auf zweieinhalb bis drei Millionen Menschen geschätzt.

Ghettos: Durchgangslager und Sammellager in osteuropäischen Ländern, zumeist eingerichtet als abgetrennte Stadtteile, als Teil der beabsichtigten „Endlösung“. Insgesamt existierten zwischen 1939 und 1944 ungefähr 1150 Ghettos.
 

Das Moorsoldatenlied

Entstanden 1933 im Konzentrationslager Börgermoor in Emsland.
Text: Johann Esser und Wolfgang Langhoff, Musik: Rudi Goguel.
Das Lied wurde bereits in den 1930er Jahren international bekannt.
 

Das Dachaulied

Entstanden 1938 im KZ Dachau.
Text: Jura Soyfer, Musik: Herbert Zipper.
 

Musik in Buchenwald

Die erste Lager-Kapelle wurde aus Sinti- und Roma-Musikern zusammengesetzt.  

Das Buchenwaldlied wurde auf Befehl des Lagerkommandanten Arthur Rödl im Dezember 1938 geschaffen.
Text: Fritz Löhner-Beda, Musik: Hermann Leopoldi.

Geheimes Musizieren in Buchenwald.
Lagerkapellen und Bands. In den letzten Jahren fanden etwa 25 genehmigte Konzertveranstaltungen im Lager statt.

Die Rolle der Kommunisten in der Lager-Hierarchie.
 

Musik in Sachsenhausen

Die wichtigste Quelle zur Musikausübung in Konzentrationslagern ist die Archivsammlung von Aleksander Kulisiewicz (1918–1982), die zwischen der Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen und dem Holocaust Memorial Museum Washington geteilt ist und bislang kaum erschlossen wurde. Kulisiewicz war 1940–1945 im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Sein Archiv enthält ein über 700 Seiten umfassendes unveröffentlichtes Manuskript in polnischer Sprache über „Musik und Gesang in faschistischen Konzentrationslagern 1933 bis 1945“ sowie über 100.000 weitere Dokumente und Manuskripte zu diesem Thema.

Kulisiewicz machte sich nach dem Krieg als Interpret von KZ-Liedern international einen Namen. Er strebte möglichst stilistisch authentische Darbietung an und trat außerdem auf der Bühne in KZ-Uniform auf.

„Jüdischer Todessang“ (1942) von Rosebery d'Arguto (Pseudonym für Martin Rozenberg, 1890-1943) in der Interpretation von Aleksander Kulisiewicz: → YouTube
 

Lagerkapellen in Auschwitz

Es gab in Auschwitz bis zu sechs Lagerkapellen. Eine davon wurde vom polnischen Komponisten und Dirigenten Adam Kopycinski geleitet, der später der Leiter der Warschauer Philharmonie wurde. Eine weitere Kapelle wurde vom herausragenden polnisch-jüdischen Komponisten Szymon Laks (1901-1983) geleitet.

Besonders bekannt ist vor allem das sogenannte Mädchenorchester von Auschwitz, das im Juni 1943 auf Befehl der SS von der polnischen Musiklehrerin Zofia Czajkowska zusammengestellt wurde. Die Geschichte dieser Lagerkapelle wurde zweimal verfilmt, es gibt mehrere Bücher darüber. Einige überlebende Mitglieder der Kapelle haben später ihre Erlebnisse ausführlich geschildert, darunter die Chanson-Sängerin Fania Fenélon (1919-1983), die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch (geb. 1925) oder die Sängerin Esther Bejarano (geb. 1924). Die Leiterin des „Mädchenorchesters“ war vom Sommer 1943 bis April 1944 die herausragende Geigerin Alma Rosé (1906-1944).

Lagerkapellen gab es auch in den meisten anderen Konzentrations- und Vernichtungslagern, darunter KZ Janowska in Lemberg oder Vernichtungslager Treblinka.
 

