Tom Adler | Foto: Constanze Zacharias

Im Zeichen Wagners

Musikwissenschaftler Tom Adler wird Mitarbeiter der Richard-Wagner-Stätten Graupa bei Dresden 

Der Weimarer Musikwissenschaftsstudent Tom Adler tritt ab dem 1. Juli 2023 eine unbefristete Vollzeitstelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Richard-Wagner-Stätten Graupa bei Dresden an. Für Geisteswissenschaftler sei dies in Zeiten von befristeten Anstellungen ein großer Glücksfall, sagt Adler, "zudem, wenn man gerade erst seinen Bachelor absolviert hat". Tom Adler wird in Graupa die Verantwortung für die wissenschaftlichen Inhalte des Museums tragen und Sonderausstellungen, Führungen, Workshops sowie andere Informationsangebote erarbeiten.

Herr Adler, wie sehen Ihre ersten Ideen für die Richard-Wagner-Stätten Graupa aus?

Tom Adler: Ich habe immer sehr viele Ideen. In den letzten Wochen ist eine umfangreiche Liste angewachsen, die ich dahin mitbringen werde. Zuerst werde ich mich natürlich einarbeiten, die Basisarbeit kennenlernen, mich mit meinem Chef und meiner Kollegin austauschen und dann sehen, wo ich meine Eigeninitiative anbringen kann. Natürlich stehen auf der Liste Ideen für Sonderausstellungen, z. B. im Hinblick auf das Bruckner-Jahr 2024. Zudem möchte ich gern Workshop-Formate erarbeiten, in denen sich Schüler*innen, aber auch junge Studierende der Musikwissenschaft und der Schulmusik mit dem Thema Wagner auseinandersetzen können, sowie Spezialveranstaltungen zu bestimmten Kulturereignissen in der Region Pirna-Dresden. Insgesamt soll sich der Fokus vermehrt auf ein jüngeres Publikum richten.

Mit welchen Methoden und Ansätzen kann moderne Museumspädagogik dabei helfen, das Erbe Wagners lebendig zu halten und geeignet zu vermitteln?

Adler: Das digitale Medium nicht zu nutzen, ist undenkbar. Würde Wagner heute leben, wäre er selbst wahrscheinlich ungeheuer aktiv in den sozialen Netzwerken. Ich plane insofern daran anzuknüpfen, indem ich einen Podcast anlege, der über verschiedenste Themen rund um Wagner ein allgemein interessiertes Publikum informiert. Auch bei Instagram und Facebook sollen Museumsinhalte präsentiert werden, dies befindet sich derzeit aber erst im Aufbau. Natürlich kann das Digitale – Wissen to go – vieles aufwerten, Wissen wird in einem Museum aber überwiegend vor Ort (natürlich auch mit digitalen Elementen) vermittelt: In den genannten Workshops will ich versuchen, z. B. Bühnenfiguren wie Siegfried (dessen Haudrauf-Mentalität sicherlich mit dem einen oder anderen Teenager vergleichbar wäre) in seiner psychologischen Anlage mit Jugendlichen zu reflektieren, Wagners Werke nicht als Elitekunst vermitteln, sondern durch selbstverständliches Hinterfragen die Stücke ihrer scheinbaren Monstrosität berauben. Erst wenn man die Stücke natürlich, menschlich liest, kann man sie verstehen.

Worauf werden Sie wissenschaftliche Schwerpunkte legen?

Adler: Transparenz in Hinblick auf Leben, Werk und Wirkung Richard Wagners steht für mich an oberster Stelle. Er ist vielleicht die bis heute am meisten polarisierende Künstlerpersönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Auf der einen Seite war er offenkundiger Antisemit, auf der anderen Seite versuchte er gesellschaftliche Unterschiede zu überwinden, mit dem Ideal einer Gleichberechtigung aller Menschen. Sein privates Frauenbild dürfte heute als regressiv gelten, durch die Stärke und Selbstständigkeit seiner weiblichen Bühnenfiguren fühlten sich allerdings frühe Frauenrechtlerinnen wie Louise Otto Peters und Luise Büchner inspiriert. Ich finde es wichtig, wenn man seine Kunst bewundert, auch die negativen Seiten dieses Menschen vor Augen zu führen und möglichst objektiv zu betrachten. Das ist wissenschaftlich. Wir tragen keine Verantwortung für den Menschen Richard Wagner, er war in vieler Hinsicht ein Unsympath, ist aber seit 140 Jahren tot. Aber wir, bzw. in diesem Museum ich, tragen dafür Verantwortung, sein Schaffen so zu vermitteln, dass klar wird: Dieser Zwiespalt existiert und es gilt ihn zu kennen und auszuloten. Was immer wieder wichtig in den Ansätzen meiner Arbeit sein wird, ist, den Bogen zur heutigen Zeit zu schlagen. Zum Beispiel dürfte es in einem Symposium oder einer Ausstellung über Antisemitismus nicht nur um Wagner und das 19. Jahrhundert gehen. Man muss damalige Strukturen erkennen, sie in der heutigen Zeit suchen und den Besucher*innen etwas mit auf den Weg geben, auch mit ihnen in Diskussionen treten. Kulturstätten müssen Orte lebendiger Bildung und lebendigen Austausches sein, das gilt natürlich auch für Museen.

Wird es Kooperationen geben?

Adler: Unbedingt! Der Kontakt nach Weimar bleibt erhalten. Mit Jascha Nemtsov, mit dem ich sehr gern auch über dieses Thema diskutiere, habe ich bereits gesprochen, dass ich ihn gern zu einer Podiumsdiskussion über Wagner und das Judentum einladen möchte. Aber auch Aspekte der Gender-Forschung Nina Noeskes haben mich zum Nachdenken über Frauenfiguren in Wagners Bühnenwerken angeregt. Dazu könnte ich mir mit ihr auch ein Kooperationsseminar mit einer Ausstellung vorstellen. Was mich freuen würde, wäre zudem eine künstlerische Kooperation mit Instrumental- und Gesangsstudierenden unserer Hochschule, in den Wagner-Stätten finden regelmäßig Konzerte statt. Ich werde selbstverständlich auch Kontakte zur Dresdner Musikhochschule suchen, eine Kooperation mit dem fast benachbarten Carl-Maria-von-Weber-Museum in Dresden-Hosterwitz gibt es schon, die wird gemeinsam mit seiner Direktorin Romy Donath ausgebaut. Die Dresdner Kulturinstitutionen wie die Philharmonie, die Semperoper (Christian Thielemann ist Schirmherr der Richard-Wagner-Stätten Graupa) oder die Musikfestspiele sind ebenfalls Kooperationspartner, mit denen ich regelmäßig zusammenarbeiten werde.

Starten Sie jetzt direkt im Berufsleben durch, oder planen Sie noch einen Master und ggf. eine Promotion?

Adler: Ich freue mich sehr über die Möglichkeit, hier in Weimar meinen Master in Teilzeit studieren zu können. Ich werde meinen Schwerpunkt dort auch noch einmal verlagern, wahrscheinlich ins 17./18 Jahrhundert mit Blick auf die Rezeption dieser Zeit im Musikerfilm. Dass ich in den Richard-Wagner-Stätten arbeiten werde, ermöglicht mir natürlich in angenehmster Art und Weise, meine Promotion über Wagners erste Oper "Die Feen" zu erarbeiten. Es gibt dazu nicht viel umfassende Literatur. Es ist aber wichtig zu wissen, dass auch Wagner nicht talentbeladen vom Himmel fiel (er war ein echter Spätzünder), sondern sich sein Können erarbeitete und natürlich auch seine Vorbilder hatte, wie jede*r andere Komponist*in.

Auf welche Aspekte des Musikwissenschafts-Bachelors in Weimar blicken Sie mit Freude zurück?

Adler: Dem bisherigen Musikwissenschaftsstudium in Weimar verdanke ich meine wissenschaftliche Basis, die mir diese Stelle nun ermöglicht. Die sehr diverse Aufstellung unseres Instituts hinsichtlich der Schwerpunkte der Lehrstühle wirkt sich bereichernd auf das eigene Denken über Musik, ihren Inhalt, aber auch ihren Kontext aus. Man beleuchtet Themen aus verschiedenen Perspektiven, hinterfragt sich immer wieder und kommt somit nicht in die Verlegenheit, sich selbst für das Maß aller Dinge zu halten. Das ermöglichen vor allem die kurzen Wege unter den Lehrenden und den Studierenden, das respektvolle Verhältnis auf Augenhöhe. Einer der größten Vorteile aber war für mich, dass das Institut für Musikwissenschaft Teil der Musikhochschule ist und somit jederzeit der Bezug zur musikalischen Praxis vorhanden ist. Der Austausch mit künstlerischen Studierenden prägte mein Denken über Musik aus der Musik heraus, mit pädagogischen Studierenden habe ich viel Musik gemacht und – wenn auch nur aus Flurgesprächen – immer wieder Anregungen zur Musik- und Wissensvermittlung mitgenommen. In Weimar zu studieren ist ein Lebensabschnitt im Elfenbeinturm, dessen schönes Privileg mir jetzt in den letzten Monaten besonders bewusst wird, bevor ein neuer, schöner Lebensabschnitt beginnt. Ich bin sehr dankbar für alle Menschen, die mich auf diesem Weg unterstützt und begleitet haben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Jan Kreyßig.