Komponieren in Unfreiheit: Komponisten in Theresienstadt und ihr Schaffen
„Das Ziel der Kunst, das Ziel eines Lebens kann nur darin bestehen, die Summe der Freiheit und Verantwortung, die in jedem Menschen und in der Welt liegt, zu vergrößern.“
(Albert Camus)
Freiheit und Verantwortung gehören zusammen und bestimmen das Wesen der Menschlichkeit.
Freiheit ohne Verantwortung kann es nicht geben – das bedeutet also zugleich eine Bürde. Ein selbstbestimmtes Leben und die Entscheidungsfreiheit sind anstrengend, sie tragen in sich die Möglichkeit des Scheiterns. Jedes totalitäre System setzt hier an: Es ist ein Versprechen, dem Menschen seine Verantwortung zusammen mit einem Teil seiner Freiheit abzunehmen und ihm dafür eine absolute Sicherheit und Gerechtigkeit zu geben – für Viele ein unwiderstehliches Angebot.
Der Totalitarismus bedeutet daher in jedem Fall eine Entmenschlichung.
In der letzten Vorlesung ging es um das nationalsozialistische KZ- und Ghetto-System – die äußerste Unfreiheit, eine letzte Stufe der Entmenschlichung, hinter der der Tod, die vollständige Vernichtung der Menschlichkeit, steht.
Das wichtigste Ziel der totalitären Macht ist aber das geistige Leben der Menschen. Freiheit bedeutet nicht nur ein selbstbestimmtes Leben und Handeln, sondern auch und vor allem die freien Gedanken – die innere Freiheit. Wenn es dem Staat gelingt, das geistige Leben zu kontrollieren, ist seine Macht gesichert. Menschen, deren Gedanken gesteuert sind, machen alles, was man von ihnen will. Sie sind eigentlich eine Art Zombies, Untote, sie leben nicht, obwohl sie am Leben sind.
Was man im Überfluss besitzt, schätzt man meistens nicht. Nicht nur der Wohlstand und der technische Fortschritt, von dem wir alle so maßlos profitieren, ohne es zu merken, sondern auch die Freiheit, die in unserer Gesellschaft genauso als Selbstverständlichkeit empfunden wird, wird leider immer weniger geschätzt. Da die meisten heute in unserem Land lebenden Menschen diese Freiheit nicht erkämpfen mussten und den Zustand der Unfreiheit nicht kennen, finden sie viele andere Dinge wichtiger als die Freiheit.
Das künstlerische Schaffen ist eine Form der inneren Freiheit. Wir wissen aber, dass auch in totalitären Systemen geniale Kunstwerke entstanden sind. Kann geniale Kunst unter Zwang entstehen? Natürlich nicht. Der Künstler braucht die Freiheit wie die Luft zum Atmen. Die Kunst kann nur trotz des Zwangs entstehen, als Reaktion darauf und Widerstand dagegen. Sogar mehr, der innere Widerstand gegen die Unterdrückung und Bevormundung kann ein wichtiger Impuls dafür sein. Das heißt, die Künstler, die unter den Bedingungen der Unterdrückung schufen oder sogar inhaftiert waren, sind in ihrem Inneren dennoch frei geblieben.
Literatur
- Viktor Ullmann: 26 Kritiken über musikalische Veranstaltungen in Theresienstadt. Hrsg. und kommentiert von Ingo Schultz, Hamburg 1993
- Joža Karas: Music in Terezín 1941–1945. Pendragon Press, Stuyvesant NY 1990
- Hans-Günter Klein (Hrsg.): Gideon Klein – Materialien. Hamburg 1994
- Hans-Günter Klein (Hrsg.): Viktor Ullmann – Materialien. Hamburg 1997
- Milan Kuna: Musik an der Grenze des Lebens. Musikerinnen und Musiker aus böhmischen Ländern in nationalsozialistischen Konzentrationslagern und Gefängnissen. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1998
- Initiative Hans Krása (Hrsg.): Komponisten in Theresienstadt. Pavel Haas – Gideon Klein – Hans Krása – Karel Reiner – Siegmund Schul – Viktor Ullmann. 2. aktualisierte und erweiterte Auflage. Initiative Hans Krása, Hamburg 2001
- Blanka Červinková (Übersetzung: Hana Smolíková): Hans Krása. Leben und Werk. Pfau, Saarbrücken 2005
- Ingo Schultz: Viktor Ullmann. Leben und Werk. Kassel 2008