Musik als Folter

„Wenn man es mit einem SS-Mann zu tun hatte, musste man als erstes die Mütze herunterreißen, und seine Nummer laut und deutlich, natürlich auf deutsch, angeben. Ich beginne zu begreifen, welches Glück im Unglück ich habe, fließend Deutsch zu sprechen. Die meisten griechischen und italienischen Juden verstehen keinen Befehl und können nicht einmal ihre Nummer aussprechen. Natürlich können sie auch keine deutschen Lieder singen, die wir, wie zum Hohn, beim Hin- und Rückmarsch von der Arbeit noch zum Besten geben müssen. Das ist ausreichend, um brutal geschlagen, manchmal auch totgeschlagen zu werden.“

(Willy Berler: Durch die Hölle. Monowitz, Auschwitz, Groß-Rosen, Buchenwald. Augsburg 2003, S. 60)
 

Musik im Ghetto Warschau

Das Warschauer Ghetto war das bei weitem größte Sammellager dieser Art. Es wurde Mitte 1940 im Stadtzentrum Warschaus eingerichtet. In dieses Ghetto wurden vor allem die Juden aus Warschau und umliegenden Gegenden deportiert, dort lebten bis zu 350 000 Menschen. Insgesamt wurden ins Warschauer Ghetto ca. 500 000 Juden deportiert. Die meisten von ihnen wurden im Vernichtungslager Treblinka ermordet, viele starben im Ghetto durch Hunger und Krankheiten.

Erinnerungen von Marcel Reich-Ranicki über Musik im Warschauer Ghetto: → YouTube
 

Musik im Wilnaer Ghetto

Im Wilnaer Ghetto wurden bis zu 60 000 Juden inhaftiert, die meisten von ihnen wurden im nahegelegenen Ponar, einem Vorort der Stadt, ermordet.

Es gab im Wilnaer Ghetto 1941-42 Musikveranstaltungen, Theateraufführungen und eine Musikschule. Noch April 1943 wurde von der jüdischen Selbstverwaltung, dem “Judenrat”, ein Kompositionswettbewerb ausgetragen, den der 11-jährige Alexander Wolkovsky mit seinem „Wiegenlied“ gewann. Er überlebte den Holocaust, wurde Pianist und lebte später in Israel unter dem Namen Alexander Tamir: → Nähere Informationen

Hirsch Glik (1922-1944), jiddischer Dichter und Partisane aus Wilna, Autor der bekanntesten jiddischen Partisanenhymne Zog nit keynmol, az du geyst dem letstn veg – Sage niemals, dass du den letzten Weg gehst (1943). Die Melodie stammte aus einem sowjetischen Film der 1930er Jahre mit der Musik des russisch-jüdischen Komponisten Dmitri Pokrass. 
 

Literatur

  • Gabriele Knapp: Das Frauenorchester in Auschwitz. Musikalische Zwangsarbeit und ihre Bewältigung, Hamburg 1996
  • Annekathrin Dahm: Musik in den nationalsozialistischen Vernichtungszentren Belsec, Sobibor und Treblinka, in: mr-Mitteilungen 23 (1997), S. 1-11
  • Guido Fackler: „Des Lagers Stimme“ – Musik im KZ. Alltag und Häftlingskultur in den Konzentrationslagern 1933 bis 1936; mit einer Darstellung der weiteren Entwicklung bis 1945 und einer Biblio-, Mediographie, Bremen 2000
  • Elisabeth Brinkmann: Musik im Konzentrationslager Buchenwald“, in: Hanns W. Heister u.a. (Hg.): Entartete Musik 1938 - Weimar und die Ambivalenz, Katalog der Ausstellung, Pfau-Verlag, Saarbrücken 2001, S.779-797
  • Juliane Brauer: Musik im Konzentrationslager Sachsenhausen (=Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgischer Gedenkstätten, Bd. 25), Berlin 2008
  • Josef Focht und Ursula Katharina Nauderer: Musik in Dachau, Zweckverband Dachauer Galerien und Museen, Dachau 2002
  • Simon Laks: Musik in Auschwitz, Berlin 2014
  • Jonas Höltig, Tassilo Rinecker, Janne Biermann (Hrsg.): Träumen von der Freiheit. Lieder von Verfolgten, Books on Demand 2